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MEMOIREN / BREKER Lebender Leichnam

aus DER SPIEGEL 53/1970

An einem »grauen Novembertag des Jahres 1938« empfing der Berliner Bildhauer Arno Breker knappe, doch folgenschwere Order: Hitlers Chefarchitekt Albert Speer bestellte den Künstler für fünf Minuten in sein Büro und teilte ihm dort mit, binnen acht Tagen habe er Skulpturenschmuck für die Kanzlei des Führers zu entwerfen. »An diesem Tag«, empfindet Breker, 70, noch heute, »entschied sich mein Schicksal.«

Schon auf der Heimfahrt im Omnibus skizzierte Breker, der beim olympischen Kunst-Wettbewerb 1936 eine Silbermedaille gewonnen hatte, einen Fackelträger und einen Krieger mit Schwert -- Symbolfiguren, die nicht nur Speers, sondern auch Hitlers Beifall fanden.

Mit diesem höchsten Wohlwollen machte Breker alsbald Karriere, sein virtuoser« pathetischer Monumentalstil wurde zum offiziellen Plastik-Stil des Dritten Reiches. Breker erhielt den Prof essortitel sowie hochdotierte Staats- und Partei-Aufträge für allerlei nordische »Rächer«, »Künder«, »Kämpfer«, auch »Opfer« und für bombastische Geheimprojekte: einen Siegesbogen, doppelt so hoch wie der Pariser Arc de Triomphe, oder einen Springbrunnen von 126 Meter Durchmesser.

An die Zeit dieser »gigantischen und unverhofften Aufgaben« denkt der Führer-Favorit, der nun in Düsseldorf-Lohausen wohnt, noch immer mit Stolz und Wehmut zurück, und er scheut sich nicht, die Rückschau öffentlich zu halten. Arno Breker hat soeben seine Erinnerungen publiziert und ihnen ein passendes Hitlerwort vorangestellt: »In der Politik sind alle Künstler so einfältig wie Parsifal.«

Nicht dem deutschen Publikum jedoch ist diese Einsicht vorerst zugedacht, sondern französischen Lesern: Breker legt seine Memoiren in Paris vor, wo er lange gelebt und Prominente vom Rang Cocteaus zu Freunden und Modellen hatte, wo er 1940 Hitlers Fremdenführer sein durfte, wo er weiterhin eine Absteige am Montmartre und einen konservativen Verehrerkreis besitzt. Sein Buch heißt demnach: »Paris, Hitler und ich"*.

»Die einzige Epoche, in der ich glücklich war«, nennt heute der Elberfelder Steinmetzsohn die Lehr- und Boheme-Jahre, die er von 1927 bis 1933 in Paris verbrachte.

Ihm widerfuhr damals, wie er gewissenhaft überliefert, zum Beispiel das Glück. vom klassizistischen Bildhauer Aristide Maillol öffentlich als »deutscher Michelangelo« qualifiziert zu werden -- eine pikante Erinnerung. Denn die Empfindung des Gelobten glich, so entsinnt er sich, »der eines jungen Mädchens, das sich zum erstenmal entblößt« dadurch die Begeisterung seines Liebhabers erregt (,Mein Gott, welch wundervoller Busen!") und darauf nicht anders zu erwidern weiß, als zu erröten und die Blicke niederzuschlagen«.

Seine Qualitäten mochte Breker 1933 dem Vaterland nicht länger vorenthalten; in Berlin schien ihm eine glänzende Laufbahn bevorzustehen. Den ersten größeren Erfolg jedoch

*Arno Breker: »Paris, Hitler et Moi« Verlag Presses de la Cité, Paris; 300 Seiten; 23,70 Franc.

erstritt er erst beim Olympia-Wettkampf; und das war ein doppelt »gesegneter Augenblick meiner künstlerischen Existenz«, da ihm bei der Gelegenheit ein »großartiger, aufs beste proportionierter Athlet« namens Gustav Stührk begegnete. Stührk diente fortan als Prototyp für Brekers Muskelprotze in Gips und Bronze.

Bei Kriegsausbruch zog sich der »Parteistukkateur« (Künstlerjargon) aus dem bombenbedrohten Berlin in das märkische Schloß Jäckelsbruch zurück. Eigens für die staatliche Monumentalproduktion richtete ihm Speer dort ein Atelier mit Gipsbrennerei und Gleisanschluß ein. Zu Brekers Diensten standen bis zu 22 Assistenten bereit -- vorwiegend Pariser Gießereispezialisten, die er in Kriegsgefangenenlagern rekrutiert hatte.

In seiner besetzten Wahlheimat wurde Breker nun gleichfalls wieder tätig. Er hält es sich zugute, eine von Himmler vorgeschlagene Annexion Burgunds und die Verhaftung Picassos unterbunden zu haben. In Paris veranstaltete er derweil Ausstellungen unter dem Patronat des Vichy-Premiers Laval.

»Gibt es eine nationalsozialistische Kunst?« wurde der Nazi-Künstler dabei von Franzosen gefragt. Er fragte verständnislos zurück: »Kann man einen Blinddarm katholisch und lutherisch operieren?«

So wertfrei scheint Breker, der noch immer meint, Hitler hätte »als einer der größten Bauherren in die Geschichte eingehen« können, sein eigenes Tun zu allen Zeiten eingeschätzt zu haben. »Ich war nur Bildhauer«, hielt er 1945 dem Münchner CIC-Direktor vor, der ihm zu einem Schuldbekenntnis riet.« Wie können Sie mir eine öffentliche Erklärung empfehlen, nach der ich bereue, zu gut gearbeitet zu haben?«

Brekers Arbeit wäre tatsächlich auch anderen Auftraggebern gut genug gewesen. So warb Argentiniens Staatschef Perón um ihn, und 1946 ließ ihn auch Stalin bitten. »Ich habe damals abgelehnt und gesagt: Eine Diktatur reicht mir. Heute«, so Breker heute, »frage ich mich, ob ich nicht unrecht hatte.«

Denn der Bildhauer, der sein Entnazifizierungsverfahren mit einer Geldstrafe von 100 Mark überstand, ist in der Bundesrepublik angeblich »der einzige Bestrafte«.

Wie ein »lebender Leichnam« behandelt fühlt sich der Künstler vor allem, weil ihn noch kein Auftrag des Bonner Staates erreicht hat. Dabei konnte die »Deutsche Nationalzeitung« schon 1954 melden: »Offiziell geschnitten, inoffiziell Hochbetrieb.«

Als Baumeister und Bildhauer des Kölner Gerling-Konzerns hat Breker ein zweites Mal reüssiert. Er zierte Bank- und Versicherungspaläste mit Kunst am Bau -- glatt und substanzlos wie je. Konzernherren wie Hugo Henkel und Hermann Josef Abs bestellten sich ihren Bronze-Kopf bei Breker, und auch Ira von Fürstenberg saß Hitlers Hofplastiker Modell.

Kürzlich konnte der »arme A. B.« ("Die Zeit") endlich auch wieder einen Staatsauftrag entgegennehmen -freilich von fern: Für die marokkanische Stadt Casablanca soll er ein Reiterstandbild des verstorbenen Königs Mohammed V. liefern.

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