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MODERATOREN Letzter Heuler

RTL will den Drei-Stunden-Talk der Tränensuse Margarethe Schreinemakers entsorgen. Ein Sieg des guten Geschmacks?
Von Nikolaus von Festenberg
aus DER SPIEGEL 50/1997

Den Namen kennen alle, Gefühle sind gewiß. Es gibt nur einen Gast, der in »Schreinemakers TV« heute die Tränen fließen lassen könnte, daß die Quote kracht: Margarethe müßte sich selbst einladen.

Noch einmal wie früher sieben Millionen Zuschauer, noch einmal richtig abheulen, noch einmal sich peitschen lassen vom Sturm der Affekte, wenn die TV-Domina das Medienopfer tröstet. Ein Fest der Tränen mitten im kalten Winter wohl eine halbe Fernsehnacht lang.

Die Ironie des Schicksals will, daß solch ein TV-Ros' nicht entspringt. Die Selbst-Vertalkung, geheimes Endziel des narzißtischen Medienzeitalters, findet ohne die Schreinemakers statt: Die Dame hat's schon mal versucht, aber alles falsch gemacht, Geschichte wiederholt sich nicht, und die Farce war schon.

Nicht nur bei der Heulequeen, auch bei dem sonst so redselig optimistischen TV-Marktführer RTL herrscht Schweigen, seit »Bild« vergangenen Mittwoch trophäenstolz verkündete, was alle ahnten: »Aus! RTL setzt Schreinemakers ab«.

Sender-Chef Helmut Thoma, sonst immer für griffige Mediensprüche gut, will sich nicht sprechen lassen. Marc Conrad, Programmdirektor und Quoten-Spürhund, brach zur Fahrt nach Asien auf, derweil RTL-Sprecher Richard Mahkorn verbale Schleiertänze aufführt: »Wie der Vertrag vorsieht, werden wir uns am 1. Januar 1998 zusammensetzen und überprüfen, ob beide Seiten ihre Bedingungen erfüllt haben. Und Leute, die eins und eins zusammenzählen können, können sich jetzt ausrechnen, was dann passiert. Was anderes können beide Seiten aus juristischen Gründen jetzt nicht sagen.«

Auf deutsch: Schreinemakers hat ihr Quotenziel von vier Millionen Zuschauern verfehlt - vergangene Woche sahen nur 2,76 Millionen zu. Die Drei-Stunden-Herz-Schmerz-Massage auf dem donnerstäglichen Hauptabendtermin ist nicht zu reanimieren, sondern endgültig zum Entsorgungsfall geworden. Auftraggeber RTL und Lieferant Living Camera mögen noch ein bißchen feilschen, die Nachrufe auf sechs Jahre »Schreinemakers« dürfen schon heute geschrieben werden.

Auf den ersten Blick ergeben der Aufstieg und der Absturz der »Powerfrau« ("Bild") eine moralhaltige Parabel von Hybris und deren Bestrafung - Grimms Märchen »Vom Fischer und seiner Frau« in den Zeiten des Fernsehens. Gleich jener unersättlichen Frau Ilsebill, die dem Butt ausrichten läßt, sie wolle werden wie der liebe Gott, verlor die Mutter Teresa des Talks auf dem Sieben-Millionen-Zuschauer-Gipfel ihres Erfolgs jedes Gespür.

Als sei sie so mühselig und beladen wie die armen Würstchen, von denen ihre Show lebte, überzog sie die deutsche Öffentlichkeit mit einem Lamento über Millionen, die ihr der Fiskus angeblich vorenthalte. »Die bitteren Tränen der Margarethe S.« (SPIEGEL-Titel 34/1996), garniert mit abstrusen Verschwörungsphantasien, wonach Bundesfinanzminister Theo Waigel sie wegen eines Interviews mit seiner Ex-Frau verfolge, offenbarten kein weiches Herz, sondern den Größenwahn einer Aufsteigerin. Die Klagende entlarvte sich als jemand, der in Deutschland mit seinen Gästen die Ungerechtigkeiten des Sozialstaates anprangert, aber selbst wegen der Steuervorteile nach Belgien zog.

Zu Aposteln fiskalischer Moral taugen viele von Schreinemakers' Kollegen auch nicht: Der kumpelige Sat-1-Sport-Moderator Jörg Wontorra »vergaß«, 200 000 Mark Honorare beim Finanzamt anzugeben. Barbara Eligmann, die »Explosiv«-Präsentatorin, mit dem Elend der kleinen Leute zu Quote gekommen, findet nichts dabei, dem deutschen Fiskus adieu zu sagen.

Das Publikum stört das auch nicht. Private Entrückung gehört zum Privileg der schrägen Fürsten in der Medienbranche, und ihre Kunden sind keine kleinkarierten Steuerfahnder - das Volk vergibt.

Der Frau Schreinemakers hat ihr peinlicher Steuerauftritt geschadet, erledigt hat er ihre Sendung nicht. Die Quotenkurve (siehe Grafik) zeigt Ausschläge, allerdings eine klare Richtung: die nach unten. Der Niedergang der Quotenqueen ist kein Ergebnis moralischer Entrüstung. Die Launen des Fernsehmarktes haben das Ihre getan.

Alte Bäume soll man nicht verpflanzen, wer alte Erfolgsnummern umtopft, kann ebenfalls alt aussehen: Auch ohne den Steuer-Ausfall hatte Schreinemakers ihren Höhepunkt bei Sat 1 bereits überschritten, der Wechsel zu RTL beschleunigte die Talfahrt. Beim Thoma-Sender guckt ein jüngeres Publikum, die tranig-tränige Betulichkeit, mit der bei Schreinemakers die Gäste auf die Beichtsessel gebeten und dann wieder verabschiedet werden, paßt nicht in den flotteren Kölner Lunapark.

Ob Bärbel Schäfer, Ilona Christen, Hans Meiser oder Eligmann - RTL-Affekt-TV-Größen gehen, zack, zack und explosiv, schneller ran an die Buletten, von der Fettsucht über die Spielsucht bis zur Magersucht. Der feuchte Blick, den eine Margarethe an ihre Opfer heftet, die umständliche Einfühlungsprosa, die langen Sermone mit der Nörgelstimme - angesichts des täglichen Talk-Bestiariums am Nachmittag wirkt all das inzwischen barock.

Der TV-Saurier Schreinemakers, 39, dürfte also am 18. Dezember seinen letzten Drei-Stunden-Heuler ausstoßen. Aber trauriger braucht niemand zu werden. Wie man die Branche kennt, wird die Gescheiterte in Talkshows herumgereicht werden. Nur das Selbstbeweinungssolo bleibt ein medialer (Alp-)Traum.

[Grafiktext]

Zuschauer der Schreinemakers Talkshows

[GrafiktextEnde]

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