»Kultur ist eine Lebensader«
SPIEGEL: Herr von Dohnanyi, Sie begrüßen das Projekt der Elbphilharmonie, so wie die CDU und die Grünen. Ihre Partei, die SPD, enthielt sich bisher bei Abstimmungen in der Bürgerschaft. Warum weichen Sie von der Parteilinie?
Dohnanyi: Die SPD neigt in kulturellen Fragen generell dazu, Geld immer als etwas zu sehen, das man auf Kindergärten aufteilen könnte.
SPIEGEL: Tatsächlich fehlt Kindergärten, Schulen und der Universität Geld.
Dohnanyi: Ja. Aber ich halte es bei großen Kulturprojekten für einen Fehler, so zu diskutieren. In Berlin ginge ohne Kultur fast nichts. Man kann jedes Museumsbild verkaufen und davon zehn Kindergärten besser fördern. Aber so kann man keine Stadt in die Zukunft führen. Ich habe diese Auseinandersetzungen schon früher als Bürgermeister gehabt. Kultur ist doch auch Standort-Zukunft. Was wäre Dresden ohne die Frauenkirche und ohne die Kunstsammlungen? Weil Dresden aber diese Kunstschätze hat, wird die Stadt bald eine Konkurrenz zu München werden.
SPIEGEL: Sich gute Kultur zu leisten bedeutet also, Schulden zu machen?
Dohnanyi: Salzburg lebt von den Schulden Mozarts und Bayreuth von den Schulden Richard Wagners.
SPIEGEL: Als allzu kulturbeflissen gelten aber gerade die Hamburger nicht.
Dohnanyi: Hamburger Kaufleute haben früher oft gesagt: »Wenn unser Sohn was taugt, geht er ins Kontor. Und wenn er nichts taugt, kann er auch woanders studieren.« Ich befürworte die Elbphilharmonie auch aus spirituellen Gründen. Die Stadt muss ihren Geist erweitern.
SPIEGEL: Wenn eine Stadt von Kultur so profitiert, warum ist Berlin marode?
Dohnanyi: Weil sich große Unternehmen heutzutage kaum bewegen. Berlin leidet immer noch unter den Verlagerungen nach 1948, als nach der Berlin-Blockade die Unternehmer gesagt haben: »Da können wir nicht bleiben, weil wir von da nicht sicher liefern können.« Nach München fuhren Berliner Siemens-Angestellte höchstens zum Oktoberfest. Dann gingen Siemens, die Max-Planck-, vormals Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nach München, und inzwischen gilt die Stadt als wissenschaftliches Zentrum. Von dieser Verlagerung der Unternehmen profitiert der Westen heute noch. Meinen Sie, Hamburg wäre Pressezentrum ohne die deutsche Teilung?
SPIEGEL: Es heißt, die Berliner ließen sich alles vom Staat zahlen - eine Unterstellung?
Dohnanyi: Berlin braucht jetzt die Hilfe des Bundes, anders geht es gar nicht. Denn jeder Vergleich zwischen Ost und West ist töricht, weil wir die Vernichtung bürgerlicher und kaufmännischer Substanz im Osten bedenken müssen.
SPIEGEL: Wie unterschiedlich kümmern sich Städte um ihre Schönheit?
Dohnanyi: Ich hatte früher in Rheinland-Pfalz einen landwirtschaftlich dominierten Wahlkreis. Wenn es um Wettbewerbe wie »Unser Dorf soll schöner werden« ging, war jeder dabei. Je kleiner, desto überschaubarer. Deswegen bin ich für einen konsequenten Föderalismus. Auch Hansestädte wie Hamburg sind gut dran. Und Hamburg ist die Stadt der Mäzene.