AUSSTELLUNGEN Kult mit Koffern
Nach dem Untergang der »Titanic« (1912) schwamm auf der glatten See des Nordatlantik noch tagelang das unsinkbare Luxus-Gepäck ertrunkener Passagiere: wuchtige braune Koffer mit einem stilisierten Blümchenmuster und dem immer wiederkehrenden Zeichen »LV«. Es waren die Initialen des 1892 gestorbenen französischen Koffermachers Louis Vuitton.
Erzeugnisse mit diesem auch noch 1982 als Statussymbol wirkenden Signum galten schon vor einem Jahrhundert als unentbehrlich, wohin immer Wohlhabende auf die Reise gingen. Die staub- und wasserdichten Gepäckstücke der Pariser Familienfirma überdauerten nicht nur Schiffskatastrophen. Sie erwiesen sich als sicher gegen Termitenfraß und tropische Feuchtigkeit.
Ballonfahrern, die sie über dem Gondelrand hängen hatten, dienten sie notfalls als Schwimmkörper. Bei der historischen Auto-Rallye Paris - Peking im Jahr 1907 haben Vuitton-Koffer als einzige Gepäckstücke das Durchqueren von Wasserläufen besser überstanden als die Motoren. Der französische Afrika-Reisende Pierre Savorgnan de Brazza führte 1879/80 bei der Erforschung des Kongo als wichtigstes Gepäckstück einen Vuitton-Koffer mit sich: Er enthielt ein faltbares Bettgestell, eine Roßhaarmatratze, zwei Decken und vier Laken.
Louis Vuitton, der seine Laufbahn als Kofferpacker der Kaiserin Eugenie begonnen S.266 hatte und als Erfinder des modernen stapelfähigen Reisegepäcks der Nach-Postkutschenzeit gilt, hatte das »Kofferbett für Entdeckungsreisende« (in geschlossenem Zustand 70 mal 40 mal 43 Zentimeter) im Jahre 1876 entwickelt. Es war die Zeit, als Vuitton-Kunde Jules Verne gerade seinen Helden Phileas Fogg in 80 Tagen die Welt hatte umrunden lassen.
Nun gehört das historische Entdeckerbett aus dem Koffer zu den Paradestücken einer Ausstellung von Klassikern und Sonderanfertigungen aus der beinahe 130jährigen Geschichte der Firma Vuitton. Die Koffer-Schau war in Düsseldorf zu sehen, gastiert derzeit in München und wird über Hamburg in die USA weiterwandern.
Die exzentrischsten Globetrotter der Belle Epoque und der zwanziger Jahre, die Ausstellung zeigt es, haben bei den feinen Koffermachern an den Champs-Elysees arbeiten lassen. Maharadschas und Sultane, Künstler und Könige, Clemenceau wie Coco Chanel waren dort Kunden.
Hervorragendes Belegstück der Pariser Koffer-Kunst ist eine zerlegbare Kalesche aus dem Jahre 1910, mit der eine fernwehkranke Dame »der ersten Kreise« im Alleingang Persien bereist hat. Die Einzelteile der kostspieligen Sonderanfertigung können, bis auf die beiden Räder, in drei Koffern verstaut werden.
1925 fertigte die Firma für die Sängerin Lily Pons, die berühmt war wegen ihrer zierlichen Füße, einen Koffer, der 36 Paar Schuhen Platz bot. Berühmt wurde zur selben Zeit ein »Tea-Case« für Autofahrer mit einer bis ins letzte Detail durchdachten Innenaufteilung: Es enthielt unter anderem eine Brennspirituslampe, eine Teekanne und Wasserbehälter, die in ein Dutzend ineinanderpassender Teile zerlegbar sind.
Vuitton-Klassiker wie die frühen »Porte-Habits«, die bereits 1889 auf der Pariser Weltausstellung mit einer Goldmedaille ausgezeichnet wurden, der zusammenlegbare »Steamer-Bag« (1901) oder die Bestseller-Reisetasche »Keepall« (1924) werden unverändert noch immer hergestellt.
Als »Koffer an sich«, fast schon als Kultgegenstände, sollen auch die Vuitton-Oldies auf ihren Postamenten vor Augen führen, daß sie, im Gegensatz zu den profanen Dingen, die sie für gewöhnlich enthielten, der Mode nicht unterworfen sind.
Auch heute noch werden das vornehme Hartgepäck, die traditionsreichen Schrank- und Überseekoffer sowie sämtliche Sonderbestellungen wie zu Ururgroßvater Louis' Zeiten in dessen 1860 erbauter Fabrik im Pariser Vorort Asnieres angefertigt.
Die rund 90 Arbeiter im Stammwerk, meist Behinderte aus einem nahegelegenen Heim, die von Jugend an in das penible Handwerk eingearbeitet werden, kleben und nageln die Koffer Stück für Stück mit der Hand. Für die Rahmen verwenden sie immer noch jahrelang gelagertes Pappelholz, für Boden und Deckel exotisches Sperrholz, Buchenholz für die Leisten. Jeder Messingnagel wird mit dem Hammer eingeschlagen.
Leicht verändert ist inzwischen der Koffer-Bezug. Firmengründer Louis Vuitton hatte Leinen verwendet, das er mit Roggenmehl bestrich und so imprägnierte. Erst 1959 wagten seine Nachkommen, statt dessen vinylgetränktes Baumwollgewebe zu verwenden. S.267
Dem Blümchen-Dessin mit den Buchstaben »LV« sind die Vuittons hingegen treu geblieben. 1896, vier Jahre nach dem Tod seines Vaters, hatte Georges Vuitton, um Imitationen des Erfolgs-Gepäcks zu verhindern, das Muster mit den Initialen gesetzlich schützen lassen.
Georges ist auch der Erfinder des fünfzackigen aufbruchsicheren Schlosses, das seit 1890 unverändert in jeden Vuitton-Koffer eingenietet wird. Seither wird jeder Koffer-Kunde namentlich und mit seiner Schlüssel-Nummer in einer Liste verzeichnet.
Die auf mittlerweile über 90 Jahresbände angewachsene Registratur ist wohl die längste Prominentenliste der Welt. Ganze Dynastien, etwa das englische Königshaus, stehen darin, französische Staatsmänner von Clemenceau bis Mitterrand, aber auch die Mistinguette, Sacha Guitry, Mary Pickford, Douglas Fairbanks, Lauren Bacall und Sophia Loren, die unlängst mit einer Vuitton-Tasche in der Hand ihre Gefängnisstrafe in Rom antrat.
Demnächst wird das Familienunternehmen, das vor allem mit Handtaschen und Weichgepäck jährlich rund 250 Millionen Mark Umsatz macht, in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Dann wird voraussichtlich eine Beteiligung bei Vuitton immer noch billiger zu haben sein als ein normaler Schrankkoffer von Vuitton: Der kostet zwischen 10 000 und 12 000 Mark.