"Die Zerstörung der Presse" Was Rezo sagt

YouTuber Rezo (Archivbild)
Foto:Henning Kaiser/ dpa
Es soll Leute geben, die von den einfachsten Dingen keine oder nur eine nebulöse Ahnung haben. Was gehört in eine Linsensuppe? Wie nähe ich korrekt einen Knopf an? Der kürzeste Weg, sich hier so effizient wie diskret das nötige Wissen zu verschaffen, führt zu YouTube. Dort wartet neuerdings Rezo und erklärt eine volle Stunde lang , was falsch läuft in der Presse. Und was richtig wäre.
Medienkunde für "Dummies" sozusagen. Wobei "Dummies" nicht dumm sind, aber Aufklärung ein Langzeitprojekt am nachwachsenden Subjekt ist. Junge Menschen hören zu, wenn Rezo spricht, weil er das nicht ganz so hüftsteif tut wie der "Tagesthemen"-Kommentator im grauen Anzug.
Der audiovisuelle Essay mit dem Titel "Die Zerstörung der Presse" ist in Vehemenz, Präzision und Aufmachung angelehnt an "Die Zerstörung der CDU", mit dem Rezo vor Jahresfrist die großen Volksparteien ins Schwimmen gebracht hat. Gleiches gelingt ihm hier mit den etablierten Medien, wenn man die empfindlichen Reaktionen von Julian Reichelt ("Bild") und Jasper von Altenbockum ("FAZ") auf Twitter richtig interpretiert.
Bevor der ganze Irrsinn los geht, lieber @rezomusik : Ich bin dieses schreckliche Millenial-Social-Media-Deutsch so leid. „Die Zerstörung der...“ Jetzt Medien, vermutlich BILD. Sei froh, dass es Medien gibt, Rezo. Sei froh, dass nicht alle denken wie Du. Sei froh, dass Medien...
— Julian Reichelt (@jreichelt) May 31, 2020
Frei erfundener Quatsch über Königshäuser ist keine Kleinigkeit
Sein rhetorischer Kniff ist diesmal eine Engführung von "Verschwörungsgläubigen" mit Teilen des Journalismus. So durchschaubar die Wahngebilde von Gestalten wie Attila Hildmann, so evident sind beispielsweise die Lügen der Regenbogenpresse. Frei erfundener Quatsch über Königshäuser seien eben keine Kleinigkeit, sondern liederlich. Er gewöhne die Leserschaft an die Präsenz des Falschen und befördere damit die Erosion der Wahrheit. Stimmt sowieso nicht, was in den Zeitungen steht!
Perfider sei, was die "Bild"-Zeitung treibt. Opferschutz ist für den Boulevard nachweislich kein Thema. Und was ein Thema sei, möglicherweise ein Aufreger und damit ein Aufmacher sein könnte, das bekomme durch suggestive Formulierungen erst den gewünschten Drall - indem etwa spekulative Behauptungen in Frage gekleidet würden oder gleich im Konjunktiv daherkämen. Auch Quellen würden allzu selten angegeben und oft genug durch Raunen ersetzt.
Eine vierte Gewalt, die sich selbst und ihre Leserschaft nicht ernst nimmt, wird die fünfte Kolonne des Wahnsinns nicht aufhalten können. Im schlimmsten Fall wird sie mit eigenen Lügen und tendenziöser Berichterstattung den Irren sogar die Schneise schlagen, durch die diese marschieren könnten.
250 Quellenangaben
Was Rezo sagt, stimmt alles. Seine Recherchen sind tadellos. Wer daran zweifelt, kann die mitgelieferten Nachweise für jede einzelne Tatsachenbehauptung studieren. Es sind 250 Quellen. Nicht wenige Journalistinnen und Journalisten hatten kritisiert, dass ausgerechnet "der YouTuber" mit einem der renommierten Nannen-Preise (in der Kategorie "Web-Projekt") geehrt wurde. Sein neues Video belegt, wie angemessen diese Entscheidung war.
Was Rezo sagt, sagt er in diesem "schrecklichen Millenial-Social-Media-Deutsch" (Edelfeder Julian Reichelt via Twitter), das seine Follower verstehen. Mit schicken Anglizismen hier und da. Es verkündet nicht die Bundeszentrale für politische Bildung, es plaudert der große Bruder - oder eben der kleine Bruder, der sich mit "diesem Internet" besser auskennt.
Was Rezo sagt, sagt er auf eine sehr unterhaltsame Weise, unterlegt mit elektronischer Musik, beschleunigt durch dezente Filmschnitte. Kaum einer seiner Gedanken ließe sich ohne Korrekturen am Satzbau zitieren, was aber keine Rolle spielt. Der 27-Jährige spricht ohne Teleprompter. Er ist spürbar getrieben von der Dringlichkeit seines Anliegens ("Verkackt es nicht!"), nicht von elitärem Vergnügen an der eigenen Brillanz oder Relevanz.
Was Rezo sagt, ist aber auch bekannt.
In der Branche ohnehin, die vielleicht fester zusammenhält in Zeiten dünkelhafter Anwürfe von rechts, als ihr guttut. Es ist aber auch dem Publikum bekannt. Selbst die "Bild", hier unterliegt Rezo einem Irrtum, hat keine "Follower", wie "der YouTuber" sie hat. Der Boulevard hat - noch - etwas viel Altmodischeres, nämlich eine Leserschaft, und die ist nicht annähernd so blöde, wie ihre Macher bisweilen böswillig sind.
Wenn die Branche von Krähen bevölkert wird - was ist dann Rezo?
An der Triftigkeit seiner Kritik ändert das nichts. Diese Kritik ist so alt wie der Journalismus selbst, der wiederum exakt so alt ist wie seine schlimmsten Fehler. Kaum stand die erste Druckerpresse, wurden Räuberpistolen und Verschwörungstheorien gedruckt und in Umlauf gebracht. Die waren in der Frühen Neuzeit allerdings schwerer zu falsifizieren, als sie es 2020 sind.
Rezo repräsentiert weniger eine diffuse "Generation YouTube" als vielmehr eine konkrete Kohorte, die sich mit diesen strukturellen Fehlern nicht mehr abfinden muss. Weil es, ein wenig guten Willen vorausgesetzt, technische Mittel und Wege gibt, den Fehlern mühelos auf die Schliche zu kommen. Weshalb dieses Video keine Zerstörung ist, sondern eine Liebeserklärung.
Wenn die Branche wirklich von Krähen bevölkert ist, die einander kein Auge aushacken möchten - was ist dann Rezo? Vielleicht ist er der freundliche Paradiesvogel vom benachbarten Baum. Dort hockt er, aus Sicht des Schwarms aufreizend unabgefuckt, und singt besser als einige der Krähen.