Samira El Ouassil

Ungeeigneter Gesundheitsminister Ich bin sauer auf Jens Spahn

Samira El Ouassil
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
Minimale Ansprüche, maximale Selbstprofilierung: Falsche Entscheidungen trifft der Gesundheitsminister nicht bloß im Eifer des Gefechts – sondern auch ganz unabhängig von einer Notsituation.
Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, spricht auf dem Flug nach Südafrika mit Journalisten

Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, spricht auf dem Flug nach Südafrika mit Journalisten

Foto: Christoph Soeder / dpa

Am Freitag vor dem Pfingstwochenende formulierte Jens Spahn wieder mal einen dieser magischen Sätze, mit denen er regelmäßig die Herzen des Landes verzaubert: »Seien Sie im Zweifel sauer auf mich.«

Wie gnädig und nobel, nicht nur den Bürgerinnen und Bürgern den dumpfen Affekt unterstellen und sich für diesen heroisch zur Frustabfuhr aufstellen, sondern noch mit der gönnigönni Jovialität im Subtext vermitteln, dass das Auf-ihn-sauer-sein-Dürfen ein freiwilliges Opfer sei, das er politisch zur Befriedung bringt, das Gefühl aber eigentlich gar nicht so viel mit ihm zu tun hat. Es ist die formvollendete Nebelkerze, wie sie nur der Bundesgesundheitsminister seit Beginn der Pandemie virtuos in unsere gut belüfteten, aber schlecht gefilterten Diskursräume wirft. Und ich wunderte mich: Gibt es etwa Menschen da draußen, die gegenwärtig nicht völlig frei von Zweifeln NUR noch auf Jens Spahn sauer sind?

Ich auf jeden Fall bin sauer. Und ich bin jetzt 6000 Zeichen lang sauer. Bitte schön. Wie kein anderer Politiker hat er mir im vergangenen Jahr verdeutlicht, dass Minister etymologisch nicht vom lateinischen ministrare (dienen), sondern von mini kommen muss: minimale Ansprüche an sich selbst, maximale Selbstprofilierung.

Sicherlich ist es aktuell nicht unbedingt schwer, sich über einen dauerpräsenten Entscheidungsträger wie ihn zu ärgern, und ich will auch eben nicht in tumbe Politikerschelte verfallen – aber ich muss.

Es haben sich mittlerweile einige Dinge angesammelt, die in mir den Eindruck verfestigt haben, dass Spahn nicht einfach nur ein ungeeigneter Gesundheitsminister ist, der im Eifer des Gefechts einer Notsituation ein paar falsche Entscheidungen getroffen hat, sondern einfach ein ungeeigneter Gesundheitsminister, der falsche Entscheidungen trifft, ganz unabhängig von einer Notsituation.

Goldgräberstimmung bei Schnelltests

Man kann das an einer kleinen, während der Pandemie nicht mal existenziellen Entscheidung veranschaulichen. Das Treffen mit Jan Josef Liefers. Seit Wochen und Monaten betteln Verbände und Personen aus den Gesundheitsberufen um ein Treffen mit dem Gesundheitsminister, aber es wurde der Schauspieler in der »Zeit«. Es war nicht die sinnvollste oder dringlichste Entscheidung, sondern die mit der meisten Sichtbarkeit. Auch beim Verkünden des Wegfalls einer Impfpriorisierung oder des Impfangebotes für Kinder handelt es sich nicht um die pragmatischste Entscheidung oder überhaupt um eine realisierbare – Impfzentren und Praxen sind auf keine dieser beiden Entscheidungen vorbereitet – sondern die tönendste.

Der ärztliche Leiter zweier Impfzentren in Niedersachsen, Jörn Jepsen, kritisiert Spahn genau deshalb. Es fehle den Zentren an Ausrüstung, zum Beispiel feineren Kanülen, mit denen aus den Ampullen sieben statt sechs Impfdosen aufgezogen werden können. Durch das Fehlen dieser simplen Spritzen werden Millionen von Biontech-Impfdosen weggeschüttet  werden müssen.

Der letzte große Aufreger war natürlich die Sache mit den Schnelltests, die offenbar aufgrund fehlender Kontrollen bei einigen Betreibern von Teststellen eine Goldgräberstimmung ausgelöst haben.

Türöffner für die Maskenkorruption

Für mich persönlich war der letzte Tropfen in dieses bodenlose Fass jedoch die Qualität der Schutzmasken, die das Bundesgesundheitsministerium Lebensrettern und -retterinnen zur Verfügung gestellt hat: Ein Teil der FFP2-Masken, die im Winter, wir erinnern uns, eine Hochzeit der Pandemie, an die Arbeitskräfte in Pflegeheimen und Tagespflegeeinrichtungen verteilt wurden, setzten die Trägerinnen und Träger der Gefahr einer Infektion aus.

Die schlechte Qualität der Masken ist unter anderem damit zu erklären, dass aufgrund der großen Nachfrage und Wildweststimmung auf dem internationalen Maskenmarkt Jens Spahn ein »Open House Verfahren« initiiert hat , das bedeutet, dass auch Unternehmen, die normalerweise nicht auf die Produktion von Masken spezialisiert sind, Maskenangebote machen konnten – diese Konstellation war übrigens ein Türöffner für die Maskenkorruption.

Vor dem Hintergrund, dass das Bundesgesundheitsministerium lange Zeit wider besseres Wissen behauptete, Masken brächten nichts, einfach nur um zu kaschieren, dass die Regierung überhaupt keine hatte, erscheint mir der Umstand, dass diese dann in aller Hektik horrend überteuert zusammengekauften Müllmasken, die keinen Qualitätsstandards standhalten, an Pflegeeinrichtungen verteilt worden sind, noch viel perverser. Neben den Millionen an Steuergeldern, die damit komplett versenkt wurden, und den schlechten Masken, die nun im Umlauf sind, komme ich immer noch nicht darüber hinweg, dass ausgerechnet die Personen, die am meisten Schutz und Unterstützung gebraucht hätten, Menschen in Altenheimen, durch Inkompetenz sehenden Auges in Lebensgefahr gebracht worden sind.

Freifahrtschein für das eigene Geisterfahren

Daraus spricht so eine große krasse Gleichgültigkeit Menschen gegenüber, die nicht Jan Josef Liefers sind. Bei den nutzlosen Masken lag übrigens ein Brief des Gesundheitsministeriums, darin stand zu lesen, dass man nicht allein auf Bezeichnungen und Zertifikate vertrauen wolle, sondern auch die Masken selbst getestet und geprüft habe. Aber haften, so stand es ebenfalls in einem Brief, wolle man nicht.

Man könnte behaupten, Spahn hat all die vielen Ärgernisse, die sich angehäuft haben, mit seinem weisen, erfahrenen Blick bereits im April 2020 kommen sehen, als er meinte: »Wir werden miteinander wahrscheinlich viel verzeihen müssen in ein paar Monaten.«

Ich bin mir mittlerweile aber sicher, dass er sich mit dieser Aussage nicht nur selbst einfach einen Freifahrtschein für das eigene Geisterfahren ausstellen wollte, sondern im Grunde nur Verständnis für sich selbst einforderte und für die eigene ideologische Brille, mit der er sein Handeln immer schon als pragmatisch oder irgendwie okay wahrnimmt.

Aus diesem angekündigten Verzeihen (was in einer Pandemie natürlich durchaus angebracht sein kann) ist ein kontinuierlicher, unzugänglicher, autoaffirmativer Regierungsstil geworden, mit dem er sich vermutlich an großen politischen Vorbildern wie Andreas Scheuer oder Friedrich Merz zu orientieren scheint. Es ist eine Art Variation dieses laschethaften »Hinterher ist man ja immer schlauer«-Mantras, mit dem man die eigene Kritikunfähigkeit zelebriert und zugleich verkündet, dass man kein Interesse an Reflexion, Selbsterkenntnis und der Meinung anderer hat.

Während Spahn beständig beteuert, dass man in einer Notsituation nur so handeln könne, wie man aufgrund der Dringlichkeit der Notsituation eben handeln könne, wie man also handle, und alle Entscheidungen alternativlos seien, und man doch mal damit zufrieden sein solle, dass überhaupt etwas passiert, ist er selbst zu einer einzigen Notsituation geworden.

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