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Langsam fallen

aus DER SPIEGEL 47/1970

Der aus dem Regen kam (Frankreich/Italien, Farbe). Es war einmal eine kleine Ehefrau mit hübschen Sommersprossen (Marlène Jobert), die wurde von einem finsteren Glatzkopf geschändet. Daraufhin hat sie ein Gewehr genommen, den Unhold totgeschossen und seinen Leichnam im Meer versenkt. Keine Zeugen.

Doch da kam ein brutaler Kerl des Wegs, der fast so aussah wie der böse Wolf (Charles Bronson), und der schien ganz genau zu wissen, was geschehen war. Er stürzte sich mit der Gewalt eines Bulldozers auf sein zierliches Opfer und knurrte: »Gib's zu, oder ich fress« dich.« Und weil Mellies Ehemann als Bordnavigator bei der Air France immer unterwegs war, blieb dem bösen Kerl genügend Zeit, sie gründlich durch die Mangel zu drehen.

Der französische Krimi-Romancier Sébastien Japrisot (Idee und Drehbuch) gilt seit Jahren als trefflicher Hochspannungs-Techniker. Der französische Regisseur René Clément wird seit seinem Film »Nur die Sonne war Zeuge« als Meister realistischer Finessen gerühmt.

Beide faszinieren mit einem Alptraum im Zeitlupen-Tempo, der genau dem Motto des Films entspricht, das aus »Alice im Wunderland« stammt: »Der Schacht war nun entweder überaus tief, oder aber sie fiel ihn sehr langsam hinunter, denn sie konnte sich während das Sturzes in aller Ruhe umsehen und überlegen, was mit ihr wohl jetzt geschehen sollte.«

Was da geschieht, ist ein Suspense-Drama, in dem sich Schritt für Schritt ein vertracktes, fast undurchschaubar scheinendes Labyrinth entwirrt und das nahezu in eine Liebesromanze zwischen Jäger und Opfer mündet.

Das Unheimliche, das die unbeholfen, doch beharrlich lügende Mellie anderthalb Stunden lang an den Rand des Wahnsinns treibt, erweist sich zum Schluß als meßbar: Der Sturz durch den Schacht findet sein Happy-End.

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