FRIEDRICH GEORG JÜNGER Kopfschüsse
Mir war«, so umschreibt der 60jährige Dichter und Essayist Friedrich Georg Jünger seine Stimmung während der letzten Jahre vor Hitlers Machtübernahme, »wie einem Fisch in der Pfanne, der aufschnellt, weil er spürt, daß Feuer unter ihm ist. Ich sah diese Pfanne manchmal vor mir; sie war aus blankem Kupfer, war auch die Stadt Berlin, war, wie ich endlich herausfand, samt Feuer und Fisch nichts anderes als ich selbst.«
Dieses Geständnis macht Friedrich Georg Jünger, Bruder des »Marmorklippen« -Autors Ernst Junger, im zweiten Band seiner Erinnerungen, der kürzlich erschienen ist*. In diesem Band berichtet Friedrich Georg Jünger über die Jahre zwischen 1928 und 1935 - also über jene Zeit, in der er sich endgültig entschloß, seine bürgerliche Karriere - er promovierte zum Dr. jur. - abzubrechen und Dichter zu werden.
Zweifel an seiner Eignung zum Juristen waren ihm schon während des Studiums gekommen. Ich erkannte, daß ich weder Richter noch Anwalt werden konnte«, schrieb Friedrich Georg Junger in seinen Jugenderinnerungen »Grüne Zweige«. Der »Hang nach Selbständigkeit und Unabhängigkeit« veranlaßte ihn, im Januar 1928 nach Berlin zu übersiedeln.
»Unruhe schuf mir das nicht«, kommentiert Jünger diesen Schritt in seinem neuen Buch, »da ich für meinen Unterhalt wenig brauchte und mit geringen Summen auskam.« Der Vorteil: In Berlin traf Jünger mit seinem um drei Jahre älteren Bruder Ernst zusammen. Das war notwendig, wie beide Brüder glaubten, und Friedrich Georg formulierte, »weil unser Gespräch keine Unterbrechung duldete und wichtiger wurde, da neue Wahrnehmungen, neue Gedanken unablässig in ihm auftauchten.«
Das Gespräch der Jünger-Brüder bezog sich auf dreierlei: auf das Phänomen der Technik, auf den heraufkommenden Nationalsozialismus und auf die Frage, wie man sich beidem mit Würde entziehen könne. Im Berlin der Vorhitlerzeit glaubten die beiden Jünger sich in dieser Hinsicht am besten orientieren zu können, denn: »Von der Gegenwart wollte hier niemand etwas wissen; jeder sann auf Veränderungen und richtete sich auf Zukünftiges ein. Das gab der Stadt etwas Chaotisches, wie es an großen Baustellen sichtbar ist.«
Gemeinsam war den Brüdern die mystische Vorstellung, die Welt würde in den kommenden Jahren von einem Taifun heimgesucht. Da sowohl Ernst wie auch Friedrich Georg Jünger nicht in Begriffen, sondern immer in Bildern zu denken pflegen - was der Leser ihrer Bücher bald erkennt -, ließen sie sich dazu hinreißen, die Taifun-Vorstellung wörtlich zu nehmen. Sie wähnten, daß nur in dessen Zentrum Ruhe und relative Sicherheit sei.
»Gunst und Ungunst des Ortes, an dem ich mich befand, erkenne ich erst heute«, gesteht Friedrich Georg Jünger. »Damals konnte ich nicht wissen, welchen Gewinn ich aus meinem Aufenthalt zog. Ein starkes Bedürfnis in mir war, Klarheit über mich zu gewinnen, doch gewinnt niemand diese ohne andere.«
Klarheit über sich fand Friedrich Georg Jünger freilich weniger mittelbar durch Berlin und durch Gespräche mit Vertretern der damaligen Kulturprominenz - wie etwa dem marxistischen Theoretiker Ernst Nickisch, dem »Fragebogen«-Autor Ernst von Salomon, dem heute prominenten Ostzonen-Kritiker Arnolt Bronnen und dem Nietzsche-Interpreten Alfred Baeumler - als vielmehr durch das, was er »Gegenbilder« nennt.
Jünger schreibt: »Die Stadt rief Bilder in mir hervor, die ihr nicht angehörten: Gegenbilder waren das. Inmitten ihres Menschengewühls stiegen Landschaften in mir auf, Gebirge, Wälder, Inseln vor allem, leuchtende und spiegelglatte Wasserflächen, Ufer, in die die Zweige hineinhingen ... Menschenleer waren die Landschaften, unberührt und lautlos, wie Bilder sind. Sie kamen von selbst, am ehesten dort, wo der Verkehr am stärksten war.«
Im Gegensatz zu seinem Bruder Ernst, über den der »Völkische Beobachter« 1934 schrieb, er nähere sich der Zone der Kopfschüsse, hat sich Friedrich Georg Jünger nie politisch engagiert. Er glaubte »schon als Kind« begriffen zu haben, daß er »kein Liebling Fortunas« war, und verschwor sich deshalb dem Fatalismus, mit »dem man sehr zu Unrecht ... oft die Vorstellung einer gewissen Trägheit und Willensschwäche verbindet, denn er berührt den Willen gar nicht«. Jünger konstatiert: »Ein Mensch von großer, willensmäßiger Kraft wird dadurch nicht schwächer, daß er sich ganz als Werkzeug in der Hand einer undurchdringlichen, höheren Macht fühlt, die Beispiele lehren vielmehr, daß er daraus ungemeine Kräfte zieht.«
Friedrich Georg Jünger hoffte zu Beginn des Dritten Reiches, wie Jüngers eifrigster Interpret, der Literarhistoriker Armin Mohler, glaubt, nichts Geringeres, als »den Koloß von innen her durchdringen zu können«. Jünger bediente sich, um den Machthabern möglichst unauffällig zu bleiben, des Kunstgriffs, die aktuellen Themen seiner Bücher in historische Stoffe zu kleiden.
Allerdings half ihm das wenig. Von Jüngers Gedicht »Der Mohn« - einer lyrischen Gestaltung des trunkenen Irrsinns - fühlten sich die Machthaber des Dritten Reiches unmittelbar angesprochen, und sie ordneten eine Haussuchung durch die Gestapo an. Friedrich Georg Jünger - er ist Junggeselle und legt seinen Stolz darein, stets reisefertig zu sein - gab sein Berliner Pensionszimmer auf und zog sich in das stille Bodensee-Städtchen Überlingen zurück.
In aller Stille - über Friedrich Georg Jünger war Schreibverbot verhängt, und von seiner Existenz konnten seine Leser nur noch durch des Bruders Kriegstagebuch »Gärten und Straßen« etwas erfahren - arbeitete er an jenem Buch, das bei seinem Erscheinen 1946 in der Fachwelt und bei den Laien Aufsehen erregte und bis 1953 viermal neu aufgelegt werden mußte: an seinem großen Essay »Die Perfektion der Technik«.
»Ganze Equipen junger Wissenschaftler sind seither darauf angesetzt worden, die Thesen dieses gefährlichsten aller technikfeindlichen Bücher zu widerlegen«, schrieb Armin Mohler kürzlich in der Hamburger Wochenzeitung »Die Zeit«. »Aber die Diskussion hing in der Luft, weil man in Friedrich Georg Jünger einen 'Bilderstürmer' erkannt zu haben glaubte.«
Freilich bestand Friedrich Georg Jüngers Sakrileg gegenüber dem - wie er es nennt - »Krampfhaften der Zeit« kaum in etwas anderem als darin, daß er die Thesen, die sein Bruder Ernst 1932 in seinem Buch »Der Arbeiter« niederlegte, pessimistisch durchsetzte: Friedrich Georg Jünger fürchtete, der Einzelmensch büße dadurch, daß er sich ganz für die Perfektionierung des technischen Apparates einsetzt, mehr und mehr seine persönliche Freiheit ein.
Was Jünger als Alternative zur »Arbeitswelt« vorzuschlagen hat, legte er 1953 in seinem Essay »Die Spiele« vor. »Wer analysiert«, behauptete er, »der hat nicht nur sein eigenes Spiel' eingestellt, er verhindert und stört auch das Spiel anderer.« Spiel - und auch die künstlerische Gestaltung ist für ihn eine besondere Art von Spiel - beruhte auf etwas, was Jünger geheimnisvoll »Ahmung« nennt.
Friedrich Georg Jünger floskelte wie der von ihm verehrte Existentialphilosoph Martin Heidegger ("Holzwege"), um klarzumachen, was er meint: »Zu dem Abbilden, bei dem die Ahmung selbst abgebildet wird, gehört alles Abbilden einer Ebenbildlichkeit. Hier reicht keinerlei Geschicklichkeit hin. Dem, was wir Art nennen, geht immer die Abbildung eines Ebenbildes voraus ... Jemand, der keine Art hat, bildet nicht ebenbildlich ab.«
Wie schon in dem Erinnerungsbuch »Grüne Zweige«, so auch in dessen Fortsetzung »Spiegel der Jahre« stellt Friedrich Georg Jünger freilich weniger sich und seine Umgebung als vielmehr deren Glorifizierung ebenbildlich dar, wobei er besonders hohe Achtung den Angehörigen der Familie Jünger entgegenbringt.
Die Beobachtungsgabe seines Bruders Ernst zum Beispiel führt er auf dessen »Indianeraugen« zurück. »So wie der Indianer auf dem Kriegspfad zog er aus winzigen Spuren Schlüsse, die mich erstaunten«, berichtet Friedrich Georg Jünger voller Bewunderung, und er glaubt, andere Menschen neideten seinem. Bruder diese Eigenschaft: »Sein waches Sehen, das mit einem sehr hellen Bewußtsein zusammenhing, vermochte diejenigen zu beunruhigen, die ihm nicht gewachsen waren, und konnte sie verletzen; denn ein dumpfes Bewußtsein leidet schon durch die Nähe des helleren, ein Verhältnis, auf dem viele Feindschaften beruhen.« Eine ähnlich hohe Meinung hat Friedrich Georg Jünger auch von seinem - 1943 verstorbenen - Vater. Jünger glaubt, die Persönlichkeit seines Vaters - er war Apotheker in Hannover, Amateur-Astronom und Sonderling - übe noch heute eine nachhaltige Wirkung auf ihn und seinen Bruder Ernst aus. »Indem er mit uns sprach«, erinnert sich Friedrich Georg Jünger, »und auf seine Neigungen zurückkehrte, stopfte er uns Kindern den Kopf voll mit einem Wissen, das sehr verzweigt war und ins Entlegene, ja Wunderliche ging.« Sohn Friedrich Georg gesteht: »Daraus formen sich noch heute Figuren und Kombinationen in meinem Kopf.«
Diesen Mann, an dem Friedrich Georg Jünger viele der Eigenschaften wiederzuerkennen glaubt, die auf ihn und seinen Bruder Ernst überkommen sind, dürfe man sich nicht »als Patriarchen vorstellen ... In diesem Sinne war er kein Hausvater, kein Ehemann mehr«. Er habe »mehr Sachkenntnis als Menschenkenntnis« besessen und zu Hause das Leben eines Einsiedlers geführt.
»Im Hause trug er stets einen weißen Kittel«, erinnert sich Friedrich Georg Jünger nicht ohne Bewunderung für den romantischen Sonderling. »In der Morgendämmerung, wenn er zur Post ging und seine Briefe holte, zog er den weißen Kittel über das Nachthemd und ging in Sandalen, mit bloßen Füßen durch die Straßen, es mochte Sommer oder Winter sein, schneien oder regnen.«
Daß im Zeitalter der Massengesellschaft eine glorifizierende Darstellung der Jüngerschen Familiengeschichte und Eigentümlichkeiten nicht unbedingt zeitgemäß ist, mußte auch der Literarhistoriker Armin Mohler empfunden haben. In seiner Besprechung des Erinnerungsbuches »Spiegel der Jahre« schrieb er - und bewies dabei eine ähnliche Neigung zur Glorifizierung wie sein Schutzbefohlener - ausweichend: »Kaum ein anderer Dichter steht so eindeutig und selbstverständlich außerhalb 'unserer Zeit' wie Friedrich Georg Jünger ... Die einfachen, gesättigten Bilder senken sich nur dem ein, der 'abzuschalten' weiß.«
* Friedrich Georg Jünger: »Spiegel der Jahre«; Carl Hanser Verlag; München; 276 Seiten: 13,80 Mark.
Analytiker Ernst Jünger
»Zum Abbilden der Ahmung gehört ...
Lyriker Friedrich Georg Jünger
... alles Abbilden einer Ebenbildlichkeit«