UNTERHALTUNG Krauses Neue Welle
Die Barsängerin möchte vom Irrenarzt »glücklich gemacht werden«. Unterdessen tappt der Assistenzarzt versehentlich durchs Schlafzimmer der Psychiatergattin, die freilich weniger um sich als um ihre Juwelen bangt. Die Schmuckkassette wird denn auch entwendet - aber nicht vom nächtlichen Besucher, sondern von der Stieftochter, die tags zuvor den Assistenzarzt unter einer Trauerweide koste.
Die »nicht enden wollende Kette von Mißverständnissen«, aus der sich - laut Prospekt - »niemand mehr herausfindet«, ist der abgeschabte Handlungsfaden einer neuen deutschen Filmkomödie. Titel: »Kalamitäten«. Inhaltsresümee des Herstellers: »Die Situationen werden immer pikanter und verworrener...«
Obwohl das Lichtspiel, das derzeit in den Filmtheatern läuft, mithin nach dem gängigen Rezept deutscher Lustspielfabrikanten verfertigt wurde, erwies sich der Produzent als Pionier: Kurt Krause aus Göttingen zeigte, daß das bescheidene Maß an Witz, das deutsche Filmkomödien gemeinhin auszeichnet, auch für rund ein Viertel der brancheüblichen Herstellungskosten geliefert werden kann.
Freilich handelt es sich um die Erkenntnis eines Außenseiters. Krause ist Kinobesitzer und mußte sich bislang damit begnügen, in seinen acht Filmtheatern Werke der etablierten Filmproduzenten vorzuführen. Angesichts der zahlreichen Billetts, die allabendlich an den Kassen seiner
Lichtburgen unverkauft liegenblieben, dämmerte ihm: »Wenn wir die Branche am Leben erhalten wollen, hat es keinen Sinn, Filme am laufenden Band zu machen, und keiner spielt die Kosten ein.«
Krause errechnete, daß wenigstens anspruchslose Unterhaltungsfilme ohne Qualitätseinbuße wesentlich billiger hergestellt werden könnten. Er beschloß, selbst den Beweis zu führen. Unter dem Schlagwort »Heitere Welle« kündigte er die Produktion etlicher Filme an, die nicht mehr als jeweils 400 000 Mark kosten sollten. Produktionskosten der landläufigen Unterhaltungsfilme: eine Million bis anderthalb Millionen Mark.
Für weniger als 400 000 Mark hatten vor drei Jahren Regisseure der französischen Neuen Welle ihre ersten Filme gedreht, etwa Claude Chabrol »Le beau Serge« (320 000 Mark) und Francois Truffaut »Sie küßten und sie schlugen ihn« (340 000 Mark). Mit den immensen Gagenforderungen der Stars vertraut, hielt Krause für ratsam, am gleichen Etatposten zu sparen wie Chabrol und Truffaut: Er verzichtete auf renommierte Filmhelden.
»Niemand wird bezweifeln«, applaudierte die Hamburger Tageszeitung »Die Welt«, als Krause seinen Plan bekanntgab, »daß die Rollen, die, sagen wir: 0. W. Fischer oder Curd Jürgens spielen, auch von bescheideneren Darstellern gemeistert werden können:«
Der Göttinger Kinobesitzer verpflichtete also Filmneulinge, größtenteils junge Schauspieler aus dem Ensemble Heinz Hilperts vom Deutschen Theater in Göttingen; er engagierte zudem Debütanten für Regie und Filmmusik und blieb, nachdem er auch bei den Dreharbeiten durch fein kalkulierte Planung beträchtliche Summen gespart hätte, sogar unter der selbstgesetzten Kostenmarke.
Sein Werbechef verkündete zwar, der Aufwand für die »Kalamitäten« habe 400 000 Mark betragen (bei einer Gagensumme von nur 30 000 Mark). Krause hingegen dementierte diskret: »Richtig sind 300 000.« Er wolle nur nicht, »daß das so unbedingt publik wird, weil das Publikum dann sagt: 'Na, wenn er nur dreihunderttausend kostet, kann er auch nicht viel wert sein"'.
Die Kritiker aber honorierten die Bemühungen Krauses. Das Hamburger »Film-Telegramm« schrieb, der Film sei »wahrlich kein Meisterwerk«, dafür aber »ansehnlicher als so mancher bramarbasierende deutsche Konsum-Großfilm.
Krause
Filmlustspiel »Kalamitäten"*: Späße zum viertel Preis
* V. l. n. r.: Ruth Schroth (Thalia-Theater, Hamburg). Margret Homeyer und Ernst Falkenberg (Deutsches Theater, Göttingen), Marlene Rahn (Wuppertaler Bühnen).