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LEVINE Lebender Löwe

aus DER SPIEGEL 41/1964

Sie war blond, heiser und unbegabt

- doch ihre Angewohnheit, niemals einen Büstenhalter zu tragen, lockte Millionen an die Kinokassen. 27 Jahre nach ihrem Tode wird ihr kurzes, unglückliches Leben in Hollywood verfilmt: Jean Harlow. Produzent des Films: Joseph E. Levine.

Zur selben Zeit dient der Name eines Mannes, der vor 170 Jahren der Welt frivolste Memoiren schrieb, als Titel eines neuen Films aus Rom: Casanova. Mitproduzent des Filmherstellers Carlo Ponti: Joseph E. Levine.

Der Mann Levine, vor einigen Jahren auch in amerikanischen Kinokreisen noch fast unbekannt, gilt neuerdings im internationalen Filmgeschäft als Zauberer. Wo Geld gemacht wird, taucht sein Name auf.

Die von Levine fabrizierte Filmversion des rüden US-Bestsellers »Die Unersättlichen« von Harold Robbins - in der ebenfalls Jean Harlow, wenn auch verschlüsselt, figuriert - bescherte amerikanischen Kinobesitzern auch in diesem heißen Sommer Rekordeinnahmen. Das sex-satte Lichtspiel, das rund dreieinhalb Millionen Dollar kostete, erbrachte allein in New York in kurzer Zeit vier Millionen Dollar. Branchenkenner rechnen mit einer Welt-Kasse von vierzig Millionen Dollar.

Sex-Szenen machen auch Levines Film »Zulu« attraktiv: Zweihundert formvolle Afrikanerinnen tanzen topless. Und Carlo Pontis Welterfolg »Gestern, heute und morgen« mit Sophia Loren und Mastroianni entstand gleichfalls unter Levines Partnerschaft.

Neue aufwendige Projekte gab der Wundermann Mitte vergangenen Monats bekannt: Levine bereitet Filme über Mahatma Gandhi, den Playboy

Rubirosa, den »Oscar« und das Erdbeben von San Francisco vor. Auch Henry Millers orgasmischen »Wendekreis des Krebses« hat er zur Verfilmung erworben. Dem »Unersättlichen«-Autor Robbins zahlte er für ein noch nicht begonnenes Film-Skript, »Die Abenteurer«, 500 000 Dollar Vorschuß.

Diese ungewöhnliche unternehmerische Potenz sicherte sich jetzt der amerikanische »Paramount«-Konzern durch den größten Vertrag, den eine Hollywood-Gesellschaft mit einem unabhängigen Produzenten je abschloß: Levine liefert der Paramount 23 Spielfilme. Sagt ein Paramount-Sprecher: »Sie können uns als verlobt betrachten.«

Doch nicht nur als Produzent, Verleiher und Importeur von Lichtspielen ist Joe Levine heute gefragt. Er produziert am Broadway das Musical »Kelly«, er unterhält - neben zwei Kinos - in New York ein Experimentier-Theater, er produziert Fernsehserien und veranstaltet, gemeinsam mit drei amerikanischen Verlagsunternehmen, ein Roman-Preisausschreiben, das, dem Autor des gekürten Manuskripts 200 000 Dollar sowie Verfilmung durch Levine verheißt.

In Joseph E. Levine, 59, ist dem angeschlagenen Show-Business wieder ein Schaumann vom Schlage der Louis B. Mayer und Samuel Goldwyn erwachsen. Doch Levine ist beweglicher als die alten Bosse. Er unterhält kein Studio, hat keinen schwerfälligen Firmenapparat und keinerlei Gerät. Er sagt: »In den großen Studios sitzen zu viele Buchhalter.« Und: »Hoffentlich werde ich nie eine Kamera besitzen.«

Levine trifft seine Entscheidungen flink. Debattieren die Direktoren großer Firmen noch den Ankauf einer italienischen Produktion, sitzt er bereits im Jet nach Rom. Geschäftsabschlüsse per Übersee-Telephonat sind für ihn alltäglich. Er findet: »Das neue Geschäft ist das alte geblieben - nur unter neuen Bedingungen.«

Die neuen Bedingungen, unter denen geschäftlich erfolgreich produziert werden kann, erläutert er so: »Wenn ich eine Idee habe, kaufe ich das Buch oder bestelle ein Skript. Dann verpflichte ich den Regisseur und die wichtigsten Stars. Ich suche mir einen Koproduzenten und einen Produktionsleiter. Und dann lasse ich die ganze Geschichte von einer Firma, zum Beispiel von der Paramount, besorgen. Ich schalte mich erst wieder bei der Werbung ein.«

Tatsächlich arbeitet die Hälfte seiner Angestellten in der Propaganda-Abteilung. Im Büro seiner »Embassy Pictures Corporation«, die das 39. Stockwerk im New Yorker »Time & Life«-Gebäude belegt hat, sitzen heute 108 Angestellte: etwa fünfzig in der Werbung, etwa fünfzig im Vertrieb. Denn »einen Fehler«, sagt Levine, »haben die großen Filmgesellschaften alle gemacht": Sie entließen in Krisenzeiten als erste die Werbeleute. Indes: »Reklame muß sein. Wie soll das Publikum sonst Bescheid wissen?«

Sein Erfolg scheint ihm recht zu geben. Noch vor fünf Jahren ernährte seine Firma lediglich drei Personen: Joe Levine, Mrs. Rosalie Levine und eine Sekretärin. Und wenn der kleine, rundliche Zweizentnermann mit dem bebrillten Mondgesicht, sogar an die Zeit vor 50 Jahren zurückdenkt, kann er sich »an keinen glücklichen Tag erinnern«.

Levines Vater, ein armer Flickschneider, war aus Rußland eingewandert. Er starb, als Joe, sein sechstes Kind, vier Jahre alt war. »In der Schule«, erinnert sich der Filmboß, »haben sie mich immer gewogen, weil ich unterernährt war.«

Aus den Slums der Billerica-Street streunte er in bessere Stadtteile von Boston, um - nach allamerikanischem Karrieremodell - als Schuhputzer und Zeitungsboy sein erstes Geld zu verdienen. In der Billerica-Street fühlte er sich nie ganz sicher: »Kaum gab es in Polen ein Pogrom, bekamen auch wir Scherereien.« Mit neunzehn eröffnete er, gemeinsam mit seinen Brüdern, den Konfektionsladen »Le Vine's« - »klang etwas französischer als Levine«. Später hausierte er in New York.

1938 hatte er seine »erste gute Idee": Er lieh sich Geld, erwarb ein kleines Kunstkino in der Universitätsstadt New Haven (Connecticut) und eröffnete mit dem Duvivier-Film »Un Carnet de Bal«. Die Yale-Studenten machten das Programm zu einem finanziellen Erfolg.

Die ersten Einnahmen wußte der Branchen-Neuling Levine bald zu mehren: Er betätigte sich als Regionalverleiher für Western-Filme und einen Hygiene-Streifen, »Body Beautiful«. Wenig später aber erlebte er seinen ersten Rückschlag. Er hatte in den Antarktis-Film »Discovery« des Südpolforschers Admiral Richard E. Byrd 20 000 Dollar investiert. Zum Dank umarmte ihn der Admiral und sagte: »Joe, nenne mich Dick.« Stolz meldete Joe seiner Frau Rosalie: »Stell dir vor - ein Levine aus der Billerica-Street als Partner eines Byrd aus Virginia.«

Doch der aus Virginia »lief dann immer in seiner Uniform herum und behandelte mich wie einen seiner Matrosen«. Außerdem war »Discovery« ein »flop«, ein völliger Mißerfolg.

Glücklicher operierte Levine 1956: Er importierte den infantilen japanischen Monstre-Film »Godzilla«, bezahlte 12 000 Dollar für die US-Rechte, entlieh von Banken 400 000 Dollar für die Werbung

- und machte eine Million.

Diese Import-Praxis baute er in den folgenden Jahren aus. 1957 kaufte er für 100 000 Dollar das italienische Historien-Spektakel »Attila« und investierte 600 000 Dollar in die Werbung - der Film brachte zwei Millionen.

1959 importierte er für 120 000 Dollar den ersten italienischen »Herkules« -Film in die USA. Für die Reklame gab er rund 1,2 Millionen Dollar aus. Allein 40 000 Dollar kostete ihn ein Gala-Essen, zu dem er amerikanische Kinobesitzer einlud; zur Dekoration gehörten ein lebender, wenn auch zahmer Löwe und eine Gruppe sich räkelnder Amazonen.

Levine inspirierte »Herkules-Comics« und »Herkules-Hamburgers«, er verschickte dreieinhalbpfündige Nachbildungen des Herkules-Darstellers Steve Reeves in Schokolade, warb im Fernsehen und inserierte nur ganzseitig.

»Als jeder Amerikaner, der nicht taub, blind oder tot war, es wissen mußte«, brachte er den Film in 624 Kinos gleichzeitig heraus. Während der nächsten Monate sahen insgesamt 24 Millionen Amerikaner in 11 465 Filmtheatern »Herkules« - Levine verdiente fünfeinhalb Millionen Dollar.

1961 hielt er den amerikanischen Bedarf an »Sandalen-Filmen« vorerst für gedeckt. Er entdeckte die etwa fünfhundert Kunst-Kinos in den USA, flog nach Rom, sah sich drei Minuten aus dem De-Sica-Film »... und dennoch leben sie« an - die Szene, in der Sophia Loren vergewaltigt wird - prophezeite dem Produzenten und Loren-Ehemann Ponti: »Sophia bekommt den Oscar« und zahlte 300 000 Dollar für die Amerika-Rechte.

Die Loren bekam den Oscar, Levine machte 1,3 Millionen Dollar Profit. Freilich erkannte er bald: »Es ist sehr schwer, mit Kunst Geld zu machen, außer mit Gemälden alter Meister.« Er hatte sich nämlich an der O'Neill-Verfilmung »Eines langen Tages Reise in die Nacht« beteiligt - Resultat, laut Levine »Großer Film, große Pleite.«

Nun lernte er sein Programm zu mischen. Einige italienische Filme, wie »Boccaccio '70«, »Scheidung auf italienisch« und »Achteinhalb«, importierte er nur; an anderen, wie »Gestern, heute und morgen« und »Casanova«, die ihm weniger riskant erschienen, beteiligte er sich beizeiten.

Joseph E. Levines Vorliebe für italienische Koproduktionen trug ihm in der US-Fachpresse den Necknamen »Euripides« (für »E.") ein. Sein Sinn für Reklame wurde von einem US-Fachverband durch Verleihung des Titels »Überragender Showman des Jahres« gewürdigt. »Dieser Mann«, schwärmte Paramount-Chef Weltner, »hat die Fähigkeiten, den Herausforderungen der Konkurrenz-Medien zu begegnen.«

J. Edward Levine hört es gern. Stolzer noch aber ist der Mann aus der Billerica-Street, weil auf einem Gala-Diner ihm zu Ehren sogar Robert Kennedy aus Boston geredet hat und weil Kennedys Schwester Jean Smith ihn zu Hilfe rief, als sie Karten für ein Wohltätigkeitsfest nicht absetzen konnte. Denn, so sagt Joe Levine: »Wer bin ich? Ein kleiner, fetter Jude aus Boston.«

Filmproduzent Levine, Levine-Star*: »Wer bin ich?«

Levine-Film »Herkules"*

Star in Schokolade

* Carroll Baker als Jean Harlow

* Steve Reeves und Silva Koscina.

* Carroll Baker und George Peppard.

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