ÄRZTE Kunstfehler im Briefkopf
Handwerk zum Heilen und Töten«, so hatte nach dem Willen des Autors das Buch ursprünglich heißen sollen, das unter dem Titel »Auf Messers Schneide« im September letzten Jahres auf den Markt kam: die bislang heftigste Attacke gegen Deutschlands Chirurgen, verfaßt von einem Insider.
Professor Julius Hackethal, 55, seit drei Jahren freipraktizierender Chirurg im holsteinischen Lauenburg, zog in dem Buch vom Leder: »Zu viele vermeidbare Fehler«, heißt es da, passierten hei Westdeutschlands Chirurgen. »Das weiß jeder Arzt. Jeder schweigt. Jeder hat seine Gründe.«
»Stapelweise«, so Hackethal, sei seit Erscheinen des Buches, von dem in knapp vier Monaten 60 000 Exemplare verkauft wurden, bestätigende Leserpost eingegangen: von Patienten, die seine Hilfe als Gutachter suchen.
Doch die nach der fulminanten Standeskritik eigentlich zu erwartende Reaktion blieb aus. Die Staatsanwaltschaften, so meint Hackethal, oder jedenfalls die Ärztekammer hätten sich beim Autor melden und Aufschluß über die (im Buch verschlüsselten) ärztlichen Fehlleistungen und deren Urheber abfordern müssen -- »oder die Ärztekammer hätte mich wegen berufsschädigenden Verhaltens belangen müssen«. Keines von beiden geschah.
Vom Halse haben möchten die Ärztefunktionäre den Kritiker in den eigenen Reihen schon -- jedoch möglichst ohne auf seine Vorwürfe eingehen zu müssen. Dem öffentlichen Gespräch wichen die Standesherren aus, wo immer es ging. Letzte Woche nun bekam Hackethal zu spüren, auf welch trickreiche Art die Zunft sich an ihm rächen will.
Der »Zulassungsausschuß für Ärzte in Schleswig-Holstein« teilte dem Professor mit, die Kassenärztliche Vereinigung (KV) habe ein »Verfahren auf Entziehung Ihrer Zulassung als Facharzt für Chirurgie für Lauenburg« gegen ihn in Gang gesetzt, und zwar »wegen Verletzung Ihrer kassenärztlichen Pflichten«.
Im Klartext: Dem Chirurgen, der in seiner Lauenburger Praxis bis zu zehn Patienten täglich operiert, soll die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen werden -- denn 95 Prozent seiner Patienten kommen auf Krankenschein. Hackethal: »Wenn es nach denen geht, bleibt mir nur Erschießen oder Auswandern.«
Mit reichlich spitzfindigen Vorwürfen sucht die KV dem Chirurgen »mangelnde Eignung als Kassenarzt« nachzuweisen:
* Hackethal habe (im letzten Jahr) vom Berufsgericht einen Verweis bekommen wegen unkollegialen Verhaltens (gegen seinen Nachfolger in der Chefarztposition des Lauenburger Krankenhauses).
* Der Verweis sowie neuerliche Ermittlungen richteten sich auch gegen »unzulässige Werbung«; bestimmte Zusätze in Hackethals Briefkopf und einem Patientenrundschreiben seien nach der ärztlichen Berufsordnung nicht gestattet.
* Der Chirurg habe seine »kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt«, indem er bei an ihn überwiesenen Patienten mehr »ärztliche Verrichtungen« vorgenommen habe, als der überweisende Arzt verlangte. Punkt eins der mühsam zusammengestoppelten Anklageschrift (unkollegiales Verhalten) verweist zurück auf Hackethals an Klinik-Krächen und Standesfehden reiche Biographie. Gegen seinen bis dahin verehrten Lehrer. den Chirurgie-Ordinarius Gerd Hegemann, entfachte er 1963 den »Erlanger Professoren-Krieg«; auch damals ging es schon um Kunstfehler.
Gleichfalls mit Krach schied Hackethal dann 1974 aus dem Amt des Chefarztes im Lauenburger Krankenhaus. Diesmal war der Absprung vorbereitet. In Lauenburg richtete Hackethal eine ansehnliche chirurgische Praxis ein, ausgestattet auch für große Operationen einschließlich einer Wach-Station für Frischoperierte.
Zum Gesundpflegen aber werden die Patienten ausgelagert. Acht bis zehn Stunden nach der Operation werden sie in Spezialfahrzeugen verladen und, unter ärztlicher Begleitung, in den 44 Kilometer entfernten Heide-Kurort Bevensen gebracht. Dort verfügt der Professor in der Abschreibungsklinik »Diana« über mittlerweile 100 Belegbetten, die, »wenn ich da bin, immer voll sind« (Hackethal).
»Worv« (für »Weiträumige Operativ-Rehabilitive Verbundbehandlung") nennt der streitbare Chirurg sein Transportsystem, gegen das ärztliche Standesvertreter alsbald verschiedene Gutachten ins Feld führten.
Doch Hackethal kann, nach fast 1000 ohne Zwischenfälle verlaufenen Transporten, die Einwände widerlegen. »Der Weitraum-Transport am Operationstage«, schrieb er in einer »Worv«-Informationsschrift für seine Patienten, »hat das Risiko einer Spazierfahrt durch die Lüneburger Heide.«
Der Patienten-Rundbrief erregte wiederum den Zorn der Funktionäre -- sie sahen darin unlautere Werbung. Dieser Vorwurf war schon 1974 gegen den damals von Hackethal verwendeten Briefkopf ("Praxis-Klinik für Allgemein-, Unfall-, Plastik-, Bandscheiben-Chirurgie") erhoben worden. Eine so differenzierte Angabe von Spezialgebieten sei nach ärztlichem Standesrecht nicht zulässig.
Die Spezifizierung freilich spiegelt Hackethals Überzeugung, daß das Chirurgenhandwerk der Arbeitsteilung dringend bedürfe. Die »Schlechthin-Chirurgie«, kritisierte Hackethal in seinem Buch, die »von Kopf bis Fuß« alle Körperregionen unters Messer nehme, bedeute »zwangsläufig immer und immer wieder kleine, mittlere und schwere handwerkliche Fehler«.
Wie aus den nun im Gegenzug erhobenen bürokratischen Vorwürfen herzuleiten sei, daß dem Chirurgen Hackethal die Befähigung zum Kassenarzt abgehe, bleibt einstweilen das Geheimnis der KV-Funktionäre. Das gilt erst recht für die Vorhaltung. Hackethal habe -- unberechtigt -- zu viele Leistungen erbracht.
Dabei nimmt sich die von der AOK zurückverlangte Summe -- 142,30 Mark -- angesichts etwa der 100 000) Mark Regreßforderung gegen den Bundesärztekammer-Präsidenten Sewering (SPIEGEL 49/1 976) bescheiden aus.
Dagegen will Hackethal nicht nur den Nachweis führen, daß es sich um medizinisch notwendige Maßnahmen handelte; er will auch darlegen, daß er im gleichen Zeitraum den Krankenkassen »mindestens 5000 Mark« eingespart habe, indem er überflüssige Untersuchungen wegließ.
»Dreimal so freundlich im Tonfall« wolle er künftig sein, aber auch »dreimal so hart in der Sache«, hat sich Hackethal zur Jahreswende vorgenommen. Schon im ersten Jahresdrittel will der Professor den neuen Ton anstimmen: Im April, rechtzeitig zum Chirurgenkongreß 1977, soll des Hackethal-Angriffs zweiter Teil erscheinen. Geplanter Titel: »Nachoperation«.