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KOCHEN Kulinarischer Klops

Mit einer 24teiligen Fernsehserie soll deutschnationale Küchenkunst propagiert werden. Die deutsche Agrar- und Weinwirtschaft sponsort das Projekt. *
aus DER SPIEGEL 6/1987

Verführerisch schimmert der goldgelbe Pudding, tiefschwarz glänzt die Schokoladensoße, mit der er beträufelt wird. »Fertig ist er«, entringt es sich den Lippen des Kochs, der, Ergriffenheit und sehnsuchtsvolles Begehren im Blick, das geglückte Dessert vor die Kamera hält. Musik zum Träumen a la Richard Clayderman erklingt - der deftige Nachtisch, kokett mit einem Minzenblättchen garniert, erscheint in Nahaufnahme.

Der »sächsische Pudding mit heißer Schokoladensoße«, bereitet von dem West-Berliner Ein-Stern-Koch Siegfried Rockendorf, war die Krönung der vierten, gerade gesendeten Folge eines kulinarischen Softpornos, den das ZDF allsonntäglich um 18.25 Uhr unter dem herausfordernden Titel »Essen wie Gott in Deutschland« ausstrahlt. Die Serie soll das Fernsehvolk scharf machen - auf deutsche Küche, genauer: auf die »Neue Deutsche Küche«, die gefälligst aus deutschen Zutaten zuzubereiten ist.

Zwölfmal in diesem Frühjahr, und dann noch zwölfmal im Herbst, zeigen garantiert rein deutsche »Meisterköche« (ZDF) - von Jörg Müller, Sylt ("Munkmarscher Muschelteigtaschen im Safransud"), bis zu Eckart Witzigmann, München ("Spanferkelschulter auf Weißkraut mit böhmischen Knödeln") -, was deutsche Hausfrauen in der zweiten Kohlschen Legislaturperiode ihren Lieben daheim bereiten sollen.

»Rezepte, wie sie für Oma selbstverständlich waren« - so umschreibt der Hamburger Gastro-PR-Manager Mario Scheuermann, der als »Konzeptberater« des Koch-Spektakels zeichnet, das Sendeziel. Nicht die hohe Trickschule des Kochens soll gezeigt werden, sondern »anspruchsvolle, aber nicht zu komplizierte« Menüs, von jedermann nachzukochen. »Ausschließlich einheimische Produkte« sollen dabei verwendet werden - jeden Fernseh-Sonntag eine Grüne Woche.

»Gute Küche«, heißt es da jedesmal im Vorspann der Sendung, »lebt von Natürlichkeit und Frische.« Produkte »aus der nächsten Umgebung« seien »unverzichtbar« für die Meister der »Neuen Küche« - und gleich wird auch klar, wem''s vor allem nutzen soll: Unübersehbar wird das Zeichen der CMA, der Centralen Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, ins Bild gerückt.

»Beratend« standen dem ZDF außer der CMA nicht nur das »Deutsche Weininstitut«, dem die Absatzförderung der deutschen Weinwirtschaft obliegt, sondern auch die Illustrierte »Stern« und Deutschlands »prominentester« (ZDF-Sendetext) Gastronomieführer »Varta« zur Seite. Die »Beratung« kostete den Sender nichts, im Gegenteil. Das gigantische Schleichwerbungsprojekt brachte der Mainzer Fernsehanstalt annähernd die Hälfte ihrer Produktionskosten von insgesamt 2,5 Millionen Mark herein, in Form von Sponsorgeldern oder als Entgelt für Nachdruckrechte.

Schätzungsweise eine halbe Million Mark zahlte die CMA, auf 200000 bis 300000 Mark taxieren Insider den Beitrag der Weinwirtschaft - dafür, daß Töpfe und Teller in allen 24 Sendefolgen ausschließlich mit deutschen Agrarprodukten, Gläser stets nur mit deutschem Rebensaft gefüllt werden. Folgerichtig müssen in der Sendung champagnergewohnte Drei-Sterne-Köche mit gequältem Gesicht ihrer Soße »einen Schuß Sekt« beigeben.

Den bei seiner Gründung 1961 mit den Bundesländern geschlossenen Staatsvertrag ("Das Werbeprogramm ist vom übrigen Programm deutlich zu trennen") souverän mißachtend, blendet das ZDF in jeder Folge die Firmenlogos aller Sponsoren ein. »Wir hätten das ohne Zuschüsse nicht realisieren können«, erklärt _(Bei Dreharbeiten zu »Essen wie Gott in ) _(Deutsch land«. )

der »Kooperations«-Beauftragte des ZDF, Burkhard Mrosek - während gleichzeitig der zuständige Redakteur Josef Göhlen die Serie, die regelmäßig von mehr als sechs Millionen Zuschauern gesehen wird, mit rund 100000 Mark pro Folge »für eine relativ preiswerte Produktion« hält (eine halbe Stunde im Abend-Unterhaltungsprogramm kostet gut das Doppelte).

Der gastronomische Heimatfilm (Einschaltquote: 18 Prozent) ist überdies, wie der Münchner Medienmakler Hans Beierlein sagt, nicht bloß »eine Fernsehserie, sondern ein Ereignis im Medienverbund«. Beierlein, als Musikverleger und Impresario im Musik-, Show- und Fußball-Business seit langem erfolgreich, hatte die Idee zu dem gewinnträchtigen Koch- und Deutschmeister-Verbundgeschäft. Außer dem »Stern«, der die TV-Rezepte jeden Donnerstag vorabdruckt, wurde noch der Hamburger Kochbuch-Verlag Zabert Sandmann zugeschaltet. 167000 Exemplare des aufwendig gemachten begleitenden Kochbuchs sind denn auch bis zur fünften Serienfolge bereits ausgeliefert. _("Essen wie Gott in Deutschland«. Verlag ) _(Zabert Sandmann, Hamburg und Steinhagen; ) _(242 Seiten; 36 Mark. )

Mag es dem Fernsehkonsumenten noch egal sein, ob ihm Bocuse oder die CMA die Suppe rührt, mag er das Buch zum Film gar noch hilfreich finden - die Deutschtümelei am Küchenherd, die da beständig zelebriert wird, nervte bereits in den ersten Serienfolgen.

Das schwarz-rot-goldene Logo nach Art einer Burschenschaftler-Schärpe prangt in jeder Sendung, ziert jede »Stern«-Folge und den Einband des Buches, Gerhard Gartner, Chef des Aachener Restaurants »Gala«, der die erste Folge bestritt, lag wunderbar im Zeitgeist, als er auch noch das Dessert fürs TV-Dinner liebevoll mit Fruchtpürree in den Farben Schwarz-Rot-Gold dekorierte.

Von deutschen Köchen über deutsche Reben zum deutschen Rhein zoomt sich die Kamera am Beginn einer jeden Serienfolge. Danach folgt jeweils ein wenig Schleichwerbung für den Koch und sein Restaurant. Dann geht es, Schnitt, ins Studio Hamburg: Die Spitzenköche dürfen (vernünftigerweise) nicht in chromblitzenden Profiküchen, sondern müssen in einer durchschnittlichen deutschen Naß- und Kochzelle ihre Kunst vorführen, auf dem E-Herd (nicht, wie sie es vorzögen, auf Gas), allerdings stets mit Unterstützung eines Hiwi ("Würden Sie bitte schon mal das Eiweiß schlagen"), insoweit doch privilegiert. Daß am Ende außer Hirse und Harzer Käse auch so weltläufige Produkte wie Zitronen, Balsamico-Essig und Safran, Zimt, Vanille und Olivenöl mit zum Einsatz kommen, mochten die zahlenden CMA-Manager nur zähneknirschend hinnehmen.

Der Trend zum neuen deutschen Küchen-Chauvinismus hatte sich schon länger abgezeichnet, spätestens seit einige vorlaute Gastro-Kritiker verzückt ein »deutsches Küchenwunder« ausriefen und die Franzosen auf Platz zwei der Weltrangliste verwiesen, abgeschlagen von deutschen Spitzenköchen.

Besonnenere Küchenmeister wie der Münchner Witzigmann oder Lothar Eiermann vom Wald- und Schloßhotel Friedrichsruhe, der wegen seiner Neigung, auf Konfrontation zu gehen, der »Herbert Wehner der deutschen Gastronomie« genannt wird, haben solcher Anmaßung stets heftig widersprochen. (Witzigmann: »Ein Schmarrn.")

Zwar sei das neuerwachte Selbstbewußtsein der deutschen Köche berechtigt, meint Eiermann; aber das einseitig CMA-gesteuerte Konzept der neuen Fernsehserie hält er nicht nur für typisch deutsch ("Wir übertreiben alles"), sondern auch für einen gastronomischen »Rückschritt": Endlich habe sich die deutsche Gastronomie zu einer Weltoffenheit durchgerungen und könne auch dem internationalen Publikum gehörigen Standard bieten - und schon heißt es wieder: ab zum Pökelschwein mit Erbspürree.

Den Badenser Eiermann, der in seinem Restaurant die Perlen der regionalen Küche, etwa in Gestalt von schwäbischen Maultaschen mit Wachtelfüllung, als einer der ersten gehegt und gepflegt hat, sucht man, wie manch anderen Koch der ersten Garde, bei »Gott in Deutschland« vergebens (obwohl er laut

ZDF-Berater »Varta« zu den acht besten deutschen Köchen zählt).

Beierlein und Scheuermann haben ihn für spätere Folgen vorgesehen, »da müssen wir auch noch ein paar Highlights bieten können«. Wie die Köche, so hat Scheuermann, umtriebiger Schüler des PR-Virtuosen Beierlein und Organisator des Hamburger Massen-Freßfestes »Hamburg kocht auf«, auch den größten Teil der Rezepte ausgewählt, bodenständig und zum höheren Preise der deutschen Landwirtschaft.

Damit freilich wird eine Qualität von Küchenprodukten proklamiert, die es in diesem Land erst noch zu schaffen gilt. Bis auf weiteres muß das Vorhaben, »deutsche Spitzenküche« für zu Hause zu entdecken, oft schon beim Einkauf scheitern.

Wenn etwa Münchens Drei-Sterne-Koch Heinz Winkler in der Sendung zu Schweinernem greift, dann kommt das Borstenvieh zwar tatsächlich aus deutschen Landen - aber bestimmt nicht vom Metzger um die Ecke. Ein Tier, das bei ihm in die Röhre darf, muß freien Auslauf und gutes Futter gehabt haben; irgendwo im Niederbayrischen gibt es einen Schlachter, der dem »Tantris«-Chef das bieten kann.

Programmatisch hatte im Herbst letzten Jahres Gerhard Gartner vom Aachener »Gala« ("Warum sollen wir immer nur andere Länder nachäffen?") vor Journalisten verkündet, daß er von Stund an radikal auf deutsche Kochkunst umstellen werde, auch die Zutaten dazu sollten aus der Heimat sein. Aber wie bei vielen anderen deutschen Spitzenköchen, so stammt auch sein Gemüse, sofern es denn aus Deutschland kommt, aus besonders gehätscheltem, biodynamischen Anbau, mühsam wurden Lieferanten dafür gesucht - kein Vergleich also mit den Massenprodukten, für die das Kürzel CMA bürgt.

Fast die gesamte deutsche Hochpreis-Gastronomie bezieht nach wie vor einen Großteil ihrer Produkte von Lieferanten wie »Rungis Express«, einem seit 1978 bestehenden Unternehmen, das auf die Initiative einiger First-Class-Köche hin regelmäßige Import-Touren vom Pariser Großmarkt organisierte. »Seit 1980«, so Rungis-Chef Georg Kastner, »versuche ich mit viel Mühe, deutsche Anbieter zu finden. Aber unsere notleidenden Bauern wollen nicht kleine Karotten von Hand ernten oder frischen Salat zum Wochenende liefern, trotz der höheren Preise, die ich dafür zahlen würde.«

»Ich kann höchstens so gut sein wie meine Ausgangsprodukte«, konstatiert auch Eckart Witzigmann, Lieblingskoch der Münchner Schickeria, der sich in der zweiten TV-Serienfolge, außer mit knusprigem Spanferkel, mit einem Grießflammeri mit Backpflaumen profilierte. Witzigmann, ebenso wie Kastner, hofft, daß die ZDF-Serie dem einen oder anderen deutschen Landwirt Ansporn sein möge, endlich von Quantität auf Qualität umzusteigen.

Denn manches Erfreuliche und Appetitliche kommt da über den Bildschirm, zum Beispiel die originell verfeinerte Vollwertkost ("Stubenküken auf Grünkernrisotto"), die Doris Katharina Hessler aus Maintal bei Frankfurt servierte. Und wenn Hans-Peter Wodarz ("Ente vom Lehel") aus Bries und Kalbskopf seine »Wiesbadener Knödel mit Grüner Soße und Flußkrebsen« zubereitet, ist das spannend wie ein Krimi - allerdings auch eine Heidenarbeit.

Qualitätsfördernde Anstöße gingen hingegen von der jüngsten, von dem Berliner Rockendorf gestalteten Folge der »Gott in Deutschland«-Serie wohl kaum aus - da ging es krachend in den kulinarischen Keller. Mit Rockendorfs Menü haben auch Deutschlands Landwirte keine Mühe: Geräucherter Bauchspeck, Majoran und Kartoffeln (für »Berliner Kartoffelsuppe"), Mehl, Zwiebeln und ordinäres gemischtes Hack sind immer vorrätig.

Aus letzterem (die Omas nahmen wenigstens zur Hälfte Kalb) formte Rockendorf sein Hauptgericht »Königsberger Klopse«, die er hernach - Sauce Surprise! - in blankem, mit einer Mehlschwitze angedicktem Wasser ansetzte: Das könnte kein Kantinenkoch schlechter machen. Selbst in Lilo Auredens sparsamen Nachkriegskochbuch »Was Männern so gut schmeckt« (über eine halbe Million verkaufter Exemplare) ist ein Sud aus Fleischbrühe zum Garen der Fleischbälle vorgesehen.

Das Erstaunen des Zuschauers hatte Rockendorf, der seine Kochkünste in Kairo, Abu Dhabi und Kuweit abgerundet hat, schon mit einkalkuliert: »Die Klopse«, strahlte er zuversichtlich in die Kamera, »bringen den Geschmack.«

Bei Dreharbeiten zu »Essen wie Gott in Deutsch land«.»Essen wie Gott in Deutschland«. Verlag Zabert Sandmann, Hamburg undSteinhagen; 242 Seiten; 36 Mark.

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