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AUTOMOBILE / DAMPFANTRIEB Kraft vom Kessel

aus DER SPIEGEL 16/1968

Henry Ford II., Herr über das zweitgrößte Automobil-Imperium der Welt, erwarb im November vergangenen Jahres für 10 250 Dollar (41 000 Mark) ein geheimnisvolles Automobil. Es unterschied sich von normalen Autos nur durch seinen Antrieb und seine Betriebsgeräusche: Während der Fahrt ließ es, wie einst die Urväter des modernen Automobils, leises Zischen und Fauchen vernehmen. Ford fuhr unter Dampf.

Unter der Motorhaube seiner Kunststoffkarosse hatte der auf einem Ford-Fahrwerk rollende Wagen eine 100 PS starke Dampfmaschine, im Kofferraum eine Heizanlage und einen 75 Liter großen Dampfkessel. Höchstgeschwindigkeit: 112 km/h.

Ford hatte sich den Straßen-Dampf er von der Dampfmaschinen-Firma Williams in Ambler (US-Staat Pennsylvania) »zu Vergleichs- und Versuchszwecken« bauen lassen. Die Versuche fielen für das Dampf mobil so günstig aus, daß die Ford-Ingenieure inzwischen selber Dampfautos entwickelten. Sie wollen herausfinden, ob es wohl lohne, das seit 1925 praktisch ausgerottete Dampfauto wiederauferstehen zu lassen.

Mit immer dringlicheren Appellen suchen Amerikas Stadtplaner und Gesundheitsbeamte das Zeitalter des abgasfreien Autoverkehrs herbeizuzwingen, nachdem sich erwiesen hat, daß die giftschwangeren Dunstglocken (Smog) über den Städten zu 50 bis 90 Prozent von Auto-Abgasen herrühren. Vom Smog besonders heimgesuchte US-Staaten wie Kalifornien und New York erwägen bereits, von 1980 an den Gebrauch benzinbetriebener Stadt-Autos gesetzlich einzuschränken oder gar zu verbieten.

Nur begrenzte Erfolgsaussichten haben die mit beträchtlichem Forschungsaufwand unternommenen Bemühungen der Autohersteller, den Giftausstoß beim herkömmlichen Verbrennungsmotor zu mindern. In vielen Ländern arbeiten daher ungezählte Ingenieure an der Entwicklung gasfreier Elektroautos. Aber von der Verwirklichung serienreifer Typen mit ähnlichen Fahrleistungen wie der Explosionsmotor sind sie offenbar noch etliche Jahre entfernt.

Dampfautos hingegen, so argumentieren Anhänger dieses an sich antiquierten Antriebsprinzips, bieten etwa die gleichen Fahrleistungen wie ein Verbrennungsmotor, laufen vergleichsweise geräuschlos und stoßen weit weniger Schadstoffe aus als Motoren mit den teuersten und aufwendigsten Entgiftungs-Apparaturen. Schon seit Jahren sind in den USA einzelne Techniker bemüht, neuzeitliche Dampfautos zu entwickeln. Zwei kalifornische Ingenieure beispielsweise trieben einen VW-Käfer. der seit dem vergangenen Jahr von Smog-Experten der »Los Angeles County Air Pollution District« getestet wird. mit einer Dampfmaschine an.

Daß »sich jetzt der Auto-Gigant Ford mit dem zischenden Kraftspender befaßt, hat vor allem unter den rund 1000 Mitgliedern des »Steam Automobile Club of America« die Hoffnung erweckt, eine Wiedergeburt des Dampfautos stehe unmittelbar bevor. Die Klubmitglieder haben bis heute etwa 1000 Dampf-Veteranen, zumeist der klassischen US-Marken Stanley Steamer und Doble, unter Hochglanz und unter Dampf gehalten. Krösusse unter ihnen ließen sich von der Firma Williams sogar neuzeitliche Autos wie etwa Mercedes-Benz oder Chevrolet Chevelle auf Dampfantrieb umbauen.

Noch vor 70 Jahren war das Dampfauto, dessen Geburtsjahr unbekannt ist, der große Favorit unter den Automobilisten. Das fauchende Vehikel schien sich gegenüber dem surrenden Elektroauto und erst recht gegenüber dem stinkenden Benzinauto als »Maschine der Zukunft« durchzusetzen, wie Amerikas erfolgreichste Dampfautohersteller, die Gebrüder Stanley, den Dampfantrieb damals propagierten. Im Jahre 1902 waren im US-Staat New York 909 Automobile registriert -- 485 von ihnen wurden mit Dampf betrieben. Bald dampften Autos mehr als 100 verschiedener Marken über Amerikas Boulevards.

Der Sieg des geräuscharmen Dampfwagens über das damals noch unvollkommene, knatternde Benzinmobil schien unaufhaltsam. Dampfwagen waren preiswert: ein »Family Touring Car« der Stanleys kostete 1300 Dollar, ihr schwerer »Mountain Wagon« für zwölf Personen 2300 Dollar. Die mit kochendheißem Dampf gefüllten Kesse] waren im Gegensatz zu den Vergaseranlagen und Tanks der Benzinautos explosionssicher. Die Wagen hatten keine Gangstufen, keine Kupplung, nahmen mühelos Steigungen und wurden mit billigstem Brennstoff -- Petroleum genügte -- geheizt.

Auch das Wasserproblem lösten die Dampf-Ingenieure, indem sie Dampf und Kondenswasser in den Kessel zurückleiteten. Notfalls konnten die Fahrer mittels eines Saugschlauches aus Tümpeln nachtanken -- ein Sieh hielt Kaulquappen fern.

Aber Wassertank und Heizanlage nahmen zuviel Raum ein. Den Ausschlag für den Untergang des Dampfautos gab schließlich der elektrische Starter des Benzinautos -- die Dampfauto-Fahrer mußten jeweils nach dem Anheizen rund 15 Minuten warten, ehe der Kesseldruck zum Losfahren ausreichte.

Verlockt durch die Möglichkeit, mit Hilfe von giftarmen Dampfautos die Abgasschwaden des Großstadtverkehrs zu bekämpfen, haben die Entwickler neuzeitlicher Dampftriebwerke die Startträgheit der Dampfwagen jedoch weitgehend überwunden. Der in Los Angeles erprobte Dampf-VW prescht mit Hilfe eines zwischengeschalteten Kompressors immerhin schon nach 14 Sekunden davon.

Das Zischen des Ford-Dampfautos hat unterdes den Ford-Konkurrenten General Motors aufgeschreckt: Auch Detroits Größter will bald einen Prototyp anheizen.

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