ESSEN Last der Lust
Gesäß und Busen«, schrieb das US -Magazin »Time« über die physiologischen Kehrseiten des westdeutschen Wirtschaftswunders, »wuchsen schneller als die Industrie.« Auf jedem fünften Westdeutschen lastet übergroße Körperfülle. Zwei amerikanische Forscher untersuchten jetzt die Gesetze dieses Wachstums bei Amerikanern*.
Die Doktoren Sami Hashim und Theodore Van Itallie vom Forschungslabor für Ernährung und Stoffwechsel am St. Luke's Hospital in New York haben dabei den psychologischen Mechanismus aufgedeckt, der Dicke dicker werden läßt und Dünne zügelt: Bäuche sind Fett gewordene Verführung.
Den Freiwilligen - teils über-, teils noramalgewichtig -, die sich bei Dr. Hashim zu einem wochenlangen Test -Essen einfanden, wurde ein scheinbar
verlockendes Programm gesetzt: Sie sollten soviel essen, wie sie mochten. Freilich, die Art, wie ihnen die tägliche Kost dargereicht wurde, war absonderlich.
Einsam in ihrem Zimmer, ohne Mit -Esser, ohne Geschirr und Tafelsilber mußten sich die Versuchspersonen ihre Nahrung einverleiben - aus einer eigens konstruierten Eßmaschine. So oft sie Appetit verspürten, konnten sie einen Schlauch zum Munde führen, einen Knopf drücken, und eine Portion Brei schob sich ihnen in den Mund.
Der Diätbrei, ähnlich der Nahrungspaste, die für Raumfahrer entwickelt wurde, enthielt alle notwendigen Nährstoff-Ingredienzen: 20 Prozent Eiweiß, 30 Prozent Fett, 50 Prozent Kohlenhydrate. Aber die Paste war für Gourmands, nicht für Gourmets bereitet - sie schmeckte und duftete nach nichts.
Zweck, der Versuchsanordnung war, den Akt der Nahrungsaufnahme allen psychologischen Beiwerks zu entkleiden. Was bleibt, fragten die Forscher, von der Eßlust übrig, wenn Mahl-Zeiten und schmückende Präliminarien, wenn alle Tisch-Riten und verlockenden Blick - und Geschmacksanreize wegfallen?
Die Resultate des Experiments waren
verblüffend. Normalgewichtige ließen sich von der Maschine durchweg die gleiche Kostmenge verabreichen, die sie auch sonst an reichgedeckten Tischen zu sich nahmen; mit einer täglichen Zufuhr von durchschnittlich 3000 Kalorien hielten sie exakt ihr Körpergewicht.
Die Fettleibigen dagegen, bei denen die Forscher eine viel höhere Eßquote erwartet hatten, griffen so selten zum breispendenden Schlauch, daß ihre Kalorienaufnahme weit unter dem normalen täglichen Bedarf blieb. »Einige«, berichtete Dr. Van Itallie, »aßen manchmal den ganzen Tag nichts, andere nahmen nur 300 bis 400 Kalorien zu sich.« Keiner von ihnen beklagte Magenbeschwerden oder Hunger - alle nahmen rapide ab.
Einer der Dicken, ein 27jähriger, 180 Kilogramm schwerer Mann, aß pro Tag durchschnittlich nur 350 Kalorien, weniger als ein Zehntel seines gewohnten Tageskonsums. Nach acht Monaten hätte er 90 Kilo abgenommen.
Die New Yorker Ernährungsforscher schlossen aus den Versuchsergebnissen, daß eine Befehlszentrale im Gehirn offensichtlich den Fetthaushalt des Körpers kontrolliert. Bei Übergewicht erteilen diese Steuerzellen Order, den Nahrungskonsum einzuschränken. Sie erregen Widerwillen gegen weitere Kostaufnahme - solange mit dem Eßvorgang keinerlei anregende Tafelfreuden verbunden sind. Schicksal des Vielessers wäre es mithin, daß er die Steuerung vom Gehirn fortwährend selber überspielt, indem er sich von psychologischen Stimulantien überwältigen läßt: Er ißt mehr, nur weil es ihm Lust bereitet, mehr zu essen.
Daß es verfuhrerische Darbietung und nicht Hunger ist, was Völlerei in Gang setzt, wurde denn auch bei einer leichten Abwandlung des New Yorker Eß -Experiments bestätigt. Die Fetten unter den Versuchspersonen verdoppelten unwillkürlich ihre Tagesration auf 500 bis 700 Kalorien, sobald ihnen ein Minimum an Eßkultur gewährt wurde.
Erläutert Dr. Hashim: »Sie aßen mehr, wenn sie den Brei aus einer Tasse oder einem Glas einnehmen durften, noch dazu in Gesellschaft oder vor dem Fernsehschirm.«
* Nur in etwa fünf Prozent aller Fälle führen krankhafte Störungen zu übergewicht.
Automatischer Brei-Spender für Eß-Tests
Abschied vom Fett