Sächsische Kulturveranstaltung Warum Verschwörungstheorien auf einem Literaturfestival Raum bekommen

Auf dem Literaturfest Meißen gibt es Krimis, Kinderbücher – aber auch eine Lesung aus dem Buch des Verschwörungstheoretikers Daniele Ganser. Der Leiter nennt es einen »schwierigen Balanceakt«.
Stadt Meißen (Symbolbild): Wenig glücklich mit dem Programmpunkt ist die evangelische Kirche

Stadt Meißen (Symbolbild): Wenig glücklich mit dem Programmpunkt ist die evangelische Kirche

Foto: Andreas Weihs / Andreas Weihs / IMAGO

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Er bleibt trotzig. »Ist Ihnen Daniele Ganser suspekt?«, fragt Reinhard Plüschke am Telefon. Der frühere Lokalpolitiker will am Wochenende nach Pfingsten auf dem renommierten Literaturfest im sächsischen Meißen aus dem Buch »Das Imperium USA« des Schweizer Verschwörungstheoretikers und Coronaskeptikers Ganser lesen. »Ich könnte jetzt auch den ›Struwwelpeter‹ lesen, soll ich das?« Dann gibt Plüschke selbst die Antwort: Das werde er gewiss nicht tun.

Wobei – und damit fängt das Problem an – Ingenieur Plüschke würde den Begriff »Verschwörungstheoretiker« nie benutzen. Dieser sei eine »böse Vokabel«, mit der Menschen ein Stempel aufgedrückt werden solle. Plüschke nennt Ganser einen »Friedensforscher«. So wie der wegen vieler kruder Thesen – etwa zu den 9/11-Anschlägen, Ukraine oder Corona – umstrittene Historiker das auch selbst tut. Sein Anhänger aus Meißen, der das Buch auf die Lesebühne in der Kirche bringen will, lobt, dass Ganser Fragen stelle, »die in Geschichtsbüchern nicht gestellt werden«.

»Das Imperium USA« sei »eine Fleißarbeit, eingängig geschrieben«, zu Recht sei es ein Bestseller. Sicherlich handele es sich um Hypothesen, gibt Plüschke zu, »aber es werden auch viele Quellen genannt«. In das gedruckte Programmheft vom Literaturfest hat er schreiben lassen: »Das Buch des Schweizer Friedensforschers zeigt unvoreingenommen und realistisch, wie die führende Weltmacht ihre Interessen weltweit durchsetzt.«

Autor Ganser: »Wichtige Schlüsselfigur in der verschwörungsideologischen Szene«

Autor Ganser: »Wichtige Schlüsselfigur in der verschwörungsideologischen Szene«

Foto: Andreas Weihs / Andreas Weihs / IMAGO

Das Meißener Literaturfest ist das nach eigenen Angaben größte kostenlos zugängliche Open-Air-Lesefest in Deutschland: fast 200 Lesungen, Krimis, Kinderbücher, regionale Literatur bis zum Literaturklassiker. Angekündigt ist viel Prominenz, vom Schriftsteller Ingo Schulze bis zum letzten DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel. Die Veranstalter heben hervor, dass beispielsweise Karoline Preisler ihr Buch »Demokratie aushalten!« am Samstag auf dem Schulplatz vorstellen will – das Buch bietet eine Diskussion darüber, ob sich nur durchsetze, wer laut genug polarisiere und diffamiere, wer Fakten ignoriere, verleugne, verdrehe.

»Eher am Rand positioniert«

Nicht ganz zufällig ist auch der eine oder andere mit der Region verbundene Künstler in diesem Jahr nicht auf dem Literaturfest vertreten, der Kabarettist Uwe Steimle etwa oder der Schriftsteller Uwe Tellkamp, der nach rechts abdriftete.  Bei ihnen sehen die Veranstalter »rote Linien überschritten«, wie sie sagen. Aber im Programmheft taucht eben immer noch die Ganser-Lesung auf, in der explizit verschwörungstheoretische Inhalte von einem Menschen vorgetragen werden sollen, der nicht analytisch auf sie guckt, sondern offen mit ihnen sympathisiert.

Die Lesung ist für den Vorabend der offiziellen Festivaleröffnung geplant, wie es ganz genau überhaupt dazu kam, ist nicht ganz klar: Die Urbanskirche, wo Plüschke lesen soll, stellt ihr Programm zum Literaturfest – wie auch andere Mitveranstalter – in eigener Regie zusammen. Plüschke ist bei den Zuständigen dort seit Jahren bekannt. Diesmal wurde nicht damit gerechnet und dann nicht bemerkt, was von ihm präsentiert werden soll, heißt es.

Was man hier zulasse, sei ein »schwieriger Balanceakt«, sagt Festivalleiter Daniel Bahrmann. Die Lesung aus dem Buch von Ganser sei ganz bewusst »eher am Rand positioniert« worden, »außerhalb der offiziellen Lesezeiten« und auf keiner der eigenen Bühnen. Mit mangelndem Wissen um Gansers umstrittene Thesen ist der Vorgang nicht zu erklären. Ganser hat sich immer wieder besonders auch um Publikum in Sachsen bemüht. Im Oktober 2020 etwa durfte er einen Vortrag bei den Dresdner Jazztagen halten. Am Rande dieses Fests traf er mit Alina Lipp zusammen , jener Influencerin, die aktuell mit ihrem Telegram-Kanal »Neues aus Russland« (mehr als 146.000 Abonnenten) und anderen Berichten aus dem Donbass den Ruf eroberte, »Putins deutsche Infokriegerin« zu sein. Lipp postete damals auf Facebook eine Serie von Fotos mit Ganser und lobte seinen »unermüdlichen Einsatz für eine heilere Welt«.

Wenig glücklich mit dem Programmpunkt des Literaturfests ist die evangelische Kirche, sie ist seit Jahren Veranstaltungspartner des Festivals. Die Pfarrerin der Johannesgemeinde, zu der die Urbanskirche gehört, lässt Fragen unbeantwortet. Aus der Landeskirche Sachsens indes ist mit Blick auf Gansers Buch von einem »Machwerk« die Rede – verbunden mit dem Appell, künftig genauer hinzuschauen, wem oder was mit solchen Formaten eine Bühne in Räumen der Kirche geboten wird.

Besonders deutlich in der Kritik wird Harald Lamprecht, der Beauftragte für Weltanschauungs- und Sektenfragen der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche. Die geplante Lesung sei »ein Fehler«, sagt er, und nennt Ganser »eine wichtige Schlüsselfigur in der verschwörungsideologischen Szene«. Lamprecht sagt weiter: »Mit seinem sanften Auftreten und dem wissenschaftlich-seriösen Anstrich wirkt er als Türöffner für das Denken in Verschwörungsmythen.« Sehr geschickt mische der Schweizer Historiker 80 Prozent Wahrheit und bewiesene Fakten mit suggestiven Fragen und Unterstellungen, die das Denken in die von ihm gewünschte Richtung lenken sollten. »Eine Lesung ist nicht das Format, in dem solch eine subtile Taktik Erfolg versprechend analysiert und dekonstruiert werden kann.«

Vorleser Plüschke hat das indes auch gar nicht vor. Er ist recht bekannt in der Meißener Stadtgesellschaft. In den Neunzigerjahren saß er für die CDU im Stadtrat, der Partei gehört er aber nicht mehr an. Erst zu Jahresbeginn wurde er zum Ortskurator der Deutschen Stiftung Denkmalschutz ernannt. Plüschke ist Mitglied im Kanal »Bürgerdialog_LK_Meißen« auf Telegram, in dem sich Impfgegner und Coronaleugner vernetzt haben – »um die Meinung Meißener Bürger zu diversen Themen zu lesen«, wie er sagt. Beim Leseabend in der Urbanskirche werde er Corona nicht zum Thema machen, sagt Plüschke. Es sei »keine politische Veranstaltung« und auch eine Diskussion nicht vorgesehen.

Zu Wochenbeginn verständigte sich das Orga-Team des Literaturfests über das weitere Vorgehen. Abgesagt werden soll die Ganser-Lesung nicht. Festivalleiter Bahrmann aber kündigt für den Abend eine kritische Anmoderation an, bereits verändert worden ist auf der Internetseite des Literaturfests die Ankündigung. Nun heißt es dort: »Das umstrittene Buch ist vielfach für seine bizarren Verschwörungserzählungen kritisiert worden. Denis Scheck etwa bezeichnet es als ›absolut toxische Mischung aus Wahrem und Falschem‹«.

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