Kunstmarkt »KUNST HINTER DEM BETT, KUNST UNTER DEM BETT«
SPIEGEL: Herr Ricke, Sie bieten in Ihrer Galerie und jetzt auch auf dem »Kunstmarkt« merkwürdige Gebilde an: ein Wand-Brett zum Beispiel, das der Amerikaner Keith Sonnier gepolstert hat, von seinem Landsmann Richard Serra eine Ansammlung unregelmäßiger Streifen aus Blei und von Barry Flanagan einen Haufen sandgefüllter Stoff-Wülste. Halten Sie das für Kunst und glauben Sie, das verkaufen zu können?
RICKE: Natürlich halte ich das für Kunst. Die Kunst hat sich ja seit Jahren immer mehr vom Bild, von der Stein- und Bronzeskulptur fortentwickelt, hin zu den sogenannten Objekten, wie Sonnier, Flanagan und Serra sie machen. Zu verkaufen sind solche Objekte allerdings schwer. Aber es gibt durchaus Sammler, die sich gern mit diesen neuen Sachen umgeben. Dann haben sie nämlich die Möglichkeit, schon für 1000 bis 4000 Mark ein Original zu kaufen.
SPIEGEL: Nehmen nicht auch Museumsdirektoren diese Chance wahr?
RICKE: Nein. die deutschen Museen -- ausgenommen das in
Krefeld -- fangen gerade erst mit der schon klassisch und teuer gewordenen Pop Art an.
SPIEGEL: Dann bleibt also die Privatkundschaft. Was sind das für Leute?
RICKE: Die größte Rolle spielen merkwürdigerweise Zahnärzte -- ich kann mir das auch nicht richtig erklären; dann kommen andere akademische Berufe und vor allen Dingen Wirtschaftsleute. Sie sitzen massiert im Rheinland, auch in Holland und Belgien gibt es bedeutende avantgardistische Sammler. Dagegen fällt Norddeutschland völlig aus.
SPIEGEL: Wie groß ist ihr Kundenstamm?
RICKE: Wenn Sie wirkliche Sammler meinen: fünf. Die kaufen aus jeder Ausstellung mindestens ein Objekt; von denen wird die Galerie finanziell getragen. Und dann gibt es einen größeren Kreis von vielleicht 30 Leuten, die gelegentlich mal was kaufen -- Graphik meistens oder kleine Bilder, ganz kleine Objekte.
SPIEGEL: Aus welchen Motiven wird bei Ihnen gekauft? Aus Begeisterung, Snobismus, Spekulation?
RICKE: Snobismus spielt nach meinen Erfahrungen gar keine Rolle, ein bißchen Spekulation mag hier und da im Spiel sein. Aber ganz sicher überwiegt das Engagement.
SPIEGEL: Und wenn der Engagierte sein Objekt nach Hause bringt, steht er vor der Frage: Wohin damit?
RICKE: Das ist natürlich sehr schwierig, weil die Objekte meistens auf dem Boden liegen und weil sie dort sehr viel Platz einnehmen. Und es wird immer schwieriger, je länger jemand sammelt. Dann kann man in der Wohnung vor lauter Kunst auf der Erde und an den Wänden und unter der Decke und hinter dem Bett und unter dem Bett fast nichts anderes mehr sehen.
SPIEGEL: Da ist ja ein frühzeitiges Ende des Sammelns abzusehen?
RICKE: Es gibt schon noch Möglichkeiten, Platz zu schaffen, Ich kenne einen holländischen Sammler, der sich jetzt ein Haus für seine Sammlung gebaut hat,
SPIEGEL: Eine Lösung nur für sehr reiche Leute.
RICKE: Ja, leider. Und das Schlimmste: Das Geld, das für den Hausbau investiert wird, geht dem Kunstkauf verloren.
SPIEGEL: So schwierig das alles sein mag -- der Höhepunkt der Unannehmlichkeiten steht Kunsthändlern und Kunstliebhabern offenbar noch bevor. Ein Objekt, auch wenn es sperrig ist, läßt sich doch immerhin verkaufen und in einer Sammlung aufbewahren. Aber nun hat sich Ihr Münchner Kollege Friedrich vor kurzem seine Galerie von einem Künstler mit Gartenerde anfüllen lassen, andere Künstler gehen in die Wüste und graben eine Rille in den Boden. Kann man mit dieser Kunst auch noch handeln?
RICKE: Verkäuflich ist das wohl nicht mehr. Aber man muß doch möglicherweise einen Mann, einen Sammler finden, der ein solches Projekt finanziert, damit der Künstler seinen Weg weitergehen kann. Wenn der Künstler in die Wüste geht, muß der Sammler zufrieden sein, einen Bericht zu bekommen, der dann, zusammen mit einem Photo, praktisch das Kunstwerk darstellt.
SPIEGEL: Was bleibt da für den Händler zu tun?
RICKE: Er muß eben als Vermittler auftreten, als Makler und Techniker zugleich. Das hat ja schon, bevor diese »Land Shows« kamen, mit den Environments angefangen. Damit beispielsweise der Minimal-Künstler Dan Flavin einen Raum mit Neonröhren ausstattet, muß der Händler einen Sammler finden, der den Raum haben möchte. Dann setzt er sich mit dem Künstler zusammen, handelt den Preis aus und wird selbst wahrscheinlich eine Provision beziehen. Eine Galerie braucht er dazu allerdings nicht mehr.
SPIEGEL: Der Händler wird zum Makler und der Sammler zum Mäzen, der künstlerische Projekte nur noch finanziert, ohne sie besitzen zu können -- eine riskante Entwicklung für Sie. Liegt es da nicht nahe, daß der Händler den Künstler zu überreden versucht, leichter verkäufliche Arbeiten zu produzieren?
RICKE: Das wäre das Ende für beide. Ich kenne auch kein Beispiel für derartige Pressionen, aber ich kenne natürlich die Sorgen. Der New Yorker Pop-Händler Leo Castelli hat zum Beispiel 18 Künstler in seiner Galerie. Ausstellbare und verkäufliche Werke machen aber nur fünf oder sechs. Seit zwei Jahren hat es keine Ausstellung neuer Arbeiten von Andy Warhol gegeben, weil Warhol kein Interesse hat, ein Bild zu malen, und Castelli respektiert das.
SPIEGEL: Mit anderen Worten: Der Kunsthändler im hergebrachten Sinn wird bald nur noch Antiquitäten aus seinem Magazin anzubieten haben?
RICKE: Nein, das glaube ch nicht. Es gibt ja Gott sei Dank immer verschiedene Trends in der Kunst, und ich sehe durchaus auch neue Ansätze in der Malerei. Man wird also, glaube ich, auch in Zukunft noch Bilder ausstellen und verkaufen können.