AUTOMOBILE Leiser Gesang
Der etwas verdrießlich dreinblickende Herr mit dem sauber gezogenen Linksscheitel skizzierte die Lage: Im Automobilwesen, verkündete Kiyoshi Matsumoto seinen Gästen, sei der Konkurrenzdruck »noch nie so hart wie heute« gewesen.
Mitgebracht zur Stippvisite an den Rhein hatte der Entwicklungschef des japanischen Autoriesen Toyota, was er für ein geeignetes Instrument hält, selber kräftig zu drücken. Matsumoto präsentierte ein imposantes Ledersitz-Coupe namens »Soarer 3.0 GT Limited«.
Soarer ("Der Schwebende") ist laut Matsumoto »das Serienfahrzeug, in dem die Elektronik im Automobilbau am weitesten fortgeschritten« ist. Ob Kontrolle des Motors, ob Steuerung des Fahrwerks, ob Fahrerinformation - der Schwebende aus Fernost überläßt nahezu alles den nimmermüde messenden und regulierenden Mikrochips im schwarzen Kasten: Bärenstark wie ein Sumo-Ringer, reaktionsschnell und schlau wie ein Ju-Jutsu-Champion und weise wie ein Schinto-Priester richtet das Auto alles so ein, wie es je nach Fahrbahn und Betriebslage gerade am günstigsten ist.
16 Meßfühler, verteilt im Leibe des Soarer, kontrollieren und regeln über sensorische Nervenstränge und Druckleitungen die Härte einer neuartigen Luftfederung (Toyota: »Herkömmliche Schraubenfedern gehören im Soarer zum alten Eisen"), aber auch die Einstellung eines variablen Dämpfersystems und die gleichfalls wählbare Bodenfreiheit. Gedankenschnell durchzucken dabei die Steuerimpulse das komplizierte Geäder.
Für den persönlichen Geschmack des Fahrers bleibt dabei gleichwohl noch Spielraum; per Knopfdruck kann er zum Beispiel vorwählen, ob er es gerade lieber bretthart wie in einem Sportwagen alten Schrotes oder sanft-komfortabel wie in einer Luxuslimousine hätte. Fahrcharakteristik und jeweilige Karosseriehöhe kann der Fahrer von einem Farbbildschirm ablesen.
Damit sind die Möglichkeiten des auf der Mittelkonsole montierten Bildschirms jedoch nicht erschöpft, seine
Kathodenstrahlröhre - im Prinzip wie die Anzeige im Cockpit eines Airbus - vermag sich dem Fahrer auf vielerlei Weise nützlich zu machen. Aufgesplittete Verbrauchsangaben liefert die flimmernde Fläche ebenso wie allfällige Wartungshinweise. Navigationshilfen oder Störmeldungen.
So meldet die »Toyota-Electro-Multivision« beispielsweise automatisch den Ausfall eines Bordcomputers etwa für die Einspritzanlage, das Automatikgetriebe oder das ABS-Bremssystem. Und wie der Pilot eines Linienflugzeugs kann auch der Steuermann des schwebenden Japaners bei einem Störfall erwarten, daß auf dem Monitor sogleich eine Fehleranalyse aufglimmt und ein Reparaturvorschlag gemacht wird.
Zu kaufen gibt es den Soarer, der mit den 230 PS seines turbogeladenen Doppelventiler-Sechszylindermotors das Temperament eines Porsche 911 und 230 km/h Höchstgeschwindigkeit ermöglicht, allerdings nur in Japan.
Das Fahrzeug, so Toyota, sei allein »auf japanischen Geschmack und japanische Verkehrsverhältnisse zugeschnitten«. Seit Januar hat die Firma ihren Landsleuten zum Stückpreis von umgerechnet 65000 Mark über 30000 Soarer verkauft - nach Meinung von Sachkennern vorwiegend, weil die Kraftfahrer im Tempo-100-Land Japan besonders das Gefühl vehementer Beschleunigung als Genuß erleben.
Autofirmen außerhalb Japans haben sich bisher aus guten Gründen darauf beschränkt, elektronisch geregelte Fahrwerke nur in Forschungsfahrzeugen zu erproben. Den Ingenieuren waren die Apparaturen zu störanfällig und zu teuer.
»Der Nutzen für den Fahrer«, meinte Wolfgang Lincke, Chef der Personenwagen-Entwicklung bei VW, sei einstweilen »das Mehr-Geld nicht wert«. Die Hersteller begnügten sich daher jeweils mit einer werksseitig fixierten Fahrwerksabstimmung, die einen Kompromiß zwischen Straßenlage und Fahrkomfort darstellt.
Nur die japanischen Firmen Mitsubishi und Nissan riskierten es, je ein Modell mit variabler Fahrwerksabstimmung auch in Europa anzubieten. Die im Vergleich zum Toyota Soarer wenig aufwendigen Regelungen fanden jedoch weder bei den Kritikern noch bei den Käufern recht Anklang. So wurde das zweistufige, laut Mitsubishi »denkende Fahrwerk« des Modells Galant Royale als »zu primitiv« empfunden.
Für eine Bildschirmanzeige im Toyota-Stil (die beim Soarer noch durch zahlreiche Digitalinstrumente und ein Mehrfach-Steuerpult mit Sensortasten ergänzt wird) konnte sich gleichfalls bisher kein Produzent erwärmen. Die Hersteller hielten es eher mit einer Philosophie, die Mercedes-Chef Werner Breitschwerdt so formuliert hat: »Autos müssen funktionieren, je mehr Anzeigen da sind, die einen Funktionsausfall melden, um so größer der Verdacht, daß die Funktionen tatsächlich nicht sehr zuverlässig sind.«
Bei ihrem neuen Sportwagen »Supra 3.0«, der nächsten Monat auf den deutschen Markt kommt, haben die Toyota-Ingenieure auf fast alles verzichtet, was den Soarer zum »Wunderauto« macht. Der knapp 40000 Mark teure Supra mit Soarer-Motor (204 PS, ohne Turbolader) rollt zwar auf dem Soarer-Fahrwerk mit der gleichen Achsgeometrie einher, hat jedoch herkömmliche Federbeine und Stoßdämpfer ohne elektronische Regelung.
Der Supra muß außerdem ohne Bildschirm auskommen. Sein Bordcomputer hat aber wenigstens ein Autodiagnosesystem und ist laut Toyota »daher völlig pannensicher«.
Die »Automobil Revue«, Bern, die den neuen Supra schon getestet hat, fand denn auch nur Kleinigkeiten zu bekritteln. »Es braucht schon sehr feine Ohren«, schrieben die Tester, »um das leise Differentialsingen registrieren zu können.«