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»Let's make it a million«

Starauktionator Tobias Meyer über die Goldgräberstimmung im Geschäft mit der Gegenwartskunst, die Lust der Russen und Chinesen auf westliche Ästhetik und den unverkrampften Lebensstil der neuen Superreichen
Von Ulrike Knöfel und Joachim Kronsbein
aus DER SPIEGEL 2/2006

SPIEGEL: Herr Meyer, Sie gelten als der coolste Auktionator der Welt. Die »New York Times« nannte Sie »Sotheby's 007«. Erklären Sie uns das Erfolgsphänomen Tobias Meyer?

Meyer: Ich wollte immer Auktionator werden, das war mein Traumberuf, seitdem ich 14 Jahre alt war. Und ich habe ganz unten angefangen, im Keller von Christie's in London. Dorthin wurde ich, ein Einsteiger, verbannt, habe Bilder katalogisiert. Lehrreich, aber langweilig. Und dann geschah das Wunder, Sotheby's bot mir einen Job mit Verantwortung. Ich hatte nichts zu verlieren, aber auch keine Ahnung, was mich als Auktionator erwartete. Bei meiner ersten Auktion stand ich auf dem Podium, mein Mund war ausgetrocknet, mir blieb die Stimme weg, und meine Hand zitterte derartig, dass ich nicht einmal das Wasserglas heben konnte. Schrecklich.

SPIEGEL: Dann sind Sie also gar nicht so cool?

Meyer: Inzwischen habe ich eine gewisse Gelassenheit entwickelt, ich habe das Glück, besonders ruhig zu werden, wenn es um mich herum hektisch zugeht.

SPIEGEL: Selbst als Sie das teuerste Gemälde aller Zeiten versteigert haben?

Meyer: Ah, der Hundert-Millionen-Dollar-Picasso. Da war ich, jedenfalls innerlich, völlig fertig. Aber das hat man mir eben nicht angemerkt.

SPIEGEL: Auch in dem legendären Moment, als das Bietgefecht fast zum Erliegen kam?

Meyer: Ja. Einer der eifrigsten Bieter war ein Kunsthändler, der im Auftrag eines Kunden mitsteigerte. Dieser Händler hatte das Mobiltelefon am Ohr. Wir waren bei 82 Millionen Dollar angelangt, da erbleichte er, starrte auf sein Handy und schwieg. Ich verschaffte ihm Luft und fragte: »Sir, brauchen Sie mehr Zeit? Es steht 82 Millionen gegen Sie, brauchen Sie mehr Zeit?« Der Händler schnappte sich das Telefon seiner Nachbarin, wählte, sprach

und bot endlich weiter. Der Mann hatte vergessen, den Akku aufzuladen.

SPIEGEL: Er hat das Bild nicht bekommen.

Meyer: Aber er hat den Preis in die Höhe getrieben.

SPIEGEL: Die ganze Welt rätselt, wo dieses Gemälde heute hängt.

Meyer: Der Käufer, der ebenfalls telefonisch geboten hatte, möchte anonym bleiben. Ich weiß zwar, wer dieser Sammler ist, kenne ihn aber nicht persönlich. Und natürlich verrate ich Ihnen den Namen nicht.

SPIEGEL: Waren Sie über den Ausgang überrascht?

Meyer: Von einem gewissen Preisniveau an sind Überraschungen die Ausnahme.

SPIEGEL: Ab welchem?

Meyer: Ab 500 000 Dollar sind Spontankäufe selten. Jemand, der solche Summen investiert, informiert sich vorher, fordert einen Bericht über den Zustand des Werkes an. Im Laufe der Zeit verdichtet sich unser Bild, welcher Kunde wie versessen auf ein Objekt ist. Für die Auktion selbst fertigen wir einen Sitzplan an. Ich weiß genau, wo welcher Interessent sitzt.

SPIEGEL: Sie versteigern in London und New York. Unterscheidet sich das eine Publikum vom anderen?

Meyer: Und wie! In London wird ein wenig im Katalog geblättert, geguckt, dann bieten die Leute wie nebenbei: alles ganz entspannt. In New York müssen Sie als Auktionator eine Performance liefern, und darauf war ich bei meiner ersten Versteigerung dort 1997 nicht vorbereitet. Ich stand da, und 1200 Leute starrten mich an. Nie zuvor hatte ich eine solche Aufmerksamkeit gespürt.

SPIEGEL: Hängen Ihre Möglichkeiten als Alleinunterhalter nicht davon ab, wie schnell der Saal anspringt?

Meyer: Nuancen zählen, ich versuche, eine Komplizenschaft mit dem Saal aufzubauen und im richtigen Moment die Leute mit dem richtigen Satz zu ermuntern. Zum Beispiel ein knappes: »Let's make it a million.«

SPIEGEL: Auf dem überhitzten Kunstmarkt sind solche Summen inzwischen Peanuts. Es gibt kein Halten mehr. Lange sorgten alte Meister, Impressionisten und die klassische Moderne für Höchstpreise. Nun greift der Markt zur Kunst aus der Nachkriegszeit. Ein Roy Lichtenstein kostet über 16 Millionen Dollar, selbst für eine Skulptur aus den Sechzigern von einem Herrn David Smith werden über 23 Millionen Dollar bezahlt. Sind die Kunden in ihrer Gier wahllos?

Meyer: Auf keinen Fall. Die teuersten Werke sind tatsächlich auch die besten. Seit etwa zehn Jahren interessieren sich die Sammler verstärkt für Gegenwartskunst, für alles, was nach 1945 entstanden ist. Als ich 1992 bei Sotheby's anfing, wurde Zeitgenössisches nur in Tagesauktionen verkauft, Bilder von Dubuffet oder Karel Appel, alles weniger aufregend. Dann kamen wir 1994 an tolle Werke von Gerhard Richter und Joseph Beuys, die stammen aus der Privatsammlung eines Münchner Medizinprofessors. Wir setzten einen Abendtermin an, das hat ja immer etwas mehr Glamour. Während der Auktion explodierten die Preise für die Beuys-Arbeiten. Es war so, als würde London aufwachen: Plötzlich war ein Fieber ausgebrochen, alle wollten Gegenwartskunst.

SPIEGEL: Hier in Ihrem Londoner Büro

hängt spektakulärer Nachschub, ein eher abstraktes Bild von Gerhard Richter.

Meyer: Es heißt »Untitled«, stammt aus dem Jahr 1967, ist für die Februar-Auktion in London bestimmt. Der obere Schätzpreis liegt bei knapp drei Millionen Euro.

SPIEGEL: Unter den Malern der Gegenwart gehört er zu denen, deren Werke bei Auktionen die höchsten Preise erzielen. Merkwürdigerweise hat gerade Richter gesagt, Kunst sei generell zu teuer.

Meyer: Das sehe ich ganz anders. Kunst ist genauso teuer, wie sie sein muss. Das ist ein ökonomisches Prinzip - Angebot und Nachfrage. Bei Richter ist es übrigens so, dass die Leute für seine gegenständliche Malerei mehr Geld ausgeben als für die abstrakten Arbeiten. Da ist der Markt ausgereizt. Mir ist im Laufe der Jahre eine kuriose Korrelation aufgefallen. Ein Spitzenwerk kostet so viel wie ein anständiges Appartement an New Yorks Park Avenue. Beides, Appartement und Kunst, sind Statussym-

bole, und für beides gibt ein wohlhabender Mensch offenbar ähnlich viel aus. Im Moment sind das über 20 Millionen Dollar.

SPIEGEL: Sie kennen sich in diesen Kreisen bestens aus. Es gibt eine neue Gruppe von kunstbesessenen Superreichen, darunter viele Hollywood-Bosse und Manager von Hedge-Fonds. Wie leben diese Leute mit ihrer Kunst?

Meyer: Vor 20, 30 Jahren wollte jeder, der zu Geld gekommen war, ein formelles Leben führen. Dazu gehörten Butler und hübsche impressionistische Bilder im goldenen Rahmen für den Dining Room. Man ahmte einen vermeintlich aristokratischen Lebensstil nach. Heute inszeniert man die Lässigkeit, fliegt mal eben im Privatjet in die Karibik, sitzt im T-Shirt im Auktionssaal. Diese Leute um die vierzig mit drei Milliarden Dollar auf dem Konto wollen etwas, was ihrer Altersklasse entspricht. Da ist eine neue Offenheit zu spüren.

SPIEGEL: Oder eine neue Stillosigkeit? Auf der Kunstmesse in Miami waren wilde Partys mindestens so wichtig wie die Kunst.

Meyer: Ist doch schön. Ich habe eine Freundin um die sechzig, die stammt aus einer phantastischen deutschen Industriellenfamilie, die ist mit Geld aufgewachsen und kein bisschen verknöchert. Ich treffe sie in Miami nachts bei irgendeiner Performance, und sie ist glücklich zwischen all den jungen Menschen, weil um sie herum einfach etwas geschieht. Die Kunst von heute zieht die Neugierigen und Wagemutigen an, die sind nicht so borniert, die sind einfach lebenslustig. Man hält sich nicht mehr an frühere Normen, man sprengt sie.

SPIEGEL: Und hat von der Kunst in Wahrheit keine Ahnung?

Meyer: Vielleicht, aber das kann man auch nicht erwarten. Diese Leute verbringen den ganzen Tag damit, ganz andere Dinge zu machen, als ins Museum zu rennen.

SPIEGEL: Kunst steht beim Jet-Set-Shopping genauso auf der Einkaufsliste wie ein Cartier-Collier oder eine Hermès-Tasche ...

Meyer: Warum nicht? Das Glück, zum Club derjenigen zu gehören, die eine Hermès-Tasche besitzen, darf man den Menschen

doch nicht absprechen. In der Kunst sucht man auch nach Prestigenamen. Man kauft etwas mit Wiedererkennungswert, man will schließlich seine Gäste beeindrucken.

SPIEGEL: Früher musste sich ein Maler über Jahrzehnte bewähren. Heute kommen Werke zur Versteigerung, die erst vor zwei Jahren das Atelier verlassen haben. Das gilt gerade für die neoromantische Malerei aus Deutschland, Bilder von solchen Jungstars wie Tim Eitel, Martin Eder oder Eberhard Havekost. Halten Sie das für richtig?

Meyer: Meine Vorhersage ist, dass der Markt das auf Dauer reguliert. Es gibt halt Moden.

SPIEGEL: Und es gibt Künstler, die jahrzehntelang von der Kritik gelobt, von bedeutenden Museen ausgestellt, aber vom Markt lange ignoriert werden.

Meyer: Der Fotograf Richard Prince ist ein Beispiel, er ist ein solcher Spätzünder. Da zeigt der Markt seine ganze Eigendynamik.

SPIEGEL: Für eines seiner Bilder, das mit der Werbeästhetik von Marlboro spielt, hat Ihre Konkurrenz gerade 1,2 Millionen Dollar erzielt. So viel hat noch keine Fotografie auf einer Versteigerung eingebracht.

Meyer: Genau. Aber vor vier, fünf Jahren hätte man für dieses Bild höchstens 70 000 Dollar bekommen, wenn überhaupt. Wir hatten zu der Zeit eine andere Arbeit von Prince in der Auktion, die wollten die Leute nicht einmal geschenkt haben. Das Werk hatten wir auf nur 30 000 Dollar geschätzt, und trotzdem hat niemand es gekauft.

SPIEGEL: Was ist für den Ruhm eines Künstlers entscheidender - die Präsenz auf dem Markt oder die im Museum?

Meyer: Eindeutig der Markt. Die Museen, selbst die großen Häuser in New York sind oft zu träge. Bis die sich zu einem Ankauf entschließen, ist das Bild längst weg.

SPIEGEL: Und stattdessen hängt es womöglich in Moskau an der Wand in der Wohnung eines Neureichen. Den dortigen Kunstkäufern scheint das Motto »Geiz ist geil« unbekannt zu sein.

Meyer: Die Russen kommen, ganz sicher. Eine Kundin aus Russland hat kürzlich auf einer Auktion sehr, sehr viel gekauft. Eine Bekannte von mir fragte sie schon im Auktionssaal, ob sie sich nicht lieber nur auf die wichtigen Bilder konzentrieren wolle. Und diese Dame antwortete: »Darling, ich will Fülle. Ich muss es nicht haben, ich will es haben.« Glauben Sie mir, uns stehen äußerst spannende Zeiten bevor.

SPIEGEL: In Deutschland gibt es Spielverderber, die von übertriebener Spekulationswut, einer Kunstblase reden und den baldigen Crash auf dem internationalen Markt vorhersagen.

Meyer: Aber nein! Der Boom fängt doch gerade erst an. Das nächste Gemälde, das die 100-Millionen-Dollar-Marke überspringt, wird sicher kein Picasso sein, son-

dern ein Werk der Gegenwartskunst. Da gibt es noch ein so unvorstellbares Potential. Die nächsten in der Warteschlange der Kunstliebhaber sind die Asiaten, Chinesen, Koreaner. Diesen Leuten ist der Preis nun wirklich egal. Wir hatten neulich dieses wunderbare Bild »Jackie Frieze« von Andy Warhol in der Auktion. Es zeigt in einem sich leicht verändernden Farbverlauf 13mal das Gesicht von Jacqueline Kennedy. Für mich ist die Sequenz wie ein blauer Sonnenuntergang. Warhol hat als Vorlage ein Foto verwendet, das kurz nach der Ermordung des Präsidenten entstanden ist. Es ist kaum ein Bild denkbar, das amerikanischer wäre. Ich habe es natürlich dem Museum in Dallas angeboten, schließlich ist John F. Kennedy dort erschossen worden. Die wollten es nicht. Nun hängt es in Taiwan. Es hat neun Millionen Dollar gebracht. Ich sage Ihnen, der Käufer hätte auch 15 Millionen gezahlt, wenn er es mit einem finanzkräftigen Gegenbieter zu tun bekommen hätte.

SPIEGEL: Was interessiert einen schwerreichen Taiwaner an der Präsidentenwitwe?

Meyer: Dieser Warhol ist einfach große Kunst, visuell sehr überzeugend und ganz entschieden nicht kommunistisch. Den Mann in Taipeh interessiert offenbar der Kapitalismus und dessen mögliches Ende. Er findet das in dieser Kunst dokumentiert.

SPIEGEL: Wie beruhigend, dann gibt es also doch noch Sammler, die sich mit den Inhalten der Kunst beschäftigen.

Meyer: Unbedingt. Eine ästhetische Wahrnehmung gibt jeder Existenz Bedeutung. Und wenn man dann noch in der Lage ist, ein solches Objekt zu besitzen, dann werden sehr viele Urtriebe auf eine schöne Art sublimiert.

SPIEGEL: Kunst macht den Menschen zwar nicht besser, er glaubt aber, besser zu sein?

Meyer: Das Selbstbild kann in der Tat durch Kunstkauf positiv verändert werden.

SPIEGEL: Für alle, die sich besser fühlen wollen: Was muss denn ein Einsteiger - mindestens - anlegen für Qualitätsware?

Meyer: Wenn Sie einen jungen Künstler kaufen, dann kommen Sie mit 10 000 bis 15 000 Dollar aus. Das kaufen Sie am besten in Galerien. Die meisten führen allerdings schon Wartelisten. Im Auktionshaus bekommen Sie für diesen Betrag auch schon etwas Interessantes.

SPIEGEL: Woran erkennt man ein gutes Kunstwerk?

Meyer: Daran, dass man es nicht vergisst.

SPIEGEL: Herr Meyer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Verrückte Kunstwelt

Die modernen Milliardäre berauschen sich am Kauf zeitgenössischer Kunst. Die neureichen Geschäftsleute von der Wall Street, aus Moskau und Shanghai überbieten sich und lassen die Preise explodieren. Bei den jüngsten New Yorker Versteigerungen von Nachkriegs- und Gegenwartskunst setzten die drei wichtigsten Auktionshäuser Sotheby's, Christie's und Phillips binnen weniger Tage über 380 Millionen Dollar um, das ist ein Rekordergebnis. Nie zuvor wurde für die Werke lebender Künstler so häufig die Eine-Million-Dollar-Marke durchbrochen. Das britische Intellektuellenblatt »The Spectator« fragte angesichts des Booms: »Ist die Kunstwelt völlig übergeschnappt?« Einer der Protagonisten der Erfolgsgeschichte ist Tobias Meyer, 42, der beim Traditionshaus Sotheby's die Abteilung Zeitgenössische Kunst leitet. Der gebürtige Hesse erkannte früh das Potential dieser Sparte und machte aus den Auktionen glamouröse Ereignisse. 2004 versteigerte er das Picasso-Gemälde »Junge mit Pfeife« für 104 Millionen Dollar - und machte es somit zum teuersten Bild aller Zeiten.

* Bei der Versteigerung von Pablo Picassos »Junge mit Pfeife« (1905) am 5. Mai 2004. * Oben: Richard-Prince-Fotografie »Untitled/Cowboy« (1989); unten: Roy-Lichtenstein-Gemälde »In the Car« (1963); rechts: Bild »Hommage an Matisse« (1954) von Mark Rothko. * Ulrike Knöfel, Joachim Kronsbein bei Sotheby's in London.

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