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STARS Kraftprotz im Schwitzkasten

Im April entscheidet das Berufungsgericht, ob der Sänger Konstantin Wecker ins Gefängnis muß - der gestrauchelte Held übt sich in Reueposen. Von Bettina Musall
aus DER SPIEGEL 12/1997

Der Biergarten des Hofbräukellers am Wiener Platz im Münchner Stadtteil Haidhausen wirkt ohne Tische und Stühle so anheimelnd wie eine Kiesgrube. Kein Zapfhahnzischen, kein Kindergeschrei. Eine alte Frau teilt ihre Laugenbrezel mit Spatzen und Tauben.

Wenn der Frühling nicht mehr weit ist und die Kastanien zarte Knospen tragen, drängt es empfindsame Naturen zu wesentlichen Fragen. Dem Sänger Konstantin Wecker, der das Grübeln gern in Reime schmiedet, wird an solchen Tagen in seinem Münchner Stammlokal »die Frage zur Qual: Wer weiß, ob ich noch bin beim nächstenmal?«

Schwer zu sagen. Nein, dies ist nicht Weckers Zeit. Die geliebte Toskana scheint unerreichbar fern, denn der Liedermacher pendelt zwischen Tourneehallen und dem niedersächsischen Bassum, wo er nach seinen jüngsten Drogenexzessen zwecks Ruhe und Reue erst mal eine Familie gegründet hat.

Dabei ist Bassum ein echter Glücksfall. In dem Örtchen an der Bahnstrecke von Bremen nach Sulingen, da gibt's koa Sünd'. Nichts erinnert dort an jene Münchner Halbwelt zwischen Hertie, Siegestor und Hauptbahnhof, der die labile Weckerseele jahrzehntelang schutzlos ausgeliefert war. Selbst im Tennisclub Bassum kann von Bussigesellschaft keine Rede sein, auch wenn der Apotheker nach dem Tie-Break mal die Arztgattin küßt.

In Bassum wird die Schickeria inkorporiert von der berühmtesten Rothaarigen der Stadt, der Bundestagsgrünen Waltraud Schoppe; hier, wo Koks allenfalls in den Kohleöfchen alter Damen landet, ließ Wecker verlauten, genieße er mit Ehefrau und seinem Erstgeborenen eine hübsche Zwei-Zimmer-Wohnung. Wo könnte sich der Mann, der von sich singt: »Ich bin ein Baum«, besser von dem Urteilsspruch - zweieinhalb Jahre wegen Drogenbesitzes - erholen?

Nun, in der Gaststube des Kellers am Wiener Platz vielleicht. Hier jedenfalls hockt der Bayer, so oft es geht, am Fenster, und derzeit geht es ziemlich oft. Denn erst im April, wenn es »Frühling werds und ois wui wieder himmelwärts«, wie er mal in einem Lied schrieb, entscheidet das Berufungsgericht, ob der Gestrauchelte sitzen muß oder singen darf.

»Saublöde Alternative«, brummt Wecker und schiebt die obere Schmollippe so weit vor, als wolle sich die untere endgültig beleidigt zurückziehen. Er muß singen. Für zwei Millionen Mark Schulden muß selbst einer wie er ganz schön viele Lieder bringen. Und fast täglich treffen neue Klagen ein: Hier eine Zechprellerei, dort ein Konkursverfahren - wer jahrelang kofferweise Kokain bestellt und seine Dealer per Euroscheck bezahlt, bleibt eben manch anderes schuldig.

Grau geworden ist der ewige Vorstadt-Strizzi, und die Igelhaare, die er regelmäßig auf Drogen untersuchen lassen muß, schirmen widerborstig den Dickschädel ab. Ein seltsamer Stammgast, mit seinen nicht mal 50 Jahren noch zu jung, um wie die anderen hier Nachmittag für Nachmittag Schafkopf zu dreschen. Und in seinem Glas schäumt kein Weißbier, sondern Apfelschorle. »I lass' halt richtig die Sau raus«, sagt er. Das klingt bitter.

Von dem Kraftstrotz, dem bayerischen, ist augenblicklich nur das haarige Gekräusel auf terrakottabrauner Brust zu sehen, die sich auch bei Minusgraden aus dem T-Shirt wölbt. Mit seinem Goldkettchen, an dem ein Kreuz, ein Christophorus und ein Schutzengel baumeln, sieht der Altstenz aus wie ein gestrandeter Sonnenstudiobesitzer.

Ein halbes Jahr hätte Wecker noch abzusitzen, genug Zeit, um irgend etwas von dem anzufangen, wovon er seit Jahren redet: eine Operette schreiben, das abgebrochene Dirigentenstudium fortsetzen,einen Roman beenden.

Aber so kann er das nicht sehen. Weniger das Strafmaß macht ihm zu schaffen, als vielmehr die persönliche Kränkung. Er atmet ein, bis das Hemd spannt: »Ich bin kein Jammerlappen. Aber dieser Richter hat mir die Flügel gestutzt. Er hat mir das Gefühl gegeben, nichts mehr wert und nie was wert gewesen zu sein.«

Hat er das wirklich? Hat er den Angeklagten nicht einfach nur behandelt wie jeden anderen?

Damit hat der »Blitzdonnerwetterbursche« (NEUES DEUTSCHLAND) allerdings nicht gerechnet. Ein »Rustikal-Charmeur« (PLAYBOY) wie er kriegt schon mal Lokalverbot, weil er auf dem Kneipenklo so laut mit einer Dame vögelt, daß halb Schwabing neidisch wird. So einem zog vor ein paar Jahren ein Musiker-Freund die Gitarre über den Kopf, weil Wecker sich allzu dreist an dessen Frau zu schaffen machte. Und wer den Helden aller Zukurzgekommenen bei der Arbeit kennengelernt hat wie der Münchner Musiker und Journalist Karl Forster, entdeckt »in dem Alt-68er den Landvogt« , der »seine Leute wie Leibeigene behandelt«. Aber Knast?

Ganz öffentlich und mit dem Segen eines Millionenpublikums hat der Musiker seit Ende der sechziger Jahre das Wildsein zum Beruf gemacht. Nie hat er so getan, als ob er maßhalten könnte. Leben, lieben, singen, saufen, abstürzen und wieder auferstehen, von all dem gibt es bei Wecker immer die Überdosis - auf der Bühne und privat.

Wecker und seine Lieder sind so sehr eins, daß man kaum sagen könnte, was zuerst da war. Wenn der Meister singt und Klavier spielt, dann haut er rein, bis Hemd und Haare am Körper kleben. Wenn der Künstler liebt, dann verausgabt er sich, bis ihm »das Fleisch von der Seele fällt«.

Sein Publikum nimmt der Leistungssänger in den Schwitzkasten, als gelte es, Freude durch Kraft zu spenden; nach demselben Motto hat er jahrelang die Frauen flachgelegt, »alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war«. Aber Konstantin, dem Kini (bayerisch für König) aller Lausbuben, ist nicht mal die Mutti böse, wenn er in Filmen Marke »Oh mei, haben die Ostfriesen Riesen« mitrammelt.

Was will man einem vorhalten, der von sich sagt: »Hab' mich öffentlich verstiegen und verirrt, meine Feinde, meine Lieben oft verwirrt, hab' nie konstatiert, perfekt zu sein, hab' mich stets bemüht, nicht so geleckt zu sein«?

Freimütig besingt und beschreibt er sein »verkokstes Dasein« und präsentiert mit vorauseilender Bußfertigkeit die blanke Brust, bevor ihm ein anderer die Knöpfe aufreißen kann. Die Zivilfahnder, die Ende 1995 einen nach exzessivem Crack-Konsum völlig verwahrlosten Wecker in seiner Wohnung überraschten, begrüßte der Hausherr: »Kommt rein, Jungs, ihr habt mir das Leben gerettet.«

Im Prozeß legte der zeitweilig bekennende Katholik mit der Inbrunst eines reuigen Sünders die dunkle Seite seiner Ekstasen offen: Ungewaschen habe er sich dem Zustand der »Verwesung« genähert, weil er in der Dusche schlecht Crack rauchen konnte - trauriges Mannsbild.

Schonungslos wie gewohnt gegen sich selbst und das Auditorium, gab Wecker über den Zustand seiner ungeschnittenen Zehnägel Auskunft: »Die Füße paßten in kaum einen Schuh mehr.« Seiner Neigung für Nudelgerichte tat das keinen Abbruch, so daß der Süchtige nicht nur kiloweise Koks, sondern Übergewicht mit sich herumtrug.

Wie er da lustvoll zwischen Selbstanklage und Selbstmitleid pendelte, blitzte im Gerichtssaal endlich wieder jenes »Weckerleuchten« auf, nach dem er vor 20 Jahren eine LP benannt hatte. Genug ist nun genug, versprach der Delinquent in Abwandlung eines seiner Lieder sinngemäß und stimmte auf der Anklagebank an: »Meine Seele fliegt dahin, Kokain, Kokain ...« - was wie so oft bei seinen Auftritten in letzter Zeit dazu führte, daß weniger das Publikum als vielmehr der Barde selbst in Tränen ausbrach.

Wer derart leidenschaftlich beichtet, dem wird selbst beim Jüngsten Gericht verziehen, und der liebe Gott ist einer von »Konnis« engsten Freunden, noch enger als Rudolf Scharping. Mit ihm (mit dem lieben Gott) würde der Sänger gern mal »einen Nachmittag lang durchs Universum fliegen«.

Aber in Bayern sind sogar die Amtsrichter unberechenbar. »Bringen Sie Ihre Tränen unter Kontrolle«, befahl dieser barsch, ohne jedes Verständnis, daß eben das doch das Schwierigste für einen Triebdichter ist: seine Glut, seine Flut und all das in den Griff zu kriegen, was sich auf Tier, Bier und Gier reimt.

Hat der Richter möglicherweise einfach nicht kapiert, wen er da vor sich hat? Wieso kann eine irdische Instanz jemanden belangen, der mit den Größten Zwiesprache hält - »Ich und Goethe« - und sich - »Ach, du lieber Kurt« - mit Tucholsky vergleicht?

Wecker, Vorname: Konstantin Amadeus. Schon der Vater, ein Freizeit-Tenor, sang das »Nessun dorma!« von einer Reinheit, sagt der Sohn, »die nur den Allergrößten gelang« - leider völlig unbemerkt von der Öffentlichkeit. Dem Junior ging im Stimmbruch ein engelsgleicher Chorsopran verloren, für den er nie wieder Ersatz gefunden hat.

Das Musikstudium hat dem Weckerschen Ouvre gewisse Harmonien geschenkt, die selbst neue Werke rasch vertraut erscheinen lassen. Die Sehnsucht nach dem Philharmonischen geht dem Meister an die Grenze der Tonkunst. Ein Selbstversuch als Papageno steht aus. Mozart-Freunde sehen ein Crashendo voraus.

Dafür reißt der Sänger mit seinem Seelen-Gebrüll einen repräsentativen Durchschnitt des deutschen Sprachraums hin, vom Bauarbeiter bis zur Esoterikerin, vom Gymnasiasten bis zum Gewerkschaftsfunktionär. Ewig halbstark und dabei ein ganzer Kerl ist er der Macho, mit dem Alice Schwarzer herzhaft lachen kann, und der Traum der Hausfrau beim Bügeln, wenn er weckert: »Ja, Freunde ja. Ich liebe diese Hure.« Zum 50. Geburtstag der bayerischen IG Metall war er genauso willkommen wie Ministerpräsident Edmund Stoiber. Derzeit kann sich Wecker seine Freunde wirklich nicht aussuchen.

Die meisten seiner Fans sind treu wie Evelyn: »I mog einfach ois an ihm.« Die Oberösterreicherin ging seit 1972 in über 200 Konzerten mit ihrem Star auf »Liebesflug« - so heißt ihre Lieblingsplatte von ihm. Nun sitzt die Verkäuferin, 48, mit ihrer Tochter, 25, im Stadtsaal zu Steyr bei Linz, wo der Musiker vor einer Tournee durch Süddeutschland und Österreich ein Übungskonzert absolviert.

Mahner oder Minnesänger, Götterliebling oder Teufelskerl, Links- oder Rolexträger - hier darf Wecker endlich wieder alles gleichzeitig sein. Wegen seiner Maxime: »A wenn i mi verrenn' und mi dabei verbrenn', i muaß ma heut' das Leb'n so richtig geb'n«, haben ihn die Ängstlichen zu ihrem Robin Hood und die Möchtegern-Draufgänger zu ihrem Stellvertreter erkoren.

Sie lieben ihn auch dafür, daß er all das tut, was sich die meisten nicht trauen - das macht es ihm besonders schwer, erwachsen zu werden. Warum auch? Wie es aussieht, gibt Harald Juhnke das Steuer im deutschen Suchtzweier bald ab. Dann könnte Wecker endlich einmal irgendwo die Spitzenposition übernehmen. Schon kokettiert er bei Auftritten wieder mit der Rolle, die ihn fast das Leben gekostet hat: »Ich bewundere euch, daß ihr das Konzert eines drogensüchtigen, vorbestraften Bankrotteurs besucht.«

Wie ein Handelsreisender in Sehnsüchten aller Art preist er unverändert Lust, Genuß und Übermaß: »Um alles zu erfahren, beschloß ich, vor der Hölle nicht zu fliehen.« Da steigen Tränen auf in Evelyn.

Seine wahren Freunde fühlen mit ihm, auch wenn sie nicht ganz so weit gehen. Wecker-Kumpel Scharping stürzte letztes Jahr beim Fahrradfahren ohne Helm, was ihn um Fingerbreite das Leben gekostet hätte. Nicht daß der Sozialdemokrat radeln und koksen gleichsetzen wollte, aber was da innerlich abgeht, »diese Mischung aus Empfindsamkeit und Empfindlichkeit, die einen anfällig macht dafür, sich und anderen etwas beweisen zu wollen und dabei zu weit zu gehen«, kann der Politiker gut nachvollziehen.

Der ganze Kosmos zwischen Seele und Unterleib ist des Weckers Element. Koks hin, Knast her - vor den Türen in Steyr warten die Mädchen mit den roten Lippen und dem drallen Hinterteil. Doch der Jungvermählte beläßt es diesmal dabei, sinnlich zu gucken und Wangen zu tätscheln. »Ich halte mich von Räuschen jeder Art fern«, sagt er entschlossen auf hochdeutsch.

Davon muß er den Richter und vor allem sich selbst überzeugen. Da nimmt er sogar die angeordnete Therapie auf sich, obwohl kaum jemand sicherer sein dürfte als der Patient, daß er im Grunde keinen Therapeuten braucht.

»Von allen meinen großen Lieben ist mir nur eine treu geblieben: der Selbstbetrug.« Das Lied ist nicht ganz neu, so wenig wie das ganze Wecker-Phänomen. Jetzt braucht er Freunde wie Evelyn, die ihrem Konstantin, ohne ihm je begegnet zu sein, restlos vertrauen: »Diesmal schafft er's, mit dem Kind und der lieben Frau.«

Die liebe Frau Annik, 23, wickelt den kleinen Wecker daheim in Bassum, in ihrem Jugendzimmer, zwischen Plüschtieren und Puppen im Elternhaus. Dort gaben sich in jüngster Zeit die freudigen Ereignisse gewissermaßen die Klinke in die Hand, indem doch Weckers Schwiegermama, 48, ihrem Schwiegersohn, 49, gleich noch eine Schwägerin gebar - das Wecker-Lied zu dem Segen war Gott sei Dank schon da: »Stilles Glück, trautes Heim, keiner schaut zum Fenster rein.«

Der Anfang für ein neues Leben ist gemacht. »I find's richtig liab«, sagt der Spät-Papa. Und es fällt ihm sein Gedicht »über die Zärtlichkeit« ein: »Ich kenne Menschen«, sagt er da, »die dich mit einer Selbstverständlichkeit in ihre Herzen aufnehmen, daß dir schwindlig wird.« Da wäre es doch schön, wenn der Schwindel diesmal eine lange Weile anhielte.

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