Kunst-Blumen für Gastarbeiter
Vlassis Caniaris, Gast-Künstler aus Griechenland, ist mit seiner Arbeit in Verzug. Weil ihm die Vorbereitungszeit für seine West-Berliner Ausstellung zu knapp bemessen war, macht er sich weiter in den Schau-Räumen zu schaffen und kann dort gleich mitbesichtigt werden -- in einem pittoresken Werkstatt-Durcheinander von Leitern und Kartons, Farb-, Leim- und Gipstöpfen, Altkleidung und Sperrmüll.
Doch auch wenn Caniaris, 46, sein Werk vollendet hat, wird es in der Ausstellung (in der früheren »Galerie des 20. Jahrhunderts« am Bahnhof Zoo)* noch immer aussehen wie unter Hempels Sofa: Der Eindruck des Imperfekten, Unaufgeräumten, Provisorischen gehört ebenso zum Stil des Künstlers wie, diesmal, zu seinem Thema. Mit den schrundigen Formen und ärmlichen Materialien der Arte Povera, mit Gips und Draht und abgelegten Fetzen, sucht Caniaris die karge, unsichere Existenz der »Gastarbeiter -- Fremdarbeiter« (Ausstellungstitel) anschaulich zu machen.
Die Titel-Figuren sind real zugegen. Als gesichtslose Vogelscheuchen, als unförmige, buchstäblich zu Abfall-
* Bis 12. Februar, anschließend beim Heidelberger Kunstverein und im Museum Bochum. Katalog 48 Seiten; 6 Mark.
körben degradierte Behälter oder als Kleiderständer aus Lattengestell und Gipsbewurf, denen allenfalls Maschendrahtknäuel oder Konservenbüchsen als Köpfe zwischen den Schultern wachsen, stehen sie einzeln und in Gruppen umher -- makabre Statisterie für eine Folge dreidimensionaler Elendsbilder.
Eins dieser Environments, eine Art Bahnhofshalle, formuliert das Thema programmatisch: Fünf Caniaris-Typen ohne Kopf verharren da neben ihren Gepäckstücken in unschlüssiger Wartehaltung. Auf dem Boden ist das Planschema eines »Himmel und Hölle«-Hüpfspiels mit Stichworten wie »Ausländerpolizei«, »Wohnsituation«, »Akkordarbeit«, »Konsulate« markiert.
Weiter als mit dieser nüchternen Problem-Liste läßt sich Caniaris auf Parolen nicht ein. Er meidet die Konkurrenz zu Sozialforschern oder Agitatoren, verzichtet konsequent auf Schrifttafeln und bringt statt markiger Losungen ein gutes Quantum »Poesie« (Caniaris) in seinen Werken unter.
Poetisch im Sinn einer Verfalls- und Abfallästhetik mag es schon erscheinen, wie der Künstler seine fragmentarischen Figuren aus poverem Werkstoff dennoch stets zu glaubhaften Gestalten aufbaut oder wie er das Gastarbeiter-Dasein auf Abruf in einem Wohn-Stilleben mit wackligen Stellwänden, halb ausgepackten Kartons und verstreuten Utensilien symbolisiert: Ordnung zu schaffen würde weder lohnen noch, der Enge wegen, überhaupt möglich sein.
Doch geradezu surreal-träumerisch kann es werden, wenn Caniaris Kinder darstellt, denen er dann die getragenen Sachen seiner eigenen Kinder anzieht und die er mit schäbig-improvisiertem Spielzeug versieht. Durch sinnträchtige Gesten und Requisiten scheinen sie oft der Wirklichkeit entrückt.
So erhebt sich ein Kunst-Mannequin mit triumphaler (oder sehnsüchtiger?) Gebärde über einen Käfig aus Maschendraht, aus der emporgereckten Hand erblühen rote Blumen. Dem »Patenkind«, das (so ein Caniaris-Text im Katalog) »nicht von der Schaukel wegzubekommen« ist, weil es »Flieger werden« möchte, wachsen tatsächlich Flügel, und einer anderen Figur werden Rollschuhe zu Flügelschuhen.
Caniaris, der mit solchen Arbeiten überzeugend einen eigenen Standpunkt zwischen plakativer Polit-Kunst in der Art Klaus Staecks, den kritischen Panoptiken des Amerikaners Edward Kienholz und selbstgenügsamer Material-Demonstration begründet, hat, wie er zugibt, die Getto-Situation der Gastarbeiter nicht systematisch und statistisch erforscht. Sie ist ihm in konkreten Einzelbeispielen gegenwärtig. und er erlebt sie, auf seine Weise, selbst.
So recht »außer der Welt« fühlt sich der Künstler vor allem in Berlin, wo er sich provisorisch und ohne seine Familie vor gut einem Jahr niedergelassen hat -- mit einem inzwischen abgelaufenen Stipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (der nun. mit der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, als Ausstellungsveranstalter auftritt). Emigrant, Außenseiter ist Caniaris schon viel länger.
Der Athener Arztsohn (fünf Jahre Medizinstudium) hat seit 1956 die meiste Zeit im Ausland gelebt, aber schon seine 1960 in Rom gezeigten Frühwerke handelten von heimischen Problemen. Die Materialbilder »Hommage an die Mauern von Athen 1941--19 ..«
reflektierten, als immer neu beschriebene, immer wieder übertünchte Häuserwände, die unruhige und blutige jüngste Geschichte Griechenlands.
Dann, in Paris, ging Caniaris daran, Figuren-Fragmente aus Draht, Gips und Textilien herzustellen, zumeist von allgemeiner Bedeutung; aber es kam auch vor, daß solch ein halber Mensch auf einer griechischen Flagge stand.
Prägnanten Sinn jedenfalls gewann Caniaris' Kunst 1967, als in Griechenland der Obristen-Putsch Erfolg hatte. Der Künstler reiste unverzüglich nach Athen und engagierte sich im Widerstand gegen die Diktatur. 1969 konnte er sogar zunächst unbehelligt (bevor er wenig später doch fliehen mußte) eine Ausstellung zeigen, die das Regime kaum verhüllt herausforderte.
Mit bandagierten, von Stacheldraht umwundenen Gipstorsen ("Die Zeugen«, »Erzwungenes Schweigen") nahm er Premier Papadopoulos beim Wort, das griechische Volk habe vorerst ein »Gipsbett« nötig. Rund 4500 Ausstellungsbesucher empfingen als Gastgeschenk einen Gipswürfel mit einer künstlichen roten Nelke, dem Symbol des Freiheitskampfes.
Mit einem vergleichbaren Ansturm kann Caniaris in Berlin nicht rechnen. Gerade das zunächst betroffene Publikum ist durch die grotesken Öffnungszeiten im (Senats-)Galeriehaus praktisch ausgesperrt. Die Ausstellung wird in der Woche um 18 Uhr, samstags um 13 Uhr geschlossen und macht am Sonntag erst gar nicht auf.
Caniaris hofft jetzt, auf den weiteren Schau-Stationen, in Heidelberg und Bochum, seine Gast-Arbeit auch Arbeitern zeigen zu können.