AUTOMOBILE / ELEKTRO-ANTRIEB Kräftiger Mischling
Sanftes Summen statt des Röhrens in den Asphaltschluchten, kein Ärger mit morgendlichen Kaltstarts, weniger Pannen auf der Landstraße und endlich reine Luft für Städter -- die Propheten der Technik malen in Pastelltönen, wenn sie den überfälligen Umsturz auf den Straßen schildern: die Revolution durch das Elektro-Auto.
»Die technische Lösung«, verkündete noch im Frühjahr Edward N. Cole, ein Vizepräsident von General Motors, dem größten Automobilkonzern der Welt, »liegt mindestens 20 Jahre fern in der Zukunft.« Cole formulierte die Routine-Auskunft der Benzinauto-Hersteller.
Vorletzte Woche aber regten sich wieder Zweifel -- ob nicht die abgasfreie Zukunft doch näher liege, als die Benzin-Branche wahrhaben will.
Die Meldung kam aus Syracuse im US-Staat New York und barg eine Sensation: General Electric, Amerikas größter Elektrokonzern, verfüge über ein Elektro-Auto, das allen bisherigen Modellen »weit überlegen« sei. Es werde derzeit »unter Geheimhaltung« getestet und könne »innerhalb eines Jahres bis zur Serienreife« entwickelt werden.
Urheber der Nachricht war ein Mann, der den Automobilkonzernen in Amerika schon mehr als einmal Ungemach bereitet hat: Rechtsanwalt Ralph Nader, 33, seit zwei Jahren Schrittmacher in einem massiven und erfolgreichen Aufklärungs-Feldzug gegen die mangelnde Sicherheit amerikanischer Autos.
Leistungsdaten des neuen Geheim-Vehikels von General Electric« laut Nader:
> Reichweite ohne Nachladen der Batterien: 320 Kilometer;
> Aufladezeit für die Batterien: acht Minuten;
> Spitzengeschwindigkeit: 130 Stundenkilometer.
Durch immer dringlichere Appelle suchen Amerikas Stadtplaner und Gesundheitsbeamte das Zeitalter des abgasfreien Autoverkehrs herbeizuzwingen, nachdem sich erwiesen hat, daß die giftschwangeren Dunstglocken über den Städten zu 50 bis 90 Prozent von Auto-Abgasen herrühren. Vom Smog besonders heimgesuchte US-Staaten wie Kalifornien und New York erwägen bereits, von 1980 an den Gebrauch von benzingetriebenen Stadt-Vehikeln gesetzlich einzuschränken oder gar zu verbieten.
Mit beträchtlichem Forschungsaufwand bemühen sich die Hersteller von Benzinautos, den Giftausstoß beim herkömmlichen Verbrennungsmotor zu mindern. Aber die Erfolgsaussichten sind begrenzt. »Wenn man einen Abgas-Ausstoß Null erreichen will«, räumte ein Spitzenmanager der US-Autofirma Chrysler ein, »dann sehe ich als technischen Ausweg doch nur den Elektro-Antrieb.«
Der schwergewichtige und zugleich leistungsschwache Elektro-Antrieb mit Batterien, wie sie derzeit in behäbigen Postpaket-Autos, in Bahnhofs-Karren und Golfcars eingebaut sind, wird kaum zu diesem Ausweg führen. Allein für die Batterienlast beispielsweise, die einem Elektro-VW die Fahrleistungen eines Benzin-Käfers verleihen könnte, wäre ein zweiter Volkswagen als Transportanhänger nötig.
Dementsprechend hat das nach diesem herkömmlichen Batterien-Prinzip betriebene Elektro-Auto, das die US-Firma Westinghouse Anfang dieses Jahres auf den Markt brachte, kaum höhere Leistung als ein Golfcar. Spitzengeschwindigkeit des Westinghouse-Mobils: 40 Stundenkilometer; Reichweite je Batterieladung: 80 Kilometer. Westinghouse hofft, von dem knapp 8000 Mark teuren zweisitzigen Einkaufsauto ("Markette") in diesem Jahr 500 Stück verkaufen zu können.
Doch auch die sogenannte Brennstoffzelle, die sich in einigen »Gemini« -- Raumschiffen als Stromerzeuger schon bewährt hat, konnte bislang für die Erfordernisse eines Automobils noch nicht gemeistert werden: Als alleiniger Antrieb nimmt auch sie noch zuviel Raum ein.
Für eine Mischlings-Lösung haben sich, wie Auto-Experte Nader mitteilte, die Ingenieure bei General Electric entschieden. Das viersitzige Elektro-Modell, dessen Existenz Nader jetzt bekanntmachte, enthält beides: einen Satz neuartiger, besonders leichtgewichtiger Batterien und eine Brennstoffzelle.
Die leistungsstarke Brennstoffzelle, so Nader, soll den Fahrstrom bei normalem Betrieb auf ebener Strecke liefern. Und nur, wenn es größere Beschleunigungswerte zu erzielen oder Steigungen zu überwinden gilt, geben die Batterien zusätzliche Kraftreserven frei.
Sprecher des General-Electric-Konzerns beeilten sich, die Enthüllungen des autokundigen Rechtsanwalts mit einem Dementi abzufangen. Freilich: Daß ein derartiges Test-Modell -- auf der GE-Teststrecke bei Schenectady (US-Staat New York) -- tatsächlich in Erprobung sei, mochten die GE-Manager nicht abstreiten.
Daß sie hingegen Marktabsichten mit der Elektro-Neuheit nicht schon jetzt bestätigten, scheint Nader aus mehreren Gründen verständlich. Die strikte Geheimhaltung, so Nader, gelte nicht nur der Elektro-Konkurrenz des amerikanischen Konzerns. Vielmehr seien noch andere Rücksichten vonnöten: Amerikas Benzin- und Amerikas Auto-Giganten zählen zu den besten Kunden von General Electric.