Zur Ausgabe
Artikel 63 / 83

Licht über der Wüste

aus DER SPIEGEL 21/1971

läßt der Franzose Martial Raysse, 35, allabendlich für deutsche Kunstbetrachter erstrahien. In einer Traglufthalle, die Münchens privater Pionier-Verein »Modern Art Museum« als Notgehäuse angeschafft und gegenüber der Alten Pinakothek aufgeblasen hat, richtete Raysse ein stimmungsvolles Environment mit dem Titel »Raysse Land« ein: Auf Sand um eine Kübel-Palme wandelnd, blickt der Besucher zu schlichten Emblemen auf (eine stilisierte Kopf-Silhouette, ein fünfzackiger Stern, ein Kreuz sowie die Lettern X, Y, Z), die von Bildwerfern an den Kunststoffhimmel projiziert werden. Dazu ertönt Vogelgezwitscher und Schakalgeheul vom Tonband.

Die Wüste ist für Raysse, der schon mehrfach wochenlang in der marokkanischen Sahara geweilt hat und nächsten Monat wieder dorthin aufbrechen will, ein Refugium vor dem Kunstbetrieb und ein Ort der Besinnung. Die lichten »Archetypen« da droben begreift er als entmaterialisierte »Bilder von Bildern«, als »Formen in Freiheit«.

Auf solche Frei-Setzung ist die Arbeit des Künstlers seit Jahren ausgerichtet. Der Beau aus Golfe Juan. der zur Stamm-Mannschaft des progressiven »Nouveau Réalisme« zählte (ab 1960), war anfangs mit wohlgefälligen Figurenbildern der amerikanischen Pop-art nahegekommen. Dann aber begann er, seiner Kunst die »anekdotischen Elemente« und selbst jede Materie auszutreiben:

Das Bildnis einer (seiner) schönen Frau, bei dem nach einer beliebten Raysse-Manier die Lippen durch Neonröhren markiert waren, löste der »Neonrealist« (Raysse über Raysse) in geometrische Bestandteile auf oder entleerte es zum puren Umriß. Den bildete er auch in geknülltem Papier nach und warf ihn endlich 1968 erstmals als reines Licht-Bild an die Decke der Pariser Galerie lolas. Für eine ähnliche Demonstration wählte Raysse Ende letzten Jahres dann noch ein simpleres Signal: das X. Zum Jubiläum des Nouveau Réalisme leuchtete er damit acht Kilometer hoch in den Himmel über Mailand.

Doch erst in München kann der Künstler seine Projektionen in angemessenem (imraum vorführen. Das halb durchsichtige Plastikzelt, das der »Modern Art«-Verein bereits im Herbst für 1,5 Millionen Mark durch eine stabile »Werkhalle« ersetzen will, hat es ihm so sehr angetan, daß er am liebsten darin wohnen möchte.

Zur Ausgabe
Artikel 63 / 83
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten