Konsum für die Nation
Als ich in die Zelle gebracht wurde, erhob sich ein dickleibiger Mann ächzend von der zweiten Pritsche, wobei ein paar Kaviar-Kügelchen von seiner Wolldecke rollten. »Weswegen sind Sie hier?« fragte er und stellte das Sektglas aus der Hand.
»Konsumverweigerung und Sparen im Wiederholungsfall«, sagte ich.
»Aha, Lex Schmidt«, sagte er und bot mir eine dickleibige Zigarre an. Als ich ablehnen wollte, sah er mich mitleidheischend an.
»Bitte nehmen Sie doch. Ich bin nämlich im Revisionsverfahren dazu verurteilt worden. meinen Sparstrumpf zu leeren, und zwar in verschärfter Form. Ich habe die Mindeststrafe bekommen und muß in drei Monaten alles Ersparte auf den Kopf gehauen haben«
»Nein, danke«, sagte ich und dachte daran, daß ich meine eigenen Ersparnisse innerhalb eines halben Jahres der deutschen Konjunktur zuzuführen hatte.
»Wie ist es denn bei Ihnen soweit gekommen?« fragte mein Zellengenosse und schob sich eine Scheibe Salami in den Mund.
»ich wurde sozusagen auf frischer Tat ertappt«, sagte ich. »Auf der Sparkasse. Als ich fünftausend Mark einzahlte.«
»Schädigung der Konjunkturbelebung«, warf mein Nachbar kauend und fachmännisch ein.
»Erschwerend kam noch hinzu, daß die Polizei hei meiner Festnahme meinen sieben Jahre alten Gebrauchtwagen entdeckte.«
»Behinderung der deutschen Autoindustrie.
»Stimmt genau.« Ich lehnte dankend auch seine Salami ab, klingelte statt dessen und ließ mir durch den Wärter getrüffelte Gänseleber bringen.
Während mich ein vaterländisches Sodbrennen überkam, erläuterte ich: »Und außerdem habe ich gegen das Kaufhausgesetz verstoßen. Ich konnte für drei Wochen keine Bescheinigung für größere Einkäufe vorweisen.«
»Guter Gott«. warf mein Nachbar ein, während er eine Havanna mit seiner Hand zerkrümelte. »Das kann sogar die Verurteilung zum Kauf einer Eigentumswohnung einbringen. Gesetz über die Behebung der Konjunkturflaute im Baugewerbe.«
»Und Sie?« fragte ich ihn.« Wo haben Sie es an Konsum fehlen lassen?«
»Bei mir liegen die Dinge komplizierter. Ich bin das Opfer einer anderen Ära. Ich wurde vor zwei Jahren als Prasser wegen Inflationsanheizung zu zwei Monaten Konsumverzicht verurteilt und lebte hier glücklich bei Wasser und Brot.
Er blickte versonnen und verträumt bei dem Gedanken an diese Zeit ins Leere.
»Kaum entlassen«, fuhr er fort, »schenkte ich meinem Sohn zum bestandenen Abitur einen Sportwagen und wurde daraufhin wegen Ölkrisenvergehens erneut hinter Schloß und Riegel gebracht. Es war verschärfte Haft mit Sonntagsfußmärschen von vier Stunden. Doch dann kam die Konjunkturkrise, und seit der Zeit werde ich hier auf meine alten Laster«, er unterbrach und räusperte sich. »auf meine alten Tugenden umgeschult«
»Und wie ist es hier so?« fragte ich.
»Schrecklich«, sagte er. »Die Gefängnisläden sind rund um die Uhr geöffnet. An Sonn- und Feiertagen werden wir in Spielkasinos und Bordellen zwangsausgeliehen und müssen am Abend ins Theater. Es gibt entweder Raimund, den »Verschwender«, oder aber, zur Abschreckung, den »Geizigen« von Molière.
»Und wer liegt im dritten Bett?« fragte ich und deutete auf die jugendstilige dritte Pritsche.
»Ein notorischer Fußgänger und Prämiensparer«, sagte mein ewig mampfender Nachbar. »Und stellen Sie sich vor, er ist zur VW-Hilfe verurteilt und muß deshalb pro Tag zwanzig Parklücken bewältigen.«
Ich warf mich aufs Bett und steckte ein neues Fünfmarkstück in den Schlitz des Fernsehautomaten.
Es lief eine Übertragung aus dem Kabinett. Die Ministerrunde beim Prassen. Allen voran der Kanzler, der mehrere Menthol-Zigaretten auf einmal rauchte, dazu Pfefferminz lutschte und sein Pfeifensortiment vor sich ausgebreitet hatte.
Neben den Finanzminister trat ein Pferd und aß aus einer goldenen Schüssel.