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SPIEGEL-Streitgespräch Kultur als Sparschwein?

aus DER SPIEGEL 35/1993

SPIEGEL: Der Berliner Senat will das Schiller Theater schließen. Halten Sie diese Entscheidung für vernünftig?

Friedrich: Für vernünftig auf keinen Fall. Da wird etwas in Panik zur Disposition gestellt, was sich nur äußerst schwer wiederherstellen ließe. Außerdem hat das eine verheerende Signalwirkung. Andere Städte und Länder könnten bald einen ähnlichen Kurzschluß erleben.

Kurz: Grundsätzlich bin ich immer für mehr und nicht für weniger Theater. Ob jedoch diese Form des Theaters zu halten sein wird, ist die Frage. Es haben ja kürzlich Tausende hier in Berlin für das Schiller Theater demonstriert. Wenn die alle regelmäßig ins Schiller Theater gegangen wären, würden wir dieses Gespräch womöglich gar nicht führen.

SPIEGEL: Die Berliner Theaterleute reden jetzt sehr viel von Solidarität. Ein Vorschlag lautet: Die Etats aller Theater sollten insgesamt um jenen Betrag gekürzt werden, mit dem das Schiller Theater weitergeführt werden könnte. Was halten Sie davon?

Friedrich: Die Deutsche Oper hat in den letzten drei Jahren 5,5 Millionen Mark aus einem vom Parlament bereits bewilligten Etat abgegeben.

SPIEGEL: Jetzt müßten Sie noch mehr abgeben.

Friedrich: Nein, einen zusätzlichen Scheck kann ich nicht ausstellen. _(* In Friedrichs Dienstzimmer in der ) _(Deutschen Oper. Das Streitgespräch ) _(moderierten die Redakteure Martin Doerry ) _(und Joachim Kronsbein. )

Kurz: Ich will mal ein paar andere Zahlen nennen: Deutschland gibt für seine Theater in Ost und West etwa 4 Milliarden Mark im Jahr aus, England 100 Millionen, also ungefähr 40mal weniger. Aber ich behaupte, daß England - das gilt vor allem für London - 10mal mehr Theater in den verschiedensten Formen hat, nämlich eine phantastische Mischung aus privaten und staatlichen Theatern.

Wenn also, und es sieht ja ganz danach aus, ein System wie das deutsche jetzt aufgebrochen wird, sind damit große Chancen verbunden, mehr Theater und mehr Freiheit zu erreichen. Die Entscheidung, welche der Staatsbühnen überleben darf und welche nicht, möchte ich aber den Politikern überlassen.

Friedrich: Das Beispiel England trügt. Dort gibt es schon seit Shakespeares Zeiten eine ganz andere Finanzierungsform. Patrone und Mäzene haben sich ihre eigenen Theatertruppen gehalten. Diese Tradition fehlt bei uns. In Deutschland ist das Theater sehr schnell eine Angelegenheit des Staates, der Gemeinwesen geworden. Das angelsächsische Modell kann uns nicht retten.

Kurz: Im Berlin der zwanziger Jahre gab es immerhin 75 privat finanzierte Häuser. Berlin war damals die größte Theaterstadt der Welt. Erst nach dem Krieg ist das totale Staatstheater hier künstlich kreiert worden.

Friedrich: Warum künstlich? Wir leben in einer demokratischen Gesellschaft. Und die hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Bühnenkunst als ein demokratisches Forum zu finanzieren, auf dem Widersprüche - ästhetische, politische - ausgetragen werden. Diese Vielfalt zu fördern, muß das elementare Interesse der Demokratie sein.

Kurz: Was Sie da sagen, finde ich richtig spannend. Denn Demokratie beruht natürlich auf dem Individualismus und damit auch auf dem Geld. Ja, Geld ist Demokratie. Aber dazu gehört auch die Freiheit. Und was passiert nun in diesem Land? Ein Kulturdezernent oder ein Kultusminister haben das Sagen. Es handelt sich dabei zumeist um parteipolitisch gebundene Funktionäre. Und schon ist es vorbei mit der schönen Demokratie.

Friedrich: Noch werden die Spielpläne der deutschen Bühnen nicht von den Kulturdezernenten, sondern von den Intendanten gemacht.

Kurz: Warum, zum Beispiel, wird Hochhuths »Stellvertreter«, also seine Kritik an der katholischen Amtskirche, in Deutschland kaum noch gespielt? Der Kanzler dieses Landes hat sich beim Vatikan dafür entschuldigt, daß ein deutscher Autor dieses Stück geschrieben hat. Wirklich demokratisch geht es erst dann zu, wenn sich neben den staatlichen auch unabhängige Privatbühnen etablieren.

SPIEGEL: Hohe Subventionen, so haben Sie, Herr Kurz, einmal gesagt, hätten das deutsche Theater nachhaltig geschädigt. Was ist dran an diesem Vorwurf?

Kurz: Nehmen Sie nur mal das Argument von der demokratischen Vielfalt. Es passiert doch hierzulande immer wieder, daß man beispielsweise in Bochum zur selben Zeit dasselbe Stück sehen kann wie in Essen und Dortmund, nur weil drei verschiedene Intendanten beweisen wollen, wer es wohl am besten machen kann. So etwas kann sich nur ein subventionierter Betrieb leisten.

Friedrich: Das bestreite ich grundsätzlich. Es gibt eine große Vielfalt der Spielpläne, vor allem aber kümmern wir uns um das Neue. Das nämlich ist eine der wichtigsten Aufgaben des öffentlichrechtlich finanzierten Theaters. Dabei geht es nicht um das Spekulativ-Neue auf dem Unterhaltungssektor, sondern um das Neue, das der Standortbestimmung jedes einzelnen oder der Gesellschaft dient.

Das permanente Bestreben, Neues auszuprobieren, muß subventioniert werden. Denn Theater und Musiktheater sind immer zugleich auch Labor, Werkstatt. Und Forschung im Bereich des Theaters kann nicht von der Wirtschaft betrieben werden, das leistet nur die öffentliche Hand.

SPIEGEL: Waren die Kurz-Produktionen »Cats«, »Starlight Express« und »Phantom der Oper« keine Innovationen?

Friedrich: Nicht im künstlerischen Sinne. Sicherlich hat Friedrich Kurz hier einen Markt entdeckt. Aber das sind alles Werke Andrew Lloyd Webbers, die sich längst in England oder in den USA durchgesetzt hatten. Wie schwer die Einführung eines wirklich neuen Stückes ist, hat Herr Kurz ja gerade beim Mißerfolg seines Marlene-Musicals hier in Berlin erlebt.

Kurz: Aber warum gibt es keinen deutschen Andrew Lloyd Webber? Wir haben in Deutschland mit Sicherheit talentierte Komponisten. Beim Staatstheater werden die nur nicht vorgelassen.

Friedrich: Das ist doch nicht wahr. Was ist mit Komponisten wie Wolfgang Rihm, Bernd Alois Zimmermann, Aribert Reimann? Der »junge Lord« von Hans Werner Henze war ein Hit überall dort, wo er gespielt wurde.

SPIEGEL: Sie reden offensichtlich von unterschiedlichen Genres. Herr Kurz wünscht sich den Musicalmacher, Herr Friedrich den Avantgardisten.

Friedrich: Nicht ganz. Wir alle in Deutschland vermissen irgendwo diese Quadratur des Kreises, die zuletzt Gershwin mit »Porgy und Bess« in Amerika gelungen ist. Das hat es seit 1935 nicht mehr gegeben, eine so musikalisch anspruchsvolle und zugleich unerhört populäre Musik.

SPIEGEL: Und weil das so ist, muß der Steuerzahler auf jede Karte der Deutschen Oper in Berlin im Schnitt noch einmal 175 Mark an Subventionen drauflegen?

Friedrich: Bei anderen Opernhäusern dürfte diese Summe noch weit höher ausfallen. Aber mit Statistiken ist das so eine Sache. Churchill hat mal gesagt: Ich traue nur solchen Statistiken, die ich selbst gefälscht habe.

SPIEGEL: Aber daß der Staat mit einem jährlichen Zuschuß von 79 Millionen Mark einen Großteil Ihres Budgets finanziert, werden Sie nicht bestreiten.

Friedrich: Einsparungen von zwei Millionen müssen Sie noch abziehen.

Kurz: Würden Sie sagen, daß die Oper populäre Kultur in Deutschland ist?

Friedrich: Aber ja.

Kurz: Dem widerspreche ich. In München oder Stuttgart kommen Sie gar nicht in die Oper, es sei denn, Sie haben ein Abonnement geerbt.

Friedrich: Aber das bestätigt doch die Popularität der Oper. In Berlin haben wir heute viel weniger Abonnenten als noch vor zehn Jahren. Trotzdem sind sehr viele Aufführungen ausverkauft. Oper ist also - was heißt überhaupt »populäre Kunst«? - eine Kunst, die gebraucht wird.

Kurz: Ich denke, sie ist elitär.

Friedrich: Nur, wenn man sie dazu macht.

Kurz: Das Publikum, das Sie haben, könnte auch Karten zum Fünffachen des üblichen Preises bezahlen. Wenn ich Kultusminister wäre, würde ich da ansetzen und sagen: Das ist unfair, auch und gerade der privaten Konkurrenz gegenüber.

Friedrich: Damit katapultieren Sie die Oper ins Abseits . . .

Kurz: Das will ich keineswegs.

Friedrich: . . . doch, doch. Denn noch gibt es eine Menge weniger gut Betuchter, die Oper einfach brauchen.

Kurz: Wenn Sie wirklich von Ihrem elitären Programm wegwollen, dann müssen Sie das ganze Theatermanagement ändern. Was meinen Sie, wie viele von den 80 Millionen Bundesbürgern jemals eine Oper besucht haben? Das sind verschwindend wenige. Aber man leistet sich allein in Berlin gleich drei Opernhäuser. Warum spielt man nicht mal die wirklich populären Werke, »Carmen« oder »Die Zauberflöte«, sechs Monate am Stück? Wenn Sie nicht mehr jeden Tag ein anderes Werk geben, sondern sechs Monate lang dasselbe, senken Sie die Betriebskosten mit einem Schlag.

SPIEGEL: Und Sie glauben, Sie können ein Opernhaus ein halbes Jahr lang mit demselben Stück füllen?

Kurz: Aber sicher. Wenn man es richtig inszeniert, bekommt man ein ganz neues Publikum.

Friedrich: Wenn ein Orchester ein halbes Jahr lang »Die Zauberflöte« spielt, ist die Luft raus.

Kurz: Ich würde sagen: Die werden immer besser.

Friedrich: Nein, nein. Das würde den Einsturz einer ganzen Kultur bedeuten, wenn ein Geiger ein halbes Jahr lang nichts anderes als »Die Zauberflöte« spielen würde. Ein Wahnsinn!

Kurz: Dann versuchen Sie es erst mal mit acht Wochen Laufzeit. Das geht bestimmt. Ich komme gerade aus London. Da gibt es keine Theaterferien. Die spielen den ganzen Sommer durch. _(* Mit Falk Struckmann als Amfortas. ) Warum machen das die deutschen Theater nicht? Gerade Berlin könnte davon profitieren. Diese Stadt kann doch nur vom Tourismus leben, und zwar vom Kulturtourismus. Aber wenn Sie heute abend hier in ein staatliches Theater gehen wollen - Fehlanzeige.

Friedrich: Wir beachten nur die Tarifverträge. Und danach haben unsere Mitarbeiter Anspruch auf Urlaub, so einfach ist das.

SPIEGEL: Müssen alle staatlichen Theater zur selben Zeit Ferien machen?

Friedrich: Absolut nicht, und daran arbeiten wir gerade. Es gibt Pläne für eine Überlappung des Spielbetriebs der drei Berliner Opern, so daß die Sommerpause verkürzt wird. Aber solche Reformen brauchen halt ein bißchen Zeit.

SPIEGEL: Wieviel Zeit bleibt Ihnen denn noch, bis die nächste Berliner Bühne aus Geldnot geschlossen wird?

Friedrich: Also, darauf lasse ich mich gar nicht ein. Wenn Deutschland in der Welt etwas für seinen guten Namen tun will, dann darf es nicht auf Aufführungen von Beethoven, Wagner, Berg und anderen verzichten. Und das muß in einer Qualität stattfinden, die privatwirtschaftlich eben nie herzustellen ist.

Das Land Berlin steckt genau 2,63 Prozent seines Etats in die Kultur. Das ist wahrlich nicht viel, vor allem nicht für eine Stadt, die reale Hauptstadt werden will. Die Politiker sollten nun endlich damit Schluß machen, die Kultur als Sparschwein zu betrachten.

Kurz: Ich wäre da vorsichtiger. Deutschland ist ja eine große Schuldnernation geworden. Das Geld, das in die Staatsbühnen fließt, muß doch erst mal in Form von Steuern hereingeholt werden. Je mehr Musicals und Privattheater eine Stadt allerdings hat, desto mehr Leute werden beschäftigt. Von dieser Industrie profitieren am Ende alle: Die Theaterleute, die Touristen, die Gastronomie - und der Finanzsenator.

Friedrich: Das ist bei staatlichen Bühnen nicht anders. Ich wehre mich nur gegen die Vorstellung, daß man mit neuen Privatbühnen staatliche Theater ersetzen könnte.

Kurz: Noch ist es nicht so weit. Ich hoffe aber natürlich, daß wir mit unserem Musical »Shakespeare & Rock''n''Roll« demnächst mehr Erfolg haben werden als mit der Marlene-Geschichte; das ist keinesfalls garantiert. Der Markt allerdings, da bin ich sicher, könnte in Berlin mindestens noch fünf weitere Musicals finanzieren. Dabei bliebe bestimmt auch noch genug privates Kapital übrig, um die staatlichen Musiktheater zu unterstützen. Die Metropolitan Opera in New York könnte da ein Vorbild sein . . .

SPIEGEL: . . . weil sie nur etwa knapp zwei Prozent ihres Etats aus Steuermitteln finanziert?

Friedrich: Dann lassen Sie uns alle nach Amerika ziehen. Wir können die amerikanischen Verhältnisse hier nicht importieren.

Kurz: Aber warum?

Friedrich: Ich habe einen sehr guten Freund in Texas, der unendlich viel für den Opernbau in Houston gespendet hat, obwohl er die Intendanz dieser Oper gar nicht mag. Dieses Mäzenatentum gehört einfach zum amerikanischen Bürgersinn.

Kurz: Angenommen, eine der drei Berliner Opern würde von heute auf morgen geschlossen: Glauben Sie nicht, daß sich dann Leute zusammentun würden, die ihre Oper wirklich lieben, Industrielle zum Beispiel, und die sagen würden: Das nehmen wir nicht hin, das werden wir jetzt privat finanzieren?

Friedrich: Gedankenspiele dieser Art führe ich lieber mit offenen Theatern. Aber gut: Vielleicht sagt zum Beispiel der Bertelsmann-Konzern mal eines Tages: Wir führen in Berlin oder anderswo eine Oper. Warum soll das nicht möglich sein? Wir arbeiten schon länger mit Sponsoren, die sich unter anderem an den Ausstattungskosten neuer Produktionen beteiligen.

SPIEGEL: Was ist die Gegenleistung?

Friedrich: Die Sponsoren werden im Jahresprospekt und im Almanach genannt, mehr nicht.

SPIEGEL: Eine Kapitalflucht in die Etats staatlicher Bühnen werden Sie damit kaum auslösen.

Friedrich: Aber wo denken Sie hin? Soll ich beim ruinösen Tempel im »Parsifal« das Logo eines Bauunternehmers im Bühnenbild aufleuchten lassen? Irgendwo gibt es doch wohl noch Grenzen.

SPIEGEL: Herr Friedrich, Herr Kurz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch. Y
*GESCHICHTE-2 *RUBRIK:

*ÜBERSCHRIFT: Kultur als Sparschwein? *UNTERZEILE: Götz Friedrich und Friedrich Kurz über das Subventionstheater

[Grafiktext]

_180_ Öffentl. Zuschüsse a. d. westd. Theater u. ihre Kasseneinnahmen

[GrafiktextEnde]

* In Friedrichs Dienstzimmer in der Deutschen Oper. DasStreitgespräch moderierten die Redakteure Martin Doerry und JoachimKronsbein.* Mit Falk Struckmann als Amfortas.

M. Doerry, J. Kronsbein

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