Der Mann umgibt sich mit der Aura des Unberührbaren. Konsequent verweigert er sich dem Kulturbetrieb. Und wenn er denn herabsteigt in die Niederungen des Feuilletons, dann spricht auch mal hilfloser Hochmut aus seinen Zeilen.
Wer ihn »auch nur in entfernte Verbindung zu Antisemitismus und neonazistischen Schandtaten« bringe, so erklärte der Schriftsteller Botho Strauß, 49, im April dem SPIEGEL, der sei »entweder ein Idiot oder ein Barbar oder ein politischer Denunziant«.
Des Dichters starke Worte galten immerhin Ignatz Bubis. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland hatte den Autor des kulturkonservativen Essays »Anschwellender Bocksgesang« (SPIEGEL 6/1993) für die veränderte »Stimmung im Lande« mitverantwortlich gemacht, für jenes Klima also, in dem Asylanten ermordet und Synagogen in Brand gesetzt werden.
Nicht nur Strauß widersprach damals, selbst einige seiner Kritiker nahmen ihn in Schutz. Und so schwächte Bubis seine Vorwürfe wenig später ab: Strauß stehe nicht in einer »Ecke« mit ultrarechten Denkern wie Ernst Nolte, Rainer Zitelmann oder den Redakteuren der Jungen Freiheit, ja, er zähle keineswegs zu den »geistigen Wegbereitern des intellektuellen Rechtsradikalismus«.
Ein Sturm im Wasserglas, so schien es.
Aber vielleicht lag Bubis gar nicht so falsch: Ein soeben im Ullstein Verlag erschienenes »Manifest der konservativen Intelligenz« vereint eben jene Autoren in trauter Runde, die der Zentralratsvorsitzende noch brav auseinanderdividiert hatte: Strauß, Nolte, Zitelmann und 25 weitere Rechtsausleger, darunter Roland Bubik von der Jungen Freiheit, sinnieren über »Die selbstbewußte Nation"*. _(* Heimo Schwilk / Ulrich Schacht ) _((Hrsg.): »Die selbstbewußte Nation. ) _(,Anschwellender Bocksgesang'' und weitere ) _(Beiträge zu einer deutschen Debatte«. ) _(Ullstein Verlag, Frankfurt am Main / ) _(Berlin; 472 Seiten; 58 Mark. )
Das sogenannte Manifest ist in Wahrheit ein skurriles Sammelsurium einzelner Wortmeldungen. Botho Strauß macht den Anfang mit einer Langfassung des »Bocksgesangs«; dann spricht das Fußvolk, mal in andächtiger Interpretation des Poeten, mal in wüster rechtsextremer Polemik.
Warum, um Himmels willen, hat sich Strauß auf diese Gesellschaft eingelassen? Gewiß, er kann sich darauf berufen, daß sein Essay den Nationalsozialismus aufs schärfste verdammt. Die »Verbrechen der Nazis«, so ist dort zu lesen, seien »so gewaltig, daß sie nicht durch moralische Scham . . . zu kompensieren sind«. Es handele sich »um ein Verhängnis in sakraler Dimension«.
Doch dieses Bekenntnis wird im Ullstein-Manifest regelrecht zugeschüttet von einer ganzen Flut bräunlicher Prosa. Hier wird relativiert und verdrängt, geheuchelt und gelogen. Vordenker Nolte, 71, erwägt allen Ernstes, warum Hitler »die Vernichtung statt bloß die Vertreibung der europäischen Juden befohlen« habe; Noltes Adept Zitelmann, 37, ereifert sich über die »Bewältigungsexzesse« der Gegenwart.
Der Adorno-Verehrer Strauß hatte sich - das war vielleicht seine größte Provokation - im »Bocksgesang« als »Rechter« geoutet, als »Außenseiter« im linken Mainstream der Kulturindustrie. Nolte schätzt solche Begriffsverwirrung und begibt sich auf die Suche nach den historischen Wurzeln von links und rechts. Flink wie ein Hütchenspieler verschiebt der Berliner Historiker die Etiketten, bis sie jeden Sinn verloren haben. Nur eines steht am Ende fest: Die »Linke« trage »Verantwortung« für den Faschismus.
Folgerichtig stellt Welt-Redakteur Zitelmann die Frage, »ob der Nationalsozialismus überhaupt ,rechts'' gewesen« sei. Hitler habe sich »nie als rechts« bezeichnet. Auch hinter diesem Verwirrspiel verbirgt sich ein simples Ziel: Zitelmann will Platz schaffen für eine neue, angeblich »demokratische Rechte«.
Einer ihrer Protagonisten, der Berliner Professor Reinhart Maurer, 59, folgt eher der klassischen Verharmlosungsstrategie: Der Philosoph ereifert sich über die »rituelle Wiederholung des Wortes ,einzigartig'' im Zusammenhang mit den NS-Verbrechen«. Die Geschichte kenne viele Völkermorde. Womit für Maurer erwiesen wäre: »Unmenschlichkeit ist menschlich.« Warum also die ganze Aufregung?
Zumal die angeblich höchst schädlich ist: Eine »wesentliche Ursache für das Erstarken neonazistischer Strömungen«, so die überraschende Erkenntnis des Professors, sei die »lähmende Vergegenwärtigung« unserer »braunen Vergangenheit«. Mit anderen Worten: Wer dem Nazi-Spuk ein Ende machen will, soll bitteschön von Hitler schweigen.
Leider halten sich die übrigen Beiträger des Ullstein-Manifests herzlich wenig an diesen Ratschlag: Da wird den Deutschen eine »Überwindung des inneren Schweinehundes« empfohlen, da wird ein neues Großdeutschland - einschließlich Österreichs - gepriesen, da werden die Lehren des Geopolitikers und Rudolf-Heß-Freundes Karl Haushofer wiederentdeckt.
Vor allem aber werden die vermeintlich linken Medien attackiert. Nicht die Akteure des Fremdenhasses bekommen Prügel, sondern die Überbringer der schlechten Nachricht. Die »Kampagnen gegen ,Rassismus und Ausländerfeindlichkeit''«, behauptet Zitelmann, seien Inszenierungen, die sich »in Wahrheit keineswegs primär gegen Neonazis und Rechtsextremisten« richteten, sondern »gegen die demokratische Rechte«.
In der Medienkritik kommen sich Strauß und seine falschen Freunde durchaus nahe. »Überhaupt ist pikant«, so notierte der Autor im »Bocksgesang«, »wie gierig der Mainstream das rechte Rinnsal stetig zu vergrößern sucht.« Feindbilder würden gepflegt, Zerrbilder verbreitet. Nur: Jetzt muß sich Strauß fragen lassen, warum er selbst das »rechte Rinnsal« anschwellen läßt. Allein sein provokativer, zuweilen erratischer Beitrag macht das rechte Manifest zum Ereignis. Und im übrigen liefert er den mediokren Rechts-Denkern noch willkommene Munition.
Etwa mit seinem Zorn auf die Verdummung durch das »elektronische Schaugewerbe«. Roland Bubik, 24, Chefideologe der Jungen Freiheit, zitiert eifrig aus dieser Medienschelte. Bubik beklagt, daß sich die »Masse der Menschen« nur noch am »Schund« von RTL ergötze, selbst »die Lieder unseres Volkes« gerieten in Vergessenheit. Früher, natürlich, sei alles besser gewesen: »1914 stürmten deutsche Soldaten mit dem ,Faust'' im Tornister in die Schlacht, den sie alle gelesen hatten, wenn nicht gar auswendig konnten.«
Unter den Rechts-Intellektuellen herrscht wachsende Begeisterung für den Krieg. Eine mannhafte Absage an die »Frauenmoral« erteilt etwa Peter Meier-Bergfeld, 44. Der Wiener Korrespondent des Rheinischen Merkur weiß nämlich: »Der Staat muß . . . vom Leben seiner Söhne als Soldaten zehren, das kann keine Frauenmoral billigen.«
Doch leider, leider fehlt es den Deutschen noch am rechten, kriegerischen Geist: »Kämpfen ist ,mega-out''«, erkennt der SFB-Redakteur Ansgar Graw, 33. »Hierzulande kuschelt man lieber«, stellt der arme Mann mit Grausen fest. Eine »Trendwende« müsse her, Werte wie »Opferbereitschaft« und »Nationalbewußtsein« seien gefragt. Denn: »Die Germanen, die einst das degenerierte ,ewige'' Rom überrannten, warten heute in der Dritten Welt.«
Groteske Bilder einer unmittelbar bevorstehenden Apokalypse beschwört auch Gerd Bergfleth, 58. Der Tübinger Privatgelehrte spürt schon ein »dumpfes Grollen« im »einfachen Volk«. »Seit Jahrzehnten«, so Bergfleth, arbeiteten die »Medienterroristen« daran, den Deutschen »ihre angestammte Heimatliebe« auszutreiben. Das aber müsse sich alsbald rächen: Der »kommende Kladderadatsch« werde »auch die Lehrmeister des Hasses ereilen, die Volksverächter, die wie Würgeengel über der Nation liegen«.
Wer da mithalten und überleben will, wird einigen Schmerz ertragen müssen. Das jedenfalls glaubt Heimo Schwilk, 42. Der Journalist und Mitherausgeber des Ullstein-Manifests hat freilich erkannt, daß gegenwärtig noch »das Lustprinzip als kategorischer Imperativ« gelte. Der Schmerz werde verdrängt, verbannt, klagt der Verehrer Ernst Jüngers. Schuld an der üblen Verweiblichung dieser Gesellschaft seien nicht zuletzt die »kulturrevolutionären Umtriebe des Feminismus«.
Doch Schwilk will seinen Lesern bedeuten, daß sie dem Schmerz nicht entkommen, egal, ob sie ihm nun endlich soldatisch huldigen oder nicht. Etwa beim täglichen Tod auf deutschen Straßen oder in der Abtreibungsklinik. O-Ton Schwilk: »Der Chor Hunderttausender wimmernder Kinder, die jährlich aus dem Bauch ihrer Mütter gesaugt und in Stücke gerissen werden, müßte uns wie das Geheul aus Dantes Inferno in den tauben Ohren klingen.«
Ob sich Botho Strauß in Gesellschaft solcher Blindgänger wohlfühlt? Niemand sollte ihn dafür haftbar machen, daß rechte Desperados seinen »Bocksgesang« plündern und plagiieren; vor Mißverständnissen ist kaum einer gefeit. Aber warum dient er dem Hause Ullstein als seriöses Aushängeschild eines unseriösen Unternehmens?
Dem »Anschwellenden Bocksgesang« schadet dieser erneute Abdruck nicht, wohl aber dem Ansehen seines Autors. Strauß hatte sich in dem Essay die Rolle eines »Außenseiters« zugewiesen. Nur in der »Absonderung« könne er bestehen, in einem kleinen »Häuflein der versprengten einzelnen«. Meint er damit etwa die Zitelmänner und Noltes, die Maurers und Schwilks?
Dem Ullstein-Verleger Herbert Fleissner dürfte diese Vorstellung gefallen. Sein Erfolg beruht gerade auf der perfiden Mischung aus bürgerlichem Gehabe und reaktionärem Gefuchtel. Fleissner hat immer unverbesserliche Rechte wie Franz Schönhuber oder Armin Mohler verlegt, salonfähig aber wurde sein Programm durch angesehene Autoren wie Willy Brandt und Simon Wiesenthal.
Nun also auch durch Botho Strauß. Der muß es geahnt haben, schon damals, als er den »Anschwellenden Bocksgesang« niederschrieb. »Der Abgesonderte«, formulierte Strauß, »war immer und ständig von den Gewalten des Blödsinns, die in seiner Zeit entfesselt waren, umgeben und bedrängt.« Y
* Heimo Schwilk / Ulrich Schacht (Hrsg.): »Die selbstbewußte Nation.,Anschwellender Bocksgesang'' und weitere Beiträge zu einer deutschenDebatte«. Ullstein Verlag, Frankfurt am Main / Berlin; 472 Seiten;58 Mark.