FILM Letzter Walzer
Die Rockmusik-Ära geht, als Ausdruck eines Lebensgefühls, zu Ende. Die Abschiede mehren sich.
Die Musik selber verschwindet damit nicht. Nur verlassen die besten und cleversten ihrer Stars, wenn sic nicht schon tot oder kaputt sind, den Underground und etablieren sich als die neuen Größen im Showbusiness.
Ein eindrucksvolles Zeugnis gibt davon dieser Film. In ihm spiegeln sich zugleich das Alte und das Neue dicht beieinander wider: die tollen Tage des guten alten Rock 'n' Roll Jahrgang 69/70 und die neue Lust am Hollywoodglamour von heute.
Der Film, der fast nur aus einem imposanten, exklusiven Rockkonzert besteht, ist in seiner Art einmalie. Mit der legendären amerikanischen Gruppe »The Band« tritt in ihm eine Spitzenauslese von Pop-Idolen auf: Paul Butterfield, Eric Clapton, Neil Diamond, Bob Dylan, Emmylou Harns, Joni Mitchell, Van Morrison, Neil Young, unter anderen. Und Regie führte der Hollywood-Filmemacher Martin Scorsese ("Taxi Driver").
Das Spektakel, ein Abschiedskonzert der »Band« nach 16 Jahren Zigeunerei »on the road«. ist ein Ritual mit nostalgischen Emotionen und ein perfekt inszeniertes Monument. Mit viel Glitzer und Show-Attitüden wird letztmalig jene rauhere Musikvergangenheit beschworen, als man den Ursprüngen noch näher war und seiner Mittel noch nicht so sicher.
Stattgefunden hat das Konzert am Thanksgiving Day 1976 in San Francisco, in einer alten Konzerthalle, die effektvoll zu einem Ballsaal mit »La Traviata«-Dekor verfremdet wurde. Bevor die »Band« ihr farewell-Marathon startete, spielte ein Walzer-Orchester zum Tanz auf. Es wurde eine Rock'n'Roll-Gala der Weltläufigkeit, voller Amüsement und Ironie.
Die »Band«-Stars, einst Hinterwäldler, die ihre »mountain music« nur ungeheuer virtuos spielten, präsentieren sich im Film beinahe als Dandys, während Eric Clapton in seinem samtigen Höflingslook dunkelelegant funkelt.
Höhepunkt ist gegen Ende des Films der Auftritt Bob Dylans. Der Mann, dessen Erscheinen mit Ringellocken und einem femininen weißen Hut zuerst wie ein grotesker Besuch der Alten Dame wirkt, läßt rasch deutlich werden, welchen Rang er einnimmt unter diesen Musikern, die sich auf der Bühne um ihn scharen wie um einen Magneten.
Es ist nicht nur faszinierend zu sehen und zu hören, wie er, ohne Pose, sofort zur beherrschenden Figur wird, sondern auch, wie sich durch ihn die Stimmung des Konzerts gleich radikal verändert: Mit Dylan kommen doch noch Authentizität, Risiko und Ungewohntes in die polierte Professionalität dieser Rock-Nacht. die der Film im Originaltitel »The Last Waltz«, den letzten Walzer nennt.
Opulent und bewegungssüchtig wie bei einem großen Walzerball sind die Bilder, die Regisseur Scorsese von einigen der besten Kameramänner Hollywoods bei dem Konzert filmen ließ und dann in einjähriger Arbeit montierte. Die Musiker, auf der Bühne und in mehreren Interview-Einschüben, haben jene intime physische intensität, die Scorseses wilde Spielfilme berühmt machten. Darum ist dieser Film doppelt stark: Er zeigt ein historisches Konzert und darüber hinaus die Physiognomie einer zur Legende werdenden Musik.
Siegfried Schober
Reguiem aufs alte Hollywood
»Fedora«. Spielfilm von Billy Wilder. Deutschland 1978,112 Minuten. Farbe.
Billy Wilders Film erzählt nicht nur
vom vergeblichen Versuch, Jugend und Schönheit zu bewahren, er ist leider selbst auch ein achtbar-rührendes, trauriges Stück Vergeblichkeit. Es fällt nicht leicht, einem Regisseur, der mit »Reporter des Satans«, »Boulevard der Dämmerung«, »Manche mögens heiß« Filmgeschichte gemacht hat, die eigene Enttäuschung vorzuhalten. Aber es weiß wohl keiner besser als der 72jährige Wilder selbst, daß ihm »Fedora« mißlungen ist, und es wird keinen mehr schmerzen als ihn, der in seinen jüngsten Interviews resigniert beklagt, daß es sein Hollywood nicht mehr gebe.
»Fedora« ist wie Wilders früherer, ungleich zynischerer Film »Boulevard der Dämmerung« eine Attacke auf das legendenbildende Starsystem, das, wie die Hollywood-Kolumnistin Sheilah Graham einmal schrieb, Zwerge zwingt, den Schatten von Riesen zu werfen. Doch in einer Traumfahrik, die heute von Haien, Exorzisten, Außerirdischen und anderen Übeln lebt, ist das Starsystem längst abgeschafft, und das macht Wilders Film so hohl, uninteressant und überaltert.
Der heruntergekommene Produzent Barry Detweiler (William Holden) versucht noch einmal, einen großen Film zu produzieren, und möchte dafür Fedora engagieren, einen einstmals großen Star, der wie durch ein Wunder Schönheit und Jugend bis ins hohe Alter bewahrt zu haben scheint. Er versucht sie auf Korfu zu treffen, wohin sie sich nach ihren letzten Erfolgen zurückgezogen hat. Doch sie schirmt sich ab gegen ihn. Als Detweiler den Gründen nachspürt, erfährt er die wahre Tragödie dieser einstigen Leinwandgöttin.
Eine mißlungene Schönheitsoperation zerstörte Fedoras Gesicht zur Unkenntlichkeit. Sie verschwand für Jahre von der Leinwand, bis man ihr eines Tages den Oscar verlieh. Fedora nahm ihn auf ihrer Insel aus den Händen Henry Fondas entgegen -- in Gestalt ihrer inzwischen erwachsenen Tochter, deren Existenz sie zu verleugnen ge-
* Mit Hildegard Knef (r.), Marthe Keller.
wußt hatte. Die schlüpfte nun in die Rolle ihrer Mutter und feierte als Fedora ein glänzendes Comeback, bis sie sich eines Tages bei Dreharbeiten in Michael York verliebte und ihre wahre Identität preisgeben wollte.
Fortan wird sie von ihrer Mutter gefangengehalten, für die Außenwelt hat sich Fedora vom Film zurückgezogen. Die Tochter wird drogensüchtig. Als man sie zur Entziehung nach Paris verschleppt. kann sie fliehen. Verzweifelt stürzt sie sich vor einen Zug.
Wilder verwendet das pompös aufgezogene Begräbnis als Rahmen, in den er collagenhaft die Rückblenden drapiert. Das Requiem auf einen großen Star -- die Vorbilder von Greta Garbo bis Marlene Dietrich sind evident -- wird dabei auch zu einem Abgesang auf eine Art von Filmen, wie sie heute schon deshalb nicht mehr gemacht werden, weil es dafür kein Publikum mehr gibt. Auch cinéastische Wehmut kann darüber nicht hinwegtäuschen.
Daß die Zeit der Göttlichen und Unnahbaren vorüber ist, macht Marthe Keller in der Rolle der jungen Fedora um so deutlicher, als es ihr nie gelingt, jene Atmosphäre des Geheimnisvollen zu schaffen, die das Flair der großen Stars ausmachte. Einzig Hildegard Knef als wahre Fedora, an den Rollstuhl gefesselt, ihr Gesicht hinter Schleiern verborgen, läßt noch etwas von jenem Mystischen ahnen, dessen zerstörende Wirkung zu beschreiben Wilder melodramatisch mißlungen ist. Wolfgang Limmer