Letzter Tango im All
Optisch, auf den Fernsehschirmen in Ost und West, hat sich dieses überirdische Zusammentreffen eher unterirdisch ausgenommen: als hätten fünf psychedelisch angehauchte Kanalarbeiter ihren Stammtisch tatsächlich in die Kanalisation verlegt und feierten dort nun ein ziemlich verrücktes Fest.
Männer in Overalls, schwerelos und doch von vielerlei Kabeln umgarnt. durch enge Tunnelröhren schwebend: dann an einem winzigen Tisch zusammengedrängt und immer in Gruppenbild-Pose um situationsgerechte Sonntagsgesichter und ein paar hinlänglich große Worte bemüht; dabei ständig den Flugplan, das Drehbuch dieser Darbietung, konsultierend, als fehle ihnen dringend ein Souffleur -- so sehen heutzutage die Helden aus, die Geschichte machen.
Denn Geschichte gemacht haben sie. die Astronauten des Raumschiffs Apollo und die Kosmonauten des Raumschiffs Sojus: Amerikaner und Russen im All vereint, Apollo und Sojus freundschaftlich aufeinandergetroffen und praktisch problemlos zusammengekoppelt -- wenn schon nicht über der Elbe zwischen Deutschland und Deutschland, wie fälschlich vorhergesagt, dann doch immerhin über einem Stück westlicher Welt, das so weiß-blau heraufschimmert. als wäre überall Bayernland. Gesehen und gesendet letzte Woche. erstmalig live für Kapitalisten wie für Kommunisten zugleich.
Und so kommt zum guten Ende alles unter einen Hut, finden sich zwei konkurrierende Systeme und Technologien endlich doch in der Kooperation. wandelt sieh der Wettlauf im All zum gemeinsamen Aufbruch in unerforschte Weiten, wird schließlich der Entspannung zwischen den ideologisch verfeindeten Supermächten ein Zeichen gesetzt, dem nun alle folgen werden.
Wie weiland die Weisen aus dem Morgenland dem Stern von Bethlehem?
Natürlich nicht. Sondern es ist auch jetzt wieder so, wie es bislang immer gewesen ist, wenn Politiker und andere Propagandisten die Errungenschaften der bemannten Weltraumfahrt vorsätzlich, oder auch nur fahrlässig, für symbolische Wegweiser des erdgebundenen Fortschritts ausgegeben haben: Es entsteht, gelinde gesagt, ein falscher Eindruck. Denn alles erscheint möglich. Aber geändert wird nichts.
Die Abbildungen amerikanisch-sowjetischer Togetherness, die Ende letzter Woche über unser aller Bildschirme geflimmert sind, haben denn auch nichts anderes dargestellt als die zweckgebundene Kumpelei hochspezialisierter Experten. als Testpiloten-Kameraderie. Selbst zu dem historischen Handschlag, den die politischen Auftraggeber in Washington und Moskau sogleich mit ebenso vollmundigen wie vagen Zukunftsverheißungen zu kommentieren wußten, ist den Ausführenden im All, außer Gelächter, nichts anderes eingefallen als »Hallo« und »wie steht"s?« und »sehr erfreut, dich zu sehen«.
Oberhaupt hat die derzeit so viel gerühmte Zusammenarbeit zwischen amerikanischen und sowjetischen Raumfahrern -- gewiß die entscheidende Voraussetzung des ganzen Spektakulums -- mehr Ähnlichkeit mit dem Geschlechtsverkehr der Igel als mit sachlicher Kooperation unter Technikern. Keinem jedenfalls, der an diesem bilateralen Striptease mitgewirkt hat, kann noch in den Sinn kommen, die Rivalität jener beiden Super-Organisationen, die sich zehn Jahre lang ein erbittertes Rennen zum Mond geliefert haben, sei plötzlich abhanden gekommen.
Daß der eine dem andern dabei nur das geoffenbart hat, was unbedingt geoffenbart werden mußte, wenn das gemeinsame Unternehmen überhaupt zustande kommen sollte, mag noch angehen. Die Amerikaner haben die Raffinessen ihrer Computer-Technik ebenso sorgsam vor den Russen gehütet wie diese es einzurichten wußten, zum Training erschienene US-Astronauten immer nur bei Nacht in einem begrenzten Bezirk des streng geheim gehaltenen sowjetischen Raketenbahnhofs Baikonur ein- und wieder auszufliegen.
Aber, daß es Monate gedauert hat, bis die Spielregeln für die erste amerikanisch-russische Weltraum-Pressekonferenz am letzten Freitag ausgehandelt waren, daß überhaupt die Zumessung der Sendeminuten und die Kamera Aufteilung für die diversen Fernsehübertragungen aus Apollo und Sojus Verhandlungen erfordert bat, denen gegenüber das Proporz-Gerangel an deutschen öffentlich-rechtlichen Anstalten sich bloß wie eine Fingerübung ausnimmt -- das zeugt nicht nur von fortbestehender Rivalität. sondern von unvermindertem Mißtrauen.
So richtig es im übrigen ist. daß solche Vereinbarungen die Russen zu Formen von Publizität veranlaßt haben, die im Vaterland der Werktätigen bislang nicht zu denken, geschweige denn gebräuchlich waren, so richtig ist umgekehrt. daß die traditionelle sowjetische Geheimniskrämerei unversehens auf die Amerikaner abfärbt immer dann nämlich, wenn sie sich über ihre russischen Partner äußern sollen. Selbst die eloquentesten Sprecher. die Mission Control in Houston aufzubieten hat und die auch die kleinste Panne im eigenen System schonungslos vor der Öffentlichkeit ausbreiten, verfallen dann verlegen in eine Form von verkrampft positivistischer Sprachregelung, die erkennbar nur den einen Sinn hat: ihre wahren Gefühle zu verbergen und die ganze Chose mit Anstand, ohne Ärger zu Ende zu bringen.
Denn ohne Zweifel zahlen Amerikas Raumfahrer drauf bei diesem Unternehmen, sowohl finanziell als auch technologisch. und natürlich wissen sie das. Sie haben solche Rendezvous schon vor fast zehn Jahren geflogen, nehmen jetzt den weniger gilt ausgestatteten Russen die schwierigen Manöver ab und geben ihnen zugleich die (weidlich genutzte) Chance, den (falschen) Eindruck der Parität zu erwecken. Sie haben mit ihrem Geld und ihrer Erfahrung das neue, mehrseitig anwendbare Kopplungsgerät entwickelt, das Apollo und Sojus zusammengebracht hat, und können nun nichts mehr damit anfangen, weil ihnen, im Unterschied zu den Russen, auf Jahre hinaus für bemannte Raumflüge die Mittel gestrichen worden sind.
Kein Apollo-Raumschiff wird mehr starten und keine Saturn-Rakete. Dies war das letzte Mal -- und es hat den Russen mehr eingebracht als den Amerikanern. Die heroische Phase der amerikanischen bemannten Weltraumfahrt endet mit einem 250-Millionen-Dollar-Mißverständnis.
Sechs Wochen vor diesem letzten Apollo-Start war George Low, einer der Bosse der Weltraumbehörde Nasa, noch einmal in Moskau und versuchte seinem dortigen Verhandlungspartner Wladimir Kotelnikow ein neues gemeinsames Unternehmen schmackhaft zu machen: den Besuch einer amerikanischen Apollo-Kapsel bei der sowjetischen Raumstation Saljut. Der Russe konterte mit dem -- für die Amerikaner ziemlich sinnlosen -- Vorschlag, doch den Apollo-Sojus-Flug noch mal zu machen. Die Öffnung der sowjetischen Raumstation (deren militärische Bedeutung außer Frage steht) für amerikanische Apollo-Besucher lehnte er unumwunden ab.
Was Wunder, daß die weltferne Entspannungsgymnastik der Raumschiffe Apollo und Sojus zuweilen etwas von der Freudlosigkeit des letzten Tango gehabt hat -- jedenfalls für jene fast vergessene Elite. die aus ihrer ehedem vergoldeten Hochburg, der Nasa, nun einen Ort der inneren Emigration gemacht hat; einen Ort übrigens, zu dem kein Russe jemals wirklich Zutritt findet, selbst wenn er, umständehalber, physisch dort präsent ist. Aber natürlich war dieses Freundschaftstreffen in der Erdumlaufbahn dennoch ein willkommener Anlaß für die Männer in Mission Control, den letzten Apollo-Flug so gut wie möglich zu machen weil es immer noch besser ist, mit den Russen zu fliegen als gar nicht mehr.
Man muß sie verstehen, diese resignierenden Ritter der Raumfahrt. John F. Kennedy hat sie, 1961, geheißen, die Russen auf dem Weg zum Mond zu schlagen, weil er ein Symbol für sein »New Frontier«, nach dem Sputnik-Schock, einen wirksamen Beweis für die endliche Überlegenheit des »American way of life« brauchte. Richard Nixon hat sie, 1972, geheißen, mit den Russen zusammen um die Erde zu fliegen, weil er bei seinem Besuch in Moskau damals ein spektakuläres Ergebnis und ein Symbol für seine (beziehungsweise Kissingers) Entspannungspolitik brauchte. Sie haben beide Aufträge ausgeführt. Aber ihr Selbstverständnis hat Schaden genommen dabei.
Trotzdem haben sie auch heute noch zuweilen ihre kleinen vaterländischen Genugtuungen. Nach dem historischen Handschlag zum Beispiel, als die Politiker dran waren. Da erschien ihr Präsident, Gerald Ford, medientechnisch bestens placiert und auch in Moskau live zu empfangen, selber im Bild und verlas den vereinigten Raumfahrern nicht bloß seine Glückwunschadresse, sondern verwickelte sie, auch die Russen, obendrein in einen langen, wennschon ziemlich albernen Dialog.
Leonid Breschnew hingegen verpaßte die Chance zum weltweiten Auftritt. Er blieb unsichtbar. Seine Botschaft verlas ein schmucker, im Westen aber gänzlich unbekannter Mann: Rußlands beliebtester Nachrichtensprecher, sozusagen der Köpcke von Moskau.