"Hamburger Morgenpost" in der Krise "Geradezu eine feindliche Übernahme"
Inzwischen hat sich auch Peter Tschentscher eingeschaltet: "Ich wünsche mir, dass die Hamburger Morgenpost - unsere MOPO - als eigenständige Zeitung erhalten bleibt", twitterte der Erste Bürgermeister der Hansestadt, eine "vielfältige Medienlandschaft" sei "der beste Schutz vor Populismus und Manipulation" und "wichtig für die Demokratie". Die medienpolitischen Sprecher anderer Parteien schickten ebenfalls Solidaritätsadressen. "Wir stellen uns mit Nachdruck hinter die Bemühungen, die ,Mopo' am Standort Hamburg zu erhalten", erklärte Carsten Ovens, CDU. Und Farid Müller von den Grünen richtete "den dringenden Appell" an das Verlagshaus DuMont, "einen Käufer zu finden, der die MOPO als Ganzes mit einem überzeugenden Zukunftskonzept übernehmen will".
Ich wünsche mir, dass die Hamburger Morgenpost - unsere MOPO - als eigenständige Zeitung erhalten bleibt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter noch viele Jahre ihren Beitrag leisten können für eine vielfältige Medienlandschaft in ihrer Heimatstadt Hamburg. pic.twitter.com/2NpBQdNHCq
— Peter Tschentscher (@TschenPe) January 21, 2020
Hintergrund der fraktionsübergreifenden Besorgnis ist nicht allein der Umstand, dass der aktuelle Eigentümer, die DuMont Mediengruppe, das Objekt veräußern möchte - die entsprechenden Pläne sind seit langem bekannt. Bereits im September 2019 verkaufte der Kölner Konzern den Berliner Verlag mit "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier" an das Unternehmerpaar Silke und Holger Friedrich; in diesem Januar wurde die "Mitteldeutsche Zeitung" an den Bauer-Verlag abgegeben. Was die Medien- und Kulturszene der Hansestadt derzeit in Aufruhr versetzt - und die Belegschaft des Boulevardblatts am Dienstag zu einer "aktiven Mittagspause" auf die Straße trieb -, sind vielmehr Gerüchte, dass DuMont in der Funke Mediengruppe einen Käufer gefunden haben könnte, der nur am Internetauftritt der Zeitung interessiert wäre, nicht aber am Printprodukt und der 50-köpfigen Redaktion.

"Aktive Mittagspause" der "Mopo"-Belegschaft
Foto: Patrick SunWährend DuMont sich zum Stand der Dinge nicht äußern möchte – der Entscheidungsprozess dauere noch an, so eine Unternehmenssprecherin –, gesellt sich bei der „Mopo“ Wut zur Existenzangst: Es sei "ein schmutziger Deal", der da im Raum stehe, sagt die "Mopo"-Journalistin und Betriebsratsvorsitzende Nina Gessner, geradezu "eine feindliche Übernahme". Denn die Funke Mediengruppe besitzt seit 2014 auch den einstigen Springer-Titel "Hamburger Abendblatt" und würde sich auf diese Weise eines lokalen Konkurrenten entledigen. Geplant sei offenbar, die Seite mopo.de weitgehend automatisiert zu befüllen, gesteuert lediglich von einem Fünf-Personen-Team, das momentan in Essen die Übernahme vorbereite - fürchtet der Betriebsrat. Langfristig könne der Auftritt dann in einem Portal "Der Norden" aufgehen, wie es Funke bereits in ähnlicher Form mit "Der Westen" betreibt.
Ein Verlust für den Hamburger Lokaljournalismus
Besonders bitter aus Sicht der "Mopo"-Mitarbeiter: Trotz personeller Ausdünnung war es der Redaktion in den vergangenen Monaten gelungen, die digitale Reichweite zu steigern und so DuMont-Vorgaben umzusetzen, die vermeintlich der Sicherung ihrer Arbeitsplätze dienen sollten. "In Wahrheit sollte aber wohl nur die Braut hübsch gemacht werden", so Gessner.
Turbulenzen ist das kleinformatige Traditionsblatt, das kürzlich seinen 70. Geburtstag feierte, ohnehin gewohnt. 1949 von der SPD gegründet, gehörte es von 1986 bis 1999 dem Verlag Gruner + Jahr. Die Idee einer linken Boulevard-Alternative zur "Bild"-Zeitung trug lange; zu den Chefredakteuren der glorreichen Vergangenheit zählen Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement und - in einem kuriosen Intermezzo - der heutige Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner. Mit dem Eigentümerwechsel von G+J zu den Millionenerben Frank Otto und Hans Barlach ging es dann mehr als nur schleichend abwärts; 2006 erwarb die Mecom Group des britischen "Heuschrecken"-Investors David Montgomery die Zeitung und reichte sie 2009 noch weiter gerupft an DuMont weiter.

Pro-Willy-Brandt-Demonstranten halten 1972 "Morgenpost"-Ausgaben hoch
Foto: Lothar Heidtman/ picture-alliance / dpaIm insgesamt rückläufigen Markt des Print-Boulevards sank die verkaufte Auflage der "Mopo" von 140.000 (1998) auf aktuell noch knapp 50.000. Im Jahr 2018 verließen Verlag und Redaktion dann ihre angestammte Trutzburg, ein Backsteinindustriegebäude gegenüber der Adolf-Jäger-Kampfbahn des Fußballvereins Altona 93, und bezogen einen Neubau mit Newsroom im Stadtteil Ottensen. Die einst prestigeträchtige Nachtausgabe, die in Restaurants und Bars verkauft wurde und zur Sichtbarkeit in der Stadt beitrug, wurde 2019 ebenso eingestellt wie die Wochenbeilage "Plan 7".

Ehemaliges Verlagsgebäude in der Griegstraße
Foto: Waldmüller/ imago imagesWie es nun weitergehen könnte? Die zwischenzeitliche Hoffnung der Belegschaft, dass Geschäftsführerin Susan Molzow das Haus per Management-Buy-out übernehmen könnte, wird sich wohl nicht mehr erfüllen - sie hätte, heißt es, von DuMont eine "Mitgift" von bis zu vier Millionen Euro verlangt. Stattdessen kursiert nun sogar das Szenario, der Printtitel könne ohne die Onlinerechte zur Abwicklung verscherbelt werden; immerhin gehören dazu auch Anteile am profitablen Privatsender Radio Hamburg. Betriebsrätin Nina Gessner indes setzt immer noch auf "einen Käufer, der uns respektiert, das Team mitnimmt und die 'Mopo' als Ganzes erhält, dem journalistische Qualität wichtiger ist als Klickzahlen".
Das in einem Brief der Angestellten an DuMont-Chef Christoph Bauer benutzte Bild, die "Mopo" gehöre zu Hamburg wie der Dom zu Köln, mag vielleicht etwas hochgegriffen sein. Ein Verlust für den ohnehin arg ausgedünnten Lokaljournalismus in der Hansestadt - im vergangenen Jahr stellte überdies die "Welt" ihren Hamburg-Teil ein - wäre ihr Ende aber allemal.