KÖNNEN DIE SCHRIFTSTELLER STREIKEN?
SPIEGEL: Herr Lattmann, Sie haben erklärt, der Verband deutscher Schriftsteiler solle »wie eine brauchbare Gewerkschaft« handeln. Werden die Schriftsteller also auch streiken?
LATTMANN: Das wird erst möglich sein, wenn die gewerkschaftliche Organisation der Autoren weiter gediehen ist. Was im Augenblick möglich ist, ist der Boykott durch Autorengruppen zur Durchsetzung bestimmter Ziele.
SPIEGEL: Sie denken da an Aktionen wie den Springer-Boykott der »Gruppe 47« oder den Boykott der SFB-Mitarbeiter im Fall Barsig? Das waren aber doch primär politische Aktionen, nicht aber gewerkschaftliche, etwa Streiks für mehr Geld.
GRASS: Für einen Streik fehlen uns ja doch noch einige Voraussetzungen. Außerdem ist Streik im Tarifkampf, wenn wir das Gewerkschaftswort gebrauchen wollen, ja doch immer nur das letzte Mittel. Aber die Möglichkeit, daß die Schriftsteller streikfähig werden, die ist als Ziel zu setzen. Doch wir müßten erst mal tariffähig werden und einen Tarifpartner haben: Wir müssen den Börsenverein dazu bringen, sich als Arbeitgebergruppe zu verstehen.
SPIEGEL: Sie orientieren sich offenbar bei Ihren Vorstellungen stark am skandinavischen Modell.
LATTMANN: Ja, neuerdings noch mehr. Es ist gerade vor kurzem mit Unterstützung des »Instituts für Projekt-Studien« eine Delegation in Skandinavien gewesen und hat die sozialen Arrangements für künstlerisch freie Berufe, speziell die Vertragssituation der Autoren in Schweden, Norwegen und Dänemark untersucht. Und dort ist eben Selbstverständlichkeit, was wir erst noch erreichen müssen, nämlich zweiseitig ausgehandelte tarifartige Verträge zwischen Verlegern und Autoren und zwischen Rundfunk! Fernsehen und Autoren. In Schweden gibt es ein garantiertes Mindesthonorar für den Autor: 16 2/3 Prozent vom Ladenpreis des Buches.
SPIEGEL: Also erheblich mehr als die deutsche Durchschnittstantieme von 10 Prozent,
LATTMANN: In Norwegen gibt es noch etwas Einzigartiges: Der staatliche Kunstfonds kauft von jedem Originalbuch der Belletristik, das ein norwegischer Autor veröffentlicht, tausend Exemplare für die Bibliotheken.
SPIEGEL: Würden Sie denn fordern, daß auch hier der Staat gewissermaßen Bücherhalden subventioniert?
LATTMANN: Nein, ich halte dieses Modell für so nicht übertragbar auf die um vieles größere Bundesrepublik. Aber anderes, das in Skandinavien existiert, sollte sehr ernsthaft erwogen werden, zum Beispiel die Überlegung, gewisse Schriftstellergehälter
während ihrer Wahlkampf-Tournee durch Bayern im Hotel Rappensberger. Mit Horst-Dieter Ebert und Rolf Becker.
auszusetzen, damit Autoren für einige Zeit frei werden, um bestimmte Arbeiten realisieren zu können.
SPIEGEL: Und wer soll das bezahlen?
LATTMANN: Wenn unsere Forderungen nach Honoraren für Schulbuch-Beiträge und nach dem Bibliotheksgroschen erfüllt sind, dann hat der Schriftstellerverband die Mittel, solche Autorenförderungen über seinen Sozialfonds zu praktizieren.
SPIEGEL: Was sagen denn nun Ihre Vertragspartner, die Verleger, zu den Wünschen der Autoren nach Verträgen à la Schweden?
LATTMANN: Da zeichnet sich eine sehr harte Kontroverse ab. Gerade jetzt, wo durch die Initiative des Schriftstellerverbandes die Urheberrechtsnovelle ins Haus steht, in diesem Augenblick hat der Verleger-Ausschuß des Börsenvereins einen Rundbrief an seine sämtlichen Mitglieder herumgehen lassen und ihnen empfohlen, sich genau diese Zweitrechte, die wir erkämpfen wollen, noch rechtzeitig abtreten zu lassen. Diese Aktion ist für uns der Kriegsfall. Und ich rechne fest damit, daß die Solidarität der Autoren inzwischen stark genug ist, so etwas zu verhindern. Ich glaube, der Schriftstellerkongreß am Wochenende wird einen Beschluß fassen, daß in Zukunft kein VS-Mitglied einen solchen Vertrag unterschreibt.
SPIEGEL: Lassen Sie uns einen Augenblick bei Solidarität bleiben. Solidarität in gewerkschaftlichen Verbindungen rührt doch in der Regel daher, daß Leute mit gleicher Arbeitsplatzbeschreibung, mit gleichem Ausbildungsgang, mit gleichem sozialen Status gleiche Ziele verfolgen. Im Autorenverband sind aber doch Leute mit ganz heterogenen Ausbildungen oder aber ohne Ausbildung, mit ganz unterschiedlichen Beschäftigungen und auch mit ganz unterschiedlichem sozialen Status, also von der Lyrikerin mit 500 Mark im Jahr bis zu Günter Graß mit 500 000
GRASS: Wie bitte?
SPIEGEL: Meinen Sie, daß es zwischen denen Solidarität geben kann?
LATTMANN: Ich glaube ja, und zwar dann, wenn wir wirklich nach den Gründungsprinzipien des VS verfahren und bei unserem Programm des gemeinsamen Nenners bleiben, das für alle Arten von Autoren wichtig ist.
SPIEGEL: Nehmen wir nun mal die geplante Altersversorgung für Autoren. Wäre es da nicht besser, wenn der Autorenverband aus den Pfründen, die er etwa aus dem Bibliotheksgroschen erwartet, Stipendien zur Verfügung stellte zur Umschulung von Autoren, die offenbar keinen Erfolg mehr haben, etwa für überholte Heimatdichter oder Blubo-Leute.
GRASS: Dieses Problem betrifft nicht nur Schriftsteller, sondern alle Berufsgruppen. Da gibt es ja schon seit Jahren von seiten der Gewerkschaften, auch von seiten der SPD die Forderung nach dem Bildungsurlaub und die Möglichkeit, innerhalb eines solchen Umschulungen vorzunehmen. Und das gilt natürlich auch für Schriftsteller. Nur sollte man das nicht allein als eine Aufgabe des Schriftstellerverbandes ansehen.
LATTMANN: Sprechen wir doch mal von der Praxis: Wie soll unsere Autorenförderung aussehen? Die Buchausleihe der öffentlichen Bibliotheken und der Werkbüchereien beträgt in der Bundesrepublik jährlich zur Zeit etwa 100 Millionen Ausleihen. Das ergibt bei der angestrebten Gebühr von 10 Pfennig pro Ausleihe immerhin 10 Millionen Mark im Jahr. Hinzu kommen die Tantiemen aus Schulbüchereien, aus den wissenschaftlichen Bibliotheken und aus den kirchlichen Büchereien, die sehr wichtig sind. Von diesen 10 Millionen wären 5 Millionen für das Sozialwerk der Schriftsteller da. Von der anderen Hälfte blieben nach Abzug der Verwaltungskosten etwa 3,5 Millionen für die Honorarauszahlung. Über die Verteilung des Sozialfonds würde ein Autorenrat entscheiden, der auf den Schriftstellerkongressen gewählt wird. Und ich halte es für ausgeschlossen, daß solch ein Autorenrat jene vorhin zitierte Heideblümchen-Literatur begünstigen könnte.
SPIEGEL: Wie ist es überhaupt mit dem Einkommen der deutschen Schriftsteller? Sie haben mehrfach gesagt, die meisten deutschen Schriftsteller verdienten kaum mehr als ein Facharbeiter, und das sei nicht genug. Warum eigentlich nicht?
LATTMANN: Ja, nun, in dieser Frage liegt doch vielleicht ein wenig von der alten Unterstellung, ein Künstler müsse als tätiger Narr in der Gesellschaft wirtschaftlich ein bißchen im argen leben. Wir gehen Im Gegensatz zu dieser Spitzwegschen Auffassung davon aus, daß Autoren denselben Anspruch in puncto Lebenshaltung haben wie andere Berufe auch.
SPIEGEL: Wir unterschätzen nicht etwa den Schriftsteller, wir schätzen nur den Facharbeiter offenbar höher ein als Sie.
GRASS: Bloß, der Facharbeiter hat regelmäßig laufenden Lohn, wenn keine Arbeitslosigkeit eintritt. Dann schützen ihn die Gewerkschaften. Beim Schriftsteller ist es doch so, daß Pausen eintreten in seinem Arbeitsprozeß, daß er aufwendiger leben, reisen muß, neue Erfahrungen, neue Bereiche der Gesellschaft in sich aufnehmen und verarbeiten muß.
SPIEGEL: Gehen Sie da nicht doch zu sehr vom Typ des traditionellen schöngeistigen Schriftstellers aus?
LATTMANN: Ich glaube nein. Wir haben in wachsendem Maß Sachbuch- und wissenschaftliche Autoren zu Mitgliedern, und wenn in diesem Verband auch Autoren wie Ernst Bloch oder auf der anderen Seite Bernhard Grzimek organisiert sind, dann deutet das schon an, daß es eben nicht nur um Belletristen geht.
SPIEGEL: Die Frage geht noch ein bißchen weiter. Sie haben einmal von den Schriftstellern als den Dinosauriern des kybernetischen Zeitalters gesprochen, die aussterben würden, wenn sie sich jetzt nicht in die moderne Arbeitswelt einpaßten. Könnte es nicht sein, daß die Schriftsteller auf jeden Fall die Dinosaurier des audiovisuellen Zeitalters sein werden, weil doch vermutlich der Autor der Zukunft das Team sein wird, das vom Wort über die redaktionelle Verarbeitung bis zur Kassette koproduziert.
GRASS: Das ist eine reine Behauptung, die durch nichts belegt ist; Wunschvorstellung von Leuten, denen vielleicht das vielen Schriftstellern vorgeschriebene Arbeitsmaß, alleine das zu verantworten und zu leisten, was immer nur er alleine leisten kann, zuviel ist. Dann flüchtet man sich in Teamvorstellungen hinein.
LATTMANN: Ich glaube, daß alle Arten von Einzelautoren und Autorenteams weiter bestehen werden. Allerdings sehe ich eine abnehmende Situation der Belletristik und ein Zunehmen aller populärwissenschaftlichen, wissenschaftlichen und pädagogischen Bücher. Und ich glaube sehr ernsthaft, daß belletristische Autoren, wenn sie aus Passion den Beruf des Schriftstellers behalten wollen, sich mehr und mehr in Richtung dieses Bedarfs von informierender Literatur ausrichten und sich dahingehend zum Teil umschulen sollten.
SPIEGEL: Wie würde es denn aussehen, wenn Ihre Vorstellungen Wirklichkeit würden -- gäbe es dann den Schriftsteller-Pensionär?
GRASS: Ich finde das gar nicht deklassierend für einen Schriftsteller, der ins Rentenalter kommt. Wenn wir diesen weihevollen Begriff Dichter, Schriftsteller und genauso weihevoll Literaturproduzent säkularisieren wollen, dann gehört auch das dazu.
SPIEGEL: Sicher. Dann stellt sich die nächste Frage: Wer ist eigentlich Schriftsteller? Nach den Verbandsstatuten ist ein Schriftsteller der Inhaber von Rechten, also beispielsweise auch eine Dichterwitwe.
GRASS: Das ist doch nach 70 Jahren vorbei, Ich wäre ja froh, wenn wir insgesamt die Gesellschaft so weit brachten, daß materielles Eigentum genauso wie das geistige Eigentum nach 70 Jahren verfällt, so also auch beim Vererben von Grund und Boden und von Großbesitz,
SPIEGEL: Sie würden also lieber sehen, daß die übrigen Eigentumsrechte in der Gesellschaft den geistigen Urheberrechten angepaßt würden als umgekehrt.
GRASS: Genau. Die Schriftsteller, also die Leute mit geistigem Eigentum, sind ja doch im Grunde genommen bis jetzt die einzigen, die den Grundgesetz-Artikel 41 -- Eigentum verpflichtet -- realisiert haben.
SPIEGEL: Aber noch einmal: Wer ist Schriftsteller? Im Augenblick mag s nicht so wichtig sein, ob in Ihrem Verband auch ein paar hundert Nichtschriftsteller sind; aber wenn es erst eines Tages um Geld geht, um Rentei Zuschüsse und Stipendien, dann wird es doch dringlich, diesen Beruf genauer zu definieren.
LATTMANN: Wir sind schon jetzt dabei, die Kriterien zu verschärfen. Und der Schriftstellerverband hat sich auch schon in gewisser Weise gesundgeschrumpft. Das heißt also, es sind einige hundert Karteileichen herausgefallen, oder beim Ausgaben der neuen Ausweise hat sich eben herausgestellt, daß auch Autoren Mitglieder waren, die vielleicht einmal drei Gedichte im »Rosenheimer Anzeiger« veröffentlicht hatten.
SPIEGEL: Sie sind ja nun auch ganz offenbar keine Pinscher mehr ...
GRASS: Moment -- wir sind es nie gewesen. Es gab mal einen Bundeskanzler Erhard, der hat das behauptet. Das war sein Ausflug in die Kynologie.
SPIEGEL: Sie sind inzwischen sogar von der CDU zu Gesprächen eingeladen worden ...
GRASS: Ich hätte mich an diesen Gesprächen nicht beteiligt, weil die Mentalität des damaligen Bundeskanzlers Erhard in der CDU/CSU noch sehr virulent ist. Für mich wäre die Situation in der CDU/CSU noch nicht reif dafür.
LATTMAN: Wir sind auch nicht auf die Idee gekommen, Heinrich Böll oder Günter Graß zu fragen, ob sie mit zu diesem Gespräch kommen wollten. Aber, da wir ein Gesetz ändern möchten, müssen wir mit allen Bundestagsfraktionen sprechen, um ihre Stimmen für diese Gesetzesänderung zu bekommen.
SPIEGEL: Raben Sie bei diesem Gespräch mit der CDU das Gefühl gewonnen, daß dort echtes Interesse für Ihre Belange vorhanden ist, oder ist es vielleicht nur schick geworden, sich mit Literatur zu garnieren?
LATMANN: Ich glaube, daß die CDU die gegenwärtig stattfindenden intellektuellen Machtverschiebungen sehr aufmerksam beobachtet, und daß sie gewiß realisiert hat, daß das politische Engagement nicht weniger Schriftsteller im Bundestagswahlkampf 1969 eine nachweisbare Größenordnung ausgemacht hat.
SPIEGEL: 3000 organisierte Schriftsteller sind allein noch keine Gewerkschaft. Welche Gewerkschaft im DGB erscheint Ihnen für die Durchsetzung der Schriftstellerwünsche am geeignetsten? Wolfgang Windgassens Gewerkschaft Kunst oder besser die IG Druck und Papier?
GRASS: Ich neige zu Druck und Papier. Aber diese Fage ist natürlich nicht nur eine Konstruktionsfrage. Das setzt etwas voraus, was für Schriftsteller vielleicht ungewohnt ist: Solidarität. Solidarität, meine ich, im Arbeitskampf. Das heißt, daß sich Schriftsteiler daran gewöhnen müssen, auch Mehrheitsbeschlüsse zu akzeptieren Innerhalb einer Gewerkschaft, In der sie ja eine Minderheit sind.
SPIEGEL: Glauben Sie, daß die Gewerkschaftsmehrheit notfalls auch für die Belange der Schriftsteller-Minderheit zu mobilisieren ist?
GRASS: Wenn wir unter Druck geraten, sei es durch Schwierigkeiten mit Rundfunk- und Fernsehanstalten, sei es durch Schwierigkeiten mit unseren künftigen Tarifpartnern, den Verlagen, dann bekommen unsere Forderungen mit Hilfe einer großen Gewerkschaft ein ganz anderes Gewicht.
SPIEGEL: Dann könnte es eben noch wirklich so werden wie im Bilderbuch: Wenn die Schriftsteller streiken, gibt's keine Bücher mehr, weil die IG Druck und Papier sie nicht mehr druckt ...
GRASS: Wenn Druck und Papier streikt, dann gibt"s auch andere Sachen nicht mehr.
SPIEGEL: Herr Lattmann, Herr Graß, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
* Karikatur von E. M. Lang aus »Deutschland deine Dichtet von Hellmuth Karasek,