»Kunst ist kalte Konstruktion«
SPIEGEL: Herr Merz, im Spektakel der aktuellen Kunst wirken Sie wie ein asketischer Sonderling. Gegen expressiven Pinselschwung, triviale Motivzitate und flimmernde Monitore setzen Sie einfar-bige Wandflächen, geometrisch-schlichte Formen aus edlem Material und feierliche Inschriften. Fliehen Sie aus der Zeit?
Merz: Auf keinen Fall. Kunst darf nach meiner Überzeugung nicht unter dem Erkenntnisniveau ihrer Epoche bleiben.
SPIEGEL: Wie wird man diesem Anspruch gerecht?
Merz: Zunächst einmal durch die Einsicht, daß Kunst und Leben radikal getrennt sind. Als Künstler hoffe ich nicht, die Beziehung zwischen Menschen zu bessern.
SPIEGEL: Tatsächlich? Genau das liegt doch vielen sehr am Herzen.
Merz: Aberglaube und Okkultismus. Kunst ist eine kalte Konstruktion.
SPIEGEL: Zum Beispiel: Baselitz, Rauschenberg, Paik - gelten die Ihnen alle nichts?
Merz: Kollegenschelte liegt mir fern. Meine Vorbilder sitzen im Gerichtshof der toten Künstler, wie Mondrian, Ad Reinhardt, Barnett Newman oder Mies van der Rohe.
SPIEGEL: Was verbindet diese Meister der Abstraktion und des modernen Bauens?
Merz: Daß ihr Hauptinteresse an der Kunst die Form war. Die bleibt gültig, während das Interesse an Bildinhalten erlischt. Ich versuche, richtig Getanes zu erkennen und auf der Höhe der Zeit daran weiterzuarbeiten.
SPIEGEL: Ein rigoroser subjektiver Standpunkt. Oder halten Sie Ihre Prinzipien gar für allgemeinverbindlich?
Merz: Ich hoffe, das Leben ist frei. Die Kunst ist es nicht, da bin ich mir ganz sicher.
SPIEGEL: Wie meinen Sie das?
Merz: Absonderliche und absurde Erfindungen hatten wir genug. Für mich ist große Kunst die kleinstmögliche Abweichung von der Norm. Leichter wäre es, wenn man metaphysische Versprechungen anzubieten hätte.
SPIEGEL: Also keine Tiefenschau in monochrome Bildflächen hinein wie bei Yves Klein?
Merz: Bestimmt nicht. Klein hat gemalt, ich streiche an. Wer in diesem System nicht denken kann, muß davon enttäuscht sein. Aber ich bin kein Seismograph der Seele, ich verstehe von den Dingen des Lebens nicht mehr als jeder andere. Dazu habe ich keinen Beitrag zu leisten. Mein Beitrag ist der Teilaspekt Kunst - möglichst radikal und gründlich. Kunst ist kein Metier der Selbstverwirklichung.
SPIEGEL: Wenn Sie das so sehen: Was hat Sie denn überhaupt veranlaßt, ein Künstler zu werden?
Merz: Zuerst waren es natürlich die falschen Gründe. Aber dann habe ich die Möglichkeit gesehen, in einem abgeschlossenen System, jenseits der Verhängnisse des Lebens, ein Ideal zu denken und anschaulich zu machen. Darin kann eine Tröstung liegen, aber kein weiteres Versprechen.
SPIEGEL: Stellen Sie sich vor, alle Künstler malten nur noch wie Mondrian oder Merz. Graust Ihnen nicht vor einer solchen Monotonie?
Merz: Nein, denn dann wären endlich die feinsten Unterschiede zu würdigen wie der zwischen einer matten und einer glänzenden Bildoberfläche. Und es würde auch deutlicher, was der Künstler bewußt wegläßt.
SPIEGEL: Alle reden vom Ende der Moderne. Sie nicht?
Merz: Im Gegenteil. Erst jetzt können wir wirklich mit ihren Mitteln arbeiten - frei von Ideologie und anderem Nebensinn. Es war ein Unglück, daß sich moderne Künstler immer wieder freiwillig oder unfreiwillig mit Ideologien verbündet haben.
SPIEGEL: Gibt es eine Persönlichkeit oder ein Werk, in denen Sie die Moderne exemplarisch verkörpert sehen?
Merz: Kasimir Malewitsch. Der Abschied von der sichtbaren Welt, den er vollzogen hat, als er 1915 sein Schwarzes Quadrat malte, ist bis heute nicht in aller Schärfe erkannt. Das Quadrat enthüllt sich nicht durch Begaffen. Bei Kandinsky können drei Punkte noch immer als ein Gesicht erscheinen.
SPIEGEL: Solche freien Assoziationen des Betrachters, die der Künstler nicht geplant hat, werten Sie als »ungemeinte Bilder« ab. Aber was ist falsch daran, wenn jeder eigene Vorstellungen einbringt?
Merz: Grundsätzlich nichts, man soll nur nicht allzu rasch Frieden mit dem Kunstwerk schließen. Es vollendet sich in der Rezeption, aber nicht durch Lösung eines Bilderrätsels oder gutgemeinte Entzifferung einer privaten Hieroglyphe.
SPIEGEL: Daß Sie mit Ihren rigorosen Auffassungen das große Publikum frustrieren müssen, macht Ihnen wohl nichts aus?
Merz: Die Kunst ist in die Hände von Freizeitnarren gefallen. Auch wenn mir das als elitäres Getue ausgelegt wird: Es hat keinen Sinn, ungeschulte Menschen durch das Museum des 20. Jahrhunderts zu jagen. Die Artefakte vom Flaschentrockner Marcel Duchamps bis zum Mondrian-Gemälde enthüllen sich weder durch Begaffen noch durch geduldiges Betrachten.
SPIEGEL: Sondern?
Merz: Der Rezipient muß soviel wissen wie der Autor - das ist ein Gespräch von gleich zu gleich. Wir leben in keiner universellen Gesellschaft, in der die Kunst einen gemeinsamen Willen ins Bild zu setzen hätte. Kunst ist von einzelnen für einzelne.
SPIEGEL: Ihre eigene Produktion kennzeichnen Sie mit dem Kunstwort »Archipittura«, das die italienischen Vokabeln für Architektur und Malerei verschmilzt. Eine Formel für das, was Kunst Ihrer Meinung nach sein sollte?
Merz: Zumindest insofern, als es einen Zusammenhang einfordert, in dem die einzelnen Werke nicht nur vagabundierende Fragmente sind wie meistens in den Museen. Das gehört zu den Tragödien der Moderne. Kunstwerke brauchen einen festen Ort. Mir ist die Fläche, die ein Bild an der Wand ausschneidet, genauso wichtig wie das Bild selber.
SPIEGEL: Das spricht nicht unbedingt für Ihre Bilder. Ein Rembrandt-Gemälde dürfte denn doch um einiges interessanter sein als das Stück Wand dahinter.
Merz: Rembrandt ist auch nicht gerade mein Favorit. Hier in Venedig kann man aber sehr gut beobachten, wie Tizian oder Tintoretto Format und Licht genau auf einen bestimmten Raum ausgerichtet haben.
SPIEGEL: Haben Sie solche Vergleiche im Kopf, wenn Sie nun in Berlin gemeinsam mit dem Architekten Hans Kollhoff für den Umbau der früheren Reichsbank zum Außenministerium planen?
Merz: Durchaus.
SPIEGEL: Raumgliederungen mit rechten Winkeln und einfarbigen Flächen - hätte das der Architekt nicht auch allein gekonnt?
Merz: Nein, er hat sich ja bewußt für meine Ästhetik entschieden. Aber auf Originalität kommt es nicht an. Der Originalitätsgedanke in der Moderne hat alles zerstört. Der Künstler, der ja fast immer auf eigenes Risiko und eigene Kosten arbeitet, muß sich mit Absonderlichkeiten profilieren, um von der Kunst leben zu können.
SPIEGEL: Sie haben es offenbar doch auch ohne solche Verrenkungen ganz gut geschafft. Wird da das Unpersönliche zur persönlichen Note, zum marktgängigen Etikett?
Merz: Ich kann von meiner Arbeit leben, und das ist gut so.
SPIEGEL: Auch Sie seien ein Architekt, haben Sie mehrfach proklamiert. Aber tatsächlich gebaut haben Sie bisher allenfalls monumentale Steinquader innerhalb von Ausstellungen wie der Documenta von 1992. Wann kommt das erste bewohnbare Merz-Haus?
Merz: Darauf warten Sie vergebens. Architektur interessiert mich, wie Kunst überhaupt, nur in einem unpragmatischen Sinn. Ich habe auch da keine Lebensvorschläge zu machen. Daß heute an alles Praktische gedacht werden muß, verhindert ja gerade, Architektur als ein Ideal zu denken, sogar bei Museumsbauten. Schinkels Altes Museum in Berlin hatte weder Garderoben noch Cafeteria.
SPIEGEL: Beklagen Sie, daß sich das geändert hat?
Merz: Nein, es ist, wie es ist. Aber das hat Folgen für die Architektur.
SPIEGEL: In den Lustgarten vor dem Alten Museum wollten Sie einen zweckfreien, nur durch große Glasscheiben einsehbaren Pavillonbau mit großflächiger Wandmalerei stellen; den Wettbewerb haben Sie sogar gewonnen. Woran ist die Ausführung gescheitert?
Merz: Das Projekt ist in die politischen Mühlen gekommen und als »Bushaltestelle« verspottet worden. Ich konnte ja auch nicht mit den falschen humanistischen Versprechungen dienen, von denen Künstler-Exposés sonst strotzen. Hätte ich meinen Bau zum ökumenischen Meditationszentrum erklärt und den Menschen Einkehr im Lärm der Großstadt versprochen, wären meine Chancen gestiegen.
SPIEGEL: Von der Jury für das Holocaust-Denkmal sind Sie gleich in der Vorentscheidung ausgemustert worden?
Merz: Vielleicht war das ein ähnlicher Fall. Ich hatte einen 32 Meter hohen Betonkubus vorgeschlagen - mit einer Öffnung zum Himmel in der Decke und einem tiefen schwarzen Schacht im Boden. Es hätte kein Weg hinführen und keine Beleuchtung geben dürfen, kein Wort, keine Widmung. Bei diesem unsäglichen Thema muß jeder seine Erinnerungen und sein Bewußtsein mitbringen.
SPIEGEL: Was bedeutet Ihnen die Einladung zur Biennale?
Merz: Eine große Möglichkeit zum Ende des Jahrhunderts. Es gibt ja ein weitverbreitetes Gefühl von Abschied, und ich kann mir durchaus vorstellen, daß die Kunst nach 2000 verschwinden wird.
SPIEGEL: Sie sagen doch, die Moderne käme jetzt erst recht in Schwung?
Merz: Den Künstlern wird die Arbeit nicht ausgehen. Aber so, wie Kunst sich heute oft darstellt, muß der Gesellschaft der Verdacht aufkommen, es handele sich um infantile Spielerei.
SPIEGEL: Sie stellen Ihre neue Archipittura in ein Pavillongebäude, dessen heutige Gestalt aus der Nazi-Zeit stammt. Viele Ihrer Vorgänger haben auf diese Geschichte reagiert. War sie Ihnen gleichgültig?
Merz: Nein, sie war mir vollkommen bewußt. Aber ich habe versucht, meine eigenen Bedingungen zu schaffen. Ich wollte wirklich abstrakt arbeiten.
SPIEGEL: Sind Sie darauf gefaßt, daß die Biennale-Besucher zum Haupteingang des Pavillons hereingehastet kommen, bei Ihnen keine Kunst entdecken können und gleich in die Seitenräume weiterlaufen?
Merz: Als erste Beobachtung »Hier ist ja nichts« wäre das gar nicht so falsch. Sie sollte nur positiv vermerkt werden. Je kürzer die Leute bleiben, um so weniger ungemeinte Bilder steigen auf.