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GESELLSCHAFT / GRUPPENSEX Koitus kompl.

aus DER SPIEGEL 14/1971

Das Brauchtum amerikanischer Ureinwohner, etwa der Apachen, hatte der Professor jahrelang studiert. Dann wandte er sich den Bräuchen seiner Zeitgenossen zu. Nun legte er das Ergebnis seiner vierjährigen Recherchen vor -- die erste wissenschaftliche Untersuchung über Gruppensex und Partnertausch in den Vorstädten Amerikas.

Zusammen mit seiner Ehefrau Ann durchforschte Gilbert D. Bartell, Anthropologe an der Northern Illinois University in Chicago, die Szenerie der amerikanischen »Swinger« -Bewegung, so das modische Schlüsselwort für Kreuz- und Tauschkontakte. Mit Suchanzeigen in einigen der insgesamt 50 Kontaktmagazine Amerikas ("Chicago, Ehepaar, Anfang 30, sucht Paare, auch Damen, für freizügige

Experimente ...") fand das Ehepaar Bartell Zugang zu dem heiklen Forschungsfeld.

So unumwunden, als beschriebe er das Liebesleben von Lurchen oder die Begattungsgewohnheiten der Papuas, berichtet nun der Gelehrte über das Verhalten seiner 280 Versuchspaare*. Mit Tonband und Stenoblock protokollierte er authentisches Bettgeplapper der Testpersonen (beispielsweise: »How do you want to come, in my pussy or in my ass?« -- »She necer came. I was frenching her for thirty minutes. I cant imagine what she wanted").

Doch zugleich zeichnete Bartell ein Soziogramm und Sittenbild -- mit Jargon, Symbolen, Techniken und Riten -- der neuen amerikanischen Vorstadt-Subkultur, die um die Jahreswende 1963/64 mit dem ersten Boom der Antibabypille aufkeimte und mittlerweile etwa ein bis zwei Millionen Amerikaner erfaßt hat. Fazit der Bartell-Studie: Group Sex, wie der Professor ihn antraf, ist eine deprimierende Sache.

Zu 95 Prozent, so konstatierte der Gelehrte, sind es Weiße, die sich am Tausch-Sex beteiligen: zwischen 17 und 70 Jahre alt, überwiegend protestantisch und zu 87 Prozent Eltern von zwei oder drei Kindern.

Die Männer sind Geschäftsleute, Ärzte, Anwälte und Ingenieure (Min-

*Gilbert D. Bartell: »Group Sex -- A Scientist's Eyewitness Report on the American Way of Swinging«. Peter W. Wyden, New York; 312 Seiten: 7,95 Dollar.

desteinkommen: 10 000 Dollar im Jahr), die Frauen zu 78 Prozent im Haushalt tätig; auch Lehrerinnen sind stark vertreten. Gewöhnlich wählen sie republikanisch, jeder dritte bewunderte den faschistischen Ex-Gouverneur George Wallace. Zuwider sind ihnen Hippies und deren Drogen. Marihuana ist verpönt, Alkohol -- und zwar reichlich -- erlaubt.

Das Idealbild der Swinger ist »arisch": groß, schlank, blond, blauäugig. Doch die Wirklichkeit, so Professor Bartell, ist weit davon entfernt: Die Männer neigen zu Bauch und Glatze, die Frauen -- meist mehr verfettet als verführerisch -- kaschieren ihre Mängel mit Modeschmuck, Strumpfhaltergürteln und hochhackigen Schuhen, und ihre Frisuren, von Haarspray gehalten, sind fünf Jahre hinter der Mode zurück.

Außer dem Nahkampf der Geschlechter kennen die partnertauschenden Suburbaniten nur ein Hobby: Fernsehen, zumeist in Farbe; allenfalls sind sie noch an Themen wie Steuern und Sport interessiert, die Frauen an Kindern und Küche.

Die Paare, die sich als »Avantgarde einer sexuellen Revolution« verstehen -- einerseits als leistungsstarke Playboys, andererseits als begehrenswerte Playmates (99 Prozent der beteiligten Männer lesen Hugh Hefners »Playboy«-Magazin) --, finden überwiegend auf zwei Wegen zueinander: durch Suchanzeigen in Kontaktmagazinen (Stückpreis: drei Dollar) oder in Kontaktklubs.

Etliche äußerten in ihren Inseraten unverhohlen Vorliebe für Spezialitäten, etwa »French Culture« (Cunnilingus und Fellatio), griechische (Analverkehr) oder römische (Orgien, wilde Partys) Kultur, aber auch für »B and D« ("Bondage and Discipline«, Fesseln und Züchtigen) oder »ac-de« (englische Abkürzung für Wechsel- und Gleichstrom -- homo- und heterosexueller Verkehr).

Beim Vollzug freilich, so fand Anthropologe Bartell, verhalten sich die Teilnehmer dann doch eher konventionell. Nachdem die Party-Gäste mit Hi-Fi-Schnulzen aus den fünfziger Jahren, mit der Vorführung von Pornofilmen und durch Kerzenschimmer aufgelockert seien, gäbe es eigentlich nur zwei Positionen: Daddy auf Ma, Ma auf Daddy. Allerdings schließe der Koitus komplett in zwei von drei Fällen Fellatio und Cunnilingus ein.

Die Pausengespräche der Kombattanten drehen sich fast ausschließlich um Busenumfang, Penislänge oder Anzahl der Erektionen und Orgasmen. Dabei sind die Swinger im Umgangston nicht gerade zimperlich ("pussy«, »cock«, »ass«, »sucking"). Hingegen gilt als ungehobelt, wer beispielsweise ein Loch in den Teppich brennt oder Whisky verschüttet.

Überhaupt scheint eine Art Reinlichkeitsfanatismus unter Gruppensex-Anhängern verbreitet. Unentwegt huschen sie ins Bad oder unter die Dusche, und vielerlei Sprühdosen sind in Aktion, vom Intim- über Körper- bis zum Stubenspray.

Daß der Gruppensex Probleme birgt, mußte auch der forschende Anthropologe feststellen: Nicht wenige Frauen reagieren anfänglich verkrampft, einige schreien auch, und nur 25 Prozent aller beobachteten Männer sind ständig imstande, unter Stress-Bedingungen eine Erektion zu bewerkstelligen. So ziehen sich denn viele Paare -- ernüchtert vom Einerlei -- nach etwa zwei Jahren aus der Geselligkeit zurück. »Die Phantasie ist eben besser als die Wirklichkeit«, gestand ein Ex-Swinger dem Professor.

Vorerst freilich zeigt die Gruppen-Lustkurve offenbar noch steigende Tendenz: Immer mehr Paare, so beobachtete Bartell, stoßen zu der Bewegung, swingen ein- bis dreimal die Woche und verbringen ihre restliche Freizeit großenteils mit der Lektüre und Beantwortung von Suchanzeigen, mit Ferngesprächen und dem Aufnehmen obszöner Bilder. Auch die Zahl der Suchmagazine und der Kontaktkneipen nimmt weiter zu.

Die Befürchtung, daß der vielfältige Kreuz- und Querverkehr die Institution der Ehe gefährde, fand Bartell nicht bestätigt -- eher im Gegenteil. Seinem Eindruck nach hat der Partnertausch, als sexuelles Stimulans, sogar ehestabilisierende Wirkung.

Voraussetzung dafür scheint freilich die strikte Einhaltung des obersten Gruppensex-Gesetzes: Niemals darf es zu emotionalen Beziehungen zwischen den Partnern kommen.

Meist nach einer, allenfalls nach zwei Begegnungen mit fremden Partnern wechseln die »Swinger« wieder die Objekte ihrer außerehelichen Lust. Zärtlichkeiten und Liebesgeflüster sind bei Tausch-Partys verpönt -- zulässig ist allenfalls modernes Boxer-Vokabular. Zu sagen »Ich liebe dich« gilt als schwerer Verstoß gegen die Regel, erlaubt sind anerkennende Worte für die dargebrachte Leistung, etwa: »Du bist die Größte.«

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