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VÖLKERKUNDE Körperliche Analphabeten

Eine afrikanische Völkerkundlerin promoviert in Köln mit einer Untersuchung über die Stammesriten der deutschen Protestanten. Zum umstrittenen Projekt entstand ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm. _____« Wenn die Neger drei Takte Beethoven hören, machen sie » _____« Schluß mit ihrem Tamtam. Protestantische Lehrersfrau » _____« Eben nicht! Schwarze Ethnologin » *
aus DER SPIEGEL 34/1983

Die Kamera schwenkt vom Fernmeldeturm Düsseldorf über ein Knäuel zusammengeschmolzener Industrieanlagen. Ihr Blick dringt durch gelblichen Dunst. Drunten dreht sich, aus Kesseln und Backsteinschloten keuchend, die zivilisierte Landschaft. Wie Metallperlen fließen Autos auf Zubringerschnüren hinein und hinaus. Unmeßbar weit von dieser Szenerie entfernt liegt der Ursprung der Begleitmusik; ein »Tamtam« afrikanischer Trommler, aufgenommen bei einem Konzert in Khartum. Die ostinaten Rhythmen behaupten sich beinahe gewalttätig über das Bild, spalten die Sinne des Betrachters entzwei.

Wie der Habicht auf die Maus stößt der Kamerablick hinunter zwischen die Fabriken, ergreift dort eine Milchglasfassade, auf der in verschiedenen Etagen Arbeiter als Schattenmenschen hin und her wandern. Jäh verzerrt sich die Trommelmusik, und jetzt erst, als sie per Tonbandtrick zum Preßlufthämmern gerinnt, treffen sich Bild und Ton, beschreiben gemeinsam Disharmonie.

Voll innerer und äußerer Sprünge, seltsamer Synthesen und Fremdklänge, wie diese Bilder des Regisseurs Peter Heller, ist das Leben der Person, der sein Dokumentarfilm »Wie andere Neger auch« bei ihrer Arbeit zusieht.

Die Kreolin Diana Bonnelame, 41, ist schwarz und lebt unter Weißen. Ihre Kindheit verbrachte sie auf Mahe, der Hauptinsel der Seychellen, heute arbeitet sie im Ruhrgebiet. Kreolisch ist ihre Muttersprache, bei den Katholiken an der Missionsschule mußte sie französisch sprechen, später, auf der britischen Höheren Schule in Mombasa, Kenia, war es englisch.

Sie lernte zwei typische Frauenberufe, Bibliothekarin und Dolmetscherin. Heute setzt sie als Wissenschaftlerin eigenwillig und ambitioniert ihre Ideen durch: Als schwarze Ethnologin und »aus schwarzer Sicht« erforscht Diana Bonnelame Aspekte weißen Lebens.

Die füllige, explosive Frau promoviert derzeit in Köln mit dem Thema »Religiöse Erziehung Heranwachsender evangelischen Glaubens in einer Großstadt der Industriegesellschaft«, und unversehens ist sie dabei, ein Fach zu erweitern, dessen Vertreter es gemeinhin in exotische Fernen zieht, wobei zur Doktorarbeit mitunter ein Dreimonatspraktikum bei Perlentauschern oder Wudu-Anhängern genügt.

Diana Bonnelame dagegen lebt seit fast zwanzig Jahren unter Deutschen. Eigene Erlebnisse bedeuten ihr wichtiges

Material; Gefühl läßt sie ebenso gelten wie Daten und Fragebögenauswertung. »In meinem Bewußtsein bin ich ein bißchen afrikanisch.«

Deutsche Kollegen beargwöhnen das Projekt, vermuten gar, sie benutze die Arbeit heimlich als »Vehikel zur Wissenschaftskritik«. Vor Hellers Kamera entspinnt sich im Doktorandenseminar eine Streiterei, die Kollegen hacken auf Diana ein: »Du sagst, du hast gelebt mit diesen Leuten. Ich weiß nicht, was das methodologisch heißen soll: ''Ich habe gelebt mit''!« - »Diana, das wäre doch einfach gewesen, einige Fragebögen, wo du ganz systematisch ...« Sie erschrickt: »Gott bewahre!« Und der Professor versöhnlich: »Sie sind noch nicht hart genug. Sie haben noch nicht die geistigen Schwielen angesetzt.« Verzweifelt verdreht sie die Augen.

Nicht nur im Film, auch mit dem Film gab es Ärger. »Weiße Negerforscher kommen zu uns, als Herrschaftsvertreter der ökonomisch überlegenen Kultur, während meine Evangelen hier mitentscheiden, was darf ich veröffentlichen, was nicht«, erklärt sie in ihrem rheinischkreolischen Akzent, wohl einem der seltensten, die es gibt.

Der Film, _("Wie andere Neger auch« von Peter Heller ) _(und Diana Bonnelampe. ) _(Verleihgenossenschaft der Filmemacher, ) _(München. )

zum Großteil von der evangelischen Kirche finanziert, stieß bei den Protestanten selbst auf Widerstand. Die treffenden Zufalls-Interviews, Beobachtungen an Konfirmanden, die für die Elternkultur »initiiert« werden, und Teegespräche in bürgerlichen Sofaecken erschienen manchem »zu unverschämt, zu locker und unwissenschaftlich«, meint die Autorin. »Die fühlen sich nur wohl, wenn Wissenschaft ein langes Gesicht macht.«

Andere finden sich, immer gern selbstkritisch und lernfreudig, »betroffen« und reden von »Denkanstößen«. Ein allzu betroffener Protestant gab Diana Bonnelame allerdings schriftlich, daß er alles unternehmen werde, die Filmkopien einstampfen zu lassen.

Die erste Szene: Unter Palmen, elegant in Regenbogenfarben gekleidet, schlendert die Forscherin durchs Tropengewächshaus eines Botanischen Gartens. En passant interviewt sie Ruhrgebietler, die sich in der klimatisierten Urwald-Vitrine ergehen. Sie nimmt Kurs auf einen Spaziergänger, simuliert das naive schwarze Mädchen, das wissen will: »Was soll ich meinen Afrikanern zu Hause von den Alltagssorgen der Deutschen erzählen?«

Der »Mann aus der Porzellanbranche« (Filmskript) überlegt: »Ja, daß eben alles stupide ist, wie soll ich sagen, jeden Tag derselbe Rhythmus, immer wieder, nichts Neues oder so.« Um Aufgeklärtheit bemüht: »Man läßt sich irgendwie durch die ganze Gesellschaft vielleicht da reinpressen, würde ich sagen.« Bedrückt klingt da der Schlußsatz: »Ich kann an und für sich nicht klagen.«

»Ja, das ist schön, vielen Dank«, bemerkt Diana Bonnelame. Der Triumph steht ihr im Gesicht, einem Ruhrgebietler das Geheimnis seiner Gemütskrankheit entlockt zu haben; sie scheint es wegzustecken, als wolle man ihr die Trophäe abspenstig machen.

Deutschland hat Diana Bonnelame zu schaffen gemacht, nicht nur durch eine gescheiterte Ehe. Bevor sie 1978 ihr Studium begann, vermietete sie 13 Jahre lang ihren polyglotten Kopf - sie spricht fünf Sprachen - an Industriebetriebe im Ruhrgebiet, bis zum psychischen Zusammenbruch. Die Ethnologin fragt sich heute, unter welchen Opfern die »körperlichen Analphabeten der ersten Welt« Leistungsdruck ertragen lernen.

Der Film verfolgt eine Szene im Bremer Überseemuseum. Die schwarze Forscherin sitzt einer Besuchergruppe gegenüber, die eben Photos grausamer Skarifizierungen und Opferriten fremder Kulturen bestaunt hat. Ob Diana Bonnelame solche »Beschneidungen auch mitgemacht« habe, wagt eine Dame zaghaft zu fragen. »Ich mußte ja eine englische Schule besuchen«, überrascht sie die Damen, »ähnlich funktioniert die Beschneidung in Ihrer Gesellschaft.« Ja, sogar »Menschenopfer« gebe es hier, 12 000 im Jahr. »Verkehrs-Opfer - die Statistiker planen sie ein. Diese Menschen werden der Infrastruktur des Industrielandes als Opfer dargebracht.«

Dazu prädestiniert, dem »Gottesstaat der Profitmaximierung als Elite vorzustehen«, findet Diana Bonnelame die Protestanten. So hat sie ihren Feldforschungsbezirk abgesteckt auf das Bildungsbürgertum evangelischer Prägung in Nordrhein-Westfalen, wo sie die Brutstätten des Establishment aufspürt.

Heranwachsende werden im Konfirmandenunterricht »initiiert«. Heller und Bonnelame wohnen einer Stunde bei: Jugendliche auf Schwedenstühlen im Kreis, obenan der frische, leger gekleidete Pastor, an der Wand im Hintergrund Plakate zur Nicaragua-Solidarität.

Der Pastor (der »Initiator, Zauberer, Priester") spricht: »Wir sind jetzt drei Jahre in der Dienstgruppenarbeit zusammen, fünf Jahre im Konfirmandenunterricht. Ich habe euch nichts erspart. Was bringt das eigentlich?«

Der krausblonde Initiand Mathias, im Gesicht noch etwas die verquollene Uneinigkeit des Pubeszenten, ist redebereit. Er habe gelernt, »mit anderen in einer Gruppe umzugehen, sie eventuell zu leiten, und dann, wenn es nötig ist, ein möglichst effektives Maß an, das klingt jetzt brutal, aber an Leistung oder so, aus ihnen rauszuholen«. Das hätte er, sagt er, zu Hause so nicht lernen können, offen gesagt.

Auch die akademisch möblierten Eltern begrüßen Mathias'' soziales Lernen. Elternhaus und Kirche vermitteln, der Ethnologin zufolge, »das Protestantische, was nichts mit Beten zu tun hat«. Vielmehr sei es ein Konglomerat aus Nüchternheit, Funktionalismus, Aufgeklärtheit, Arbeitsethos, Körperverneinung, Effektivität und dem Überzeugtsein von der eigenen Kultur - ganz klar auch jener »industriefreundliche« Geist der frühen Calvinisten, die zum Abendmahl nur Christen mit guten Geschäftsabschlüssen zuließen.

Am meisten fällt Diana Bonnelame die Unterdrückung der Frauen auf, die sie in ihrer Heimat nie empfunden hat. »Männer werden bei uns über ihre Mütter definiert. Unser erster Staatspräsident war auch nur der ''Sohn seiner

Mutter'', bevor er sich im Ausland einen Namen gemacht hatte.«

Typisch sei die Situation in ihrer eigenen Familie. »Mein Vater galt als Nichtsnutz. Er war zwar mal Koch, ein guter sogar, aber lieber verbrachte er Stunden mit uns Kindern am Strand.« Traditionsgemäß gaben Mutter und Großmutter den Ton an, die Mutter verdiente mit eigenen Schneiderentwürfen den Unterhalt für alle 14 Familienmitglieder. »Von Mutter und Großmutter habe ich gelernt, daß Frauen alles schaffen, wenn sie wollen.«

Was Diana Bonnelame hier schaffen will, hat nichts damit zu tun, den Europäern die »gute Wilde« vorzukaspern. Ihr eigentliches Ziel ist, den Afrikanern Deutschland zu zeigen, und zwar so, wie sie als Ethnologin es sieht. Demnächst soll ihr Film synchronisiert von der kalten in die heiße Welt exportiert werden, als ernüchterndes »Infomaterial für Emigrationsfreudige«.

Wenn die Neger drei Takte Beethoven hören, machen sie Schluß mit

ihrem Tamtam. Protestantische Lehrersfrau Eben nicht! Schwarze

Ethnologin

»Wie andere Neger auch« von Peter Heller und Diana Bonnelampe.Verleihgenossenschaft der Filmemacher, München.

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