Kunst über Trauer Stell dich dem Tod, Baby

"Woman Crying" aus einem Romance-Comic von Anne Collier
Foto: Anne CollierEin Teppich aus Bonbons mit blau-weißer Maserung bedeckt den Fußboden im ersten Obergeschoss der Hamburger Kunsthalle. Wer dort vorbeikommt, soll eines der in Zellophan verpackten Ausstellungsstücke verzehren. Das war der Wunsch von Félix González-Torres, als er 1991 die Installation "Untitled (Loverboy)" entwickelte.
Die Bonbons wiegen mit Beginn jeder Installation exakt so viel wie damals der Künstler und sein an den Folgen von Aids sterbender Geliebter Ross Laycock zusammen. González-Torres wusste, dass auch er an Aids sterben würde. Während die Betrachter Candy lutschten und vielleicht über die Vergänglichkeit dieses Werks nachdachten, das durch Schwund ausgelöscht würde, wog auch González-Torres Jahr für Jahr immer weniger. Er starb 1996 mit 38 Jahren.
Es ist eine minimalistische Installation - und doch so stark: "Untitled (Loverboy)" ist vergänglich und wird dadurch erst lebendig, so wie Veränderung und Tod zum Leben des Menschen gehören. Doch mit gerade diesen Themen tut sich die westliche Kultur sehr schwer. Über Tod und Trauer nachzudenken, wird als deplatziert und unzeitgemäß wahrgenommen.

Kunst des Abschieds
The Estate of Bas Jan Ader / Mary Sue Ader Andersen, 2019 / The Artist Rights Society (ARS), New York
Warum das so ist, verrät die Ausstellung "Trauern. Von Verlust und Veränderung" in der Hamburger Kunsthalle zwar nicht. Sie zeigt aber all jene Phänomene rund um Tod und Verlust, die jeden von uns irgendwann erwarten und die wir dennoch so scheuen.
Gefühle und Kulturstudien
Wie geht man das schwere Thema also an? Als Brücke hat Kuratorin Brigitte Kölle die bis zur Rasterung vergrößerten Romance-Comics von Anne Collier gewählt. Die mit Tränen gefüllten Augenwinkel von "Woman Crying" sind werbehaft bunt, sie erinnern an Pop-Art von Roy Liechtenstein.
Ein leicht zu verdauender Auftakt, der wohl deshalb auch die Plakate und Broschüren der Kunsthalle ziert, poppig neongrün wie das blühende Leben. Im Laufe der Ausstellung wird der Verlustschmerz immer persönlicher. Mal geht es um Trennung, mal um Tod, mal um den Verlust von Idealen oder Heimat.
Und das tut jedem Künstler anders weh. Zwar versuchen schon seit fünfzig Jahren Sterbeforscherinnen wie Elisabeth Kübler-Ross oder Verena Kast, Trauerverläufe zu systematisieren. Doch Verlustbewältigung bleibt eine höchst individuelle Sache, auch in der Hamburger Schau. Ragnar Kjartansson etwa singt in theatralischer, pinkfarbener Inszenierung in Abendgarderobe und mit Begleitung einer Big Band 30 Minuten lang denselben Satz: "Sorrow conquers happiness" (Trauer bezwingt Glücklichsein) - ein packendes, letztlich befreiendes Mantra zwischen authentischem Gefühl und Lächerlichkeit.
Rosemarie Trockel filmte für ihre Arbeit "Manus Spleen" eine Gruppe junger Menschen bei einem Spaziergang über einen Friedhof, bei dem sich eine junge Frau lässig neben eine Leiche in ein frisch ausgehobenes Grab legt, wie um den eigenen Tod zu antizipieren. Und der Künstler Kudjoe Affutu arbeitet mit der Tradition einer ghanaischen Ethnie, Verstorbene in figürlichen Särgen zu beerdigen. Seine hölzernen Minisärge nehmen die Form von Tigern, Autos oder Schuhen an und sind sehr bunt bemalt.
Kein Mittel, keine Therapie
Wie gemeinschaftsstiftend Verlust auch sein kann, wird in den Arbeiten über kollektive Trauer klar. Der Fotojournalist Paul Fusco etwa fuhr im Jahr 1968 mit dem Zug mit, der den Leichnam des erschossenen Robert "Bobby" Kennedy von New York City nach Washington brachte. An den Gleisen wartete schätzungsweise eine Million Menschen, um Abschied zu nehmen, Journalist Fusco dokumentierte die in Trauer vereinten Amerikaner.
Doch während nach Todesfällen von Prominenten - man denke an Kobe Bryant oder Jan Fedder – die kollektiven Bekundungen enorm sind, wird persönlichem Schmerz immer weniger Raum zugestanden. Laut aktuellem Diagnose-Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung gilt Trauer schon dann als pathologisch, wenn sie länger als zwei Wochen andauert.
Dabei kann Verlustschmerz so sehr lähmen, dass Betroffene monate- oder jahrelang leiden und Depressionen diagnostiziert werden. Leider gibt es gegen Trauer kein Mittel und keine Therapie. Jeder und jede von uns wird diesen Schmerz eines Tages kennenlernen und eine Krise durchleben. Man kann nur empfehlen, vorher zwei Stunden der eigenen Lebenszeit in Ausstellungen wie dieser zu verbringen.
Ausstellung: "Trauern. Von Verlust und Veränderung", Hamburger Kunsthalle , bis 14. Juni 2020
Wie kann ein Team, wie kann eine Führungskraft damit umgehen, wenn ein Kollege stirbt? "Es ist wichtig, dass es im Unternehmen Räume für die Trauer gibt. Wenn das nicht passiert, kann es zu einer Art Trauerepidemie kommen", sagt Martin Prein, Psychologe und Ex-Bestatter. Hier erklärt er, wie man mit trauernden Kolleginnen und Kollegen umgehen sollte.