Samira El Ouassil

Corona-Kommunikation Was passiert gerade genau in der Krise – und warum?

Samira El Ouassil
Eine Kolumne von Samira El Ouassil
Nur noch drei statt sechs Monate: Der Bundesrat hat den Genesenenstatus von heute auf morgen halbiert. Als Bürger und Bürgerin aber wünscht man sich mehr Einordnung und Aufklärung. Denn Transparenz schafft Akzeptanz.
2-G-Hinweis in einer Einkaufspassage (Symbolbild)

2-G-Hinweis in einer Einkaufspassage (Symbolbild)

Foto: Daniel Reinhardt / picture alliance/dpa

In Douglas Adams absurdem Sci-Fi-Werk »Per Anhalter durch die Galaxis« erfährt der Protagonist Arthur Dent kurz vor der Zerstörung der Erde, dass er aus galaktisch-bürokratischer Sicht eigentlich alle Möglichkeiten gehabt hätte, um sich über diese Sprengung im Rahmen des Baus einer Hyperraum-Expressroute zu informieren. Als er moniert, dass man das doch nicht einfach so machen könne, erklärt man ihm, dass die Planungsentwürfe ja lange öffentlich und für alle zugänglich ausgelegen hätten. »Jaja«, erwidert er in Bezug auf die Bekanntmachung, »in einem verschlossenen Aktenschrank, in einem unbenutzten Klo, an dessen Tür stand: Vorsicht, bissiger Leopard.«

So oder so ähnlich erging es in der vergangenen Woche eventuell auch einigen genesenen Bürgerinnen und Bürgern, die sich darüber wundern mussten, warum sie plötzlich nicht mehr als genesen gelten. Am Freitag hat der Bundesrat neue Maßnahmen verabschiedet, deren vielleicht wichtigste Änderung die Menschen betrifft, die im letzten halben Jahr eine Corona-Infektion überstanden haben. Ihr Status als Genesene war bis dato sechs Monate gültig, nun wurde diese Zeit von heute auf morgen halbiert. Diese neue Regel veröffentlichte das Robert-Koch-Institut am Freitag auf seiner Homepage, seit Samstag ist sie gültig. Anders ausgedrückt: alle Genesungszertifikate, die älter als drei Monate sind, sind seit dem Wochenende ungültig. Herbst-Infizierte haben von jetzt auf gleich denselben Status wie Ungeimpfte, was natürlich erheblichen Einfluss auf das tägliche Leben, auf den Zugang zu Räumen in denen die 2G-Regel gilt oder auf Einreisebestimmungen nimmt – vor allem, wenn es auch noch ohne Ankündigung, Planbarkeit oder irgendeine Form von Transferzeit erfolgt. Auch für Handelsverbände kommt diese Information einer Überrumpelung gleich, ebenso wie für Menschen in Gesundheitsberufen, für welche diese Regeländerung elementar Einfluss auf ihr Arbeitsleben nimmt. Neben der unglücklichen Kommunikation helfen auch die nun wie nachgereicht wirkenden Quellen für die Begründung dieser Verkürzung auf drei Monate nicht viel weiter (im Grunde sind es übrigens eigentlich auch nur zwei Monate, weil das Datum der positiven Testung mindestens 28 Tage zurückliegen muss, bevor dann für die verbliebenen 62 Tage dieser drei Monate der Status als Genesener greift). Vom RKI heißt es zu dieser Verkürzung: »Die Dauer des Genesenenstatus wurde von sechs Monate auf 90 Tage reduziert, da die bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion einen im Vergleich zur Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer erneuten Infektion mit der Omikronvariante haben 

Nuschelige Vermittlung

Das Institut beruft sich also auf den gegenwärtigen Forschungsstand und auf den Rat der Ständigen Impfkommission, die in ihrem aktuellen Bulletin »nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion eine einmalige Impfstoffdosis mit einem Abstand von mindestens 3 Monaten zur Infektion« empfiehlt .

Sie erklärt in dieser offiziellen Verlautbarung aber auch: »Die Stiko betont, dass es sich bei dem gewählten Abstand von frühestens 3 Monaten um das Ergebnis einer Abwägung handelt, bei der die dann einsetzende Reduktion der Schutzwirkung der Grundimmunisierung, aber auch das Fehlen von Daten zur Dauer der Schutzwirkung der Auffrischimpfung gegenüber der Omikron-Variante berücksichtigt wurden. Die Stiko weist darauf hin, dass diese Empfehlung auf Basis einer derzeit begrenzten Datenlage getroffen wurde.«

Als weitere Quellen zur Begründung der neuen Regel wurde zudem auf eine britische Studie  und auf einen Bericht der britischen Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency (UKHSA) verlinkt, in diesen Dokumenten werden die drei Monate allerdings nicht erklärt .

Diese Strategie- und Regeländerung auf Grundlage einer Empfehlung ist hierbei nicht das von mir Kritisierte, sondern vielmehr ihre nuschelige Vermittlung und die mangelnde Transparenzmachung, die schon fast an Fahrlässigkeit grenzt. Hinzu kommt ein verrutschtes Timing beim Kommunizieren dieser relevanten Informationen, die unmittelbaren und existenziellen Einfluss auf die alltägliche Mobilität und Arbeitssituation vieler Menschen nehmen.

Halten Sie auf jeden Fall ihre Handtücher bereit

Ebenso verhält es sich mit der Benachrichtigung, dass Menschen, die mit Johnson und Johnson geimpft wurden, nun nicht mehr als »vollständig geimpft« gelten – eine wissenschaftlich nachvollziehbare Entscheidung, die jedoch zu kurzfristig und zu untererklärt versendet wird, in der Hoffnung, dass alle Betroffenen schlau und schnell genug sind, um diese Auskunft beispielsweise durch einen täglichen Besuch der RKI-Seite und Lektüre aller Bulletins zu beziehen – um eben nicht wie Arthur Dent von der Veränderung des eigenen legalistischen Zustands überrumpelt zu werden.

Ein weiteres Beispiel ist nun die Anpassung der Teststrategie, die derzeit besprochen wird, um die komplett überlasteten Labore zu unterstützen. Auf Antrag des Landes Berlins beraten die Gesundheitsminister, die PCR-Tests zu rationieren: Personen mit einer symptomfreien Corona-Infektion, die einen positiven Schnelltest haben, sollen keinen PCR-Test als Bestätigung in Anspruch nehmen; ebenso Personen, deren Corona-Warn-App rot aufleuchtet, sie sollen in Zukunft nur den Schnelltest machen. Anstatt die Laborkapazitäten also auszubauen, sollen einfach weniger PCR-Tests gemacht werden – ein Verfügbarkeitsproblem also, dessen Lösung das ungenaue Schnelltesten durch die akute Omikron-Welle werden soll. Das wäre eine massive Kursänderung der Teststrategie – zum Nachteil unserer Informationslage über das pandemische Geschehen, sowie erneut ein Faktor, der Ungerechtigkeiten befördert. Und auch hier erwarte ich selbstredend mehr politische Kommunikation und Vermittlungsarbeit, die mir erklärt, warum während einer Pandemie nicht mehr ausreichend getestet werden kann. Die Antwort kann ja wohl nicht, wie bei Douglas Adams, 42 sein.

Wir befinden uns offensichtlich in einer strategischen Übergangsphase, insbesondere mit Blick auf die durch Omikron diktierten Neuentwicklungen, oder wie Douglas Adams vielleicht sagen würde: halten Sie auf jeden Fall ihre Handtücher bereit. Und genau in diesen Transitmomenten einer vor allem re-agierenden Regierung wünscht man sich als Bürger und Bürgerin umso mehr Einordnung und Aufklärung, die über ein »Keine Panik!« hinausgeht. Der Informationsauftrag ist simpel, es müssen insbesondere die beiden folgenden Fragen beantwortet werden, immer und immer wieder: Was passiert gerade – und warum? Wenn Transparenz mehr Akzeptanz schaffen kann, dürfen Maßnahmen und neue Regelungen nicht so verhuscht an uns vorbeigeplant werden wie eine galaktische Hyperraum-Expressroute.

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