TV-SPIEL Komplott gegen Genossen
Das Stück spielt vor dem Ersten Weltkrieg im Ruhrgebiet. Es geht auf einen 1928 erschienenen Roman gleichen Titels zurück. Die Handlung ist fiktiv. So, als nicht reale Story von dazumal, ließ sich »Die Tannerhütte« mit ihrer Kohlenpottkulisse, mit ihrem Arme-Schlucker-Mief und Feine-Leute-Duft leicht als filmisches Naschwerk herrichten.
Tatsächlich ist das Fernsehspiel glänzend inszeniert, aber sein Hochglanz trügt. Auch Bomben passen in Bonbonnieren. So wird mit Roben und Dekors gewuchert wie im teuren Kino. So prangt die »Tannerhütte«, die 1974 unter Denkmalschutz gestellte Maschinenhalle der Zeche Zollern II/IV in Dortmund-Bövinghausen, als feste Burg kapitalistischer Baugesinnung auf dem Bildschirm. Die Herrenzimmerpracht in der Industriellen-Villa ist so eklig kalt wie die Glätte ihrer Leder-Fauteuils. Und durch viele Szenen aalt sich die Musik wie von einem Gustav Mahler zweiter Hand.
Doch dieser Augen- und Ohrenschmaus entpuppt sich als Sprengsatz, die »Geschichte einer Utopie« aus der sozialhistorischen Ablage explodiert zum Aufklärungsfilm von aktueller Brisanz, weil das Regisseur-Duo Lüdcke/Kratisch »die ganze Mitbestimmungs-Kiste von heute« ausgeplündert hat. So fliegen mal wieder klassenkämpferische Fetzen um den medienpolitischen Fetisch Ausgewogenheit.
Der Stahlwerk-Besitzer Baron von Tanner braucht für einen zusätzlichen Hochofen und eine neue Walzstraße Geld. Statt das Unternehmen, wie branchenüblich, in eine Aktiengesellschaft zu verwandeln und dann »an den Börsen in London und der Wallstreet über mein Werk entscheiden« zu lassen, macht der adlige Idealist die Kumpel zu Mitbesitzern und die Firma zur Genossenschaft. Michael Quast, ein Berliner Ökonom, beschafft das notwendige Kapital von der Gewerkschaft und hofft so, seinen Glauben an den friedlichen Wandel vom Kapitalismus zum Sozialismus bestätigt zu sehen.
* Mit (v. l.) Christoph Felsenstein als Quast. Grischa Huber als Frau Quast, Paul Dahlke als Baron Tanner.
Doch das Syndikat der Eisen- und Stahlproduzenten ächtet das Experiment als Dolchstoß gegen das freie Unternehmertum und schmiedet ein Komplott. Dank interner Machenschaften gerät das Werk in Liefer- und Geldschwierigkeiten, vor der drohenden Pleite wird reprivatisiert, die Arbeiterbewegung endet an einer hilflos aufgetürmten Barrikade vor der »Tannerhütte«, in die nun doch die ehrenwerte Gesellschaft der Bosse einzieht.
Nach der Romanvorlage des Berliner Handelsredakteurs Felix Pinner (1880 bis 1942) hat der Hör- und Fernsehspielautor Peter Stripp, durch seinen preisgekrönten Emanzipationsfilm »Hilde Breitner« als einfühlsam-präziser Beobachter des Arbeitermilieus bekannt, ein schlüssiges, unreißerisches Drehbuch geschrieben, ohne verblasene Theorien und platte Schlagwörter. Stripp läßt Menschen, nicht Parolen sprechen.
Für die bislang erfolgreichsten Film-Anwälte der Arbeiterschaft, die seit acht Jahren koproduzierenden Regisseure Lüdcke und Kratisch, war »Die Tannerhütte«, nach den »Wollands« und »Lohn und Liebe«, der erste historische und nicht selbst verfaßte Stoff. Ihre Absicht ist eindeutig: Sie wollen »so etwas wie ein Klassenbewußtsein herstellen«, zu wem sie halten, steht nie in Frage. Doch ihre Wölfe sind nicht bloß gefräßig, ihre Schafe nicht nur Schlachtvieh des Systems. Der hervorragend besetzte Film, sicher ihre zugleich aggressivste wie leiseste Arbeit, ist auf sanfte Weise schneidend.