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Lichtblitze gegen Atomraketen?

aus DER SPIEGEL 20/1978

Seit Laserstrahlen in immer größerem Umfang angewendet werden, hat sich die Konkurrenz zwischen Wissenschaftlern der Vereinigten Staaten und der Sowjet-Union so verschärft, daß einige Beobachter bereits glauben, das Weltraum- undRaketen-Wettrennen der sechziger Jahren könne sich dagegen als Kinderspiel erweisen. In den letzten Jahren haben beide Nationen ihre Ausgaben für den Laser und verwandte Technologien beträchtlich erhöht.

Die Vereinigten Staaten stellen 1978 über eine halbe Milliarde Dollar für Erprobung und Entwicklung bereit, 25 Prozent mehr als 1976. Der größte Teil der zusätzlichen Ausgaben ist für militärische Zwecke vorgesehen.

Die Sowjet-Union soll, Berichten zufolge, mindestens ebenso viel für militärische Laser aufwenden. Ein hoher amerikanischer Regierungsbeamter ist sogar der Meinung, die Russen arbeiteten noch intensiver an Laser-Projekten als die USA.

An vorderster Front im Rennen um die Führung bei der Laser-Technologie arbeitet beispielsweise das Lawrence Livermore Laboratory der University of California, ein Forschungszentrum der Rüstung und Zweig des neugeschaffenen amerikanischen Energieministeriums; dort bringen die Wissenschaftler auch die Kernfusionsforschung voran. In diesem Laboratorium gelten noch die gleichen strengen Sicherheitsvorkehrungen wie zur Zeit des Kalten Krieges.

Dennoch ist die Laser-Forschung größtenteils nicht geheim. So führt etwa Dr. Harlow Ahlstrom, der für Laser-Experimente zuständige Physiker, auch zivilen Besuchern den 3,5 Millionen Dollar teuren »Argus« vor -- den bis vor kurzem stärksten Laser dieser Art in der Welt.

Eindrucksvoll ist zwar die Größe des Ilaus, der ungefähr die Ausmaße einer Basketball-Halle hat, aber nicht die Laser-Apparatur. Für eine Anlage, die dereinst das Erdöl als veraltete Energiequelle ersetzen soll, erscheint sie reichlich unattraktiv -- kein Surren großer Turbinen, kein Sprudeln von Chemikalien, das die Aufmerksamkeit erregte.

Eine lange, unscheinbare Anordnung von Rohren ist U-förmig an den Wänden des überdimensionalen Labors entlanggeführt. Und doch spielt sich in diesen Rohren ein faszinierendes Schauspiel ab.

Der Argus-Laser schießt seine Licht-Impulse aus einem Stab ab, der aus Neodym-Glas besteht und von starken Lampen umgeben ist. Das Lieht wird von einem optischen Gerät in zwei Strahlen gespalten, die jeweils durch eine Reihe speziell behandelter Glasscheiben verstärkt werden.

Schließlich vereinigen sich die beiden Strahlen am anderen Ende des Raumes wieder und treffen, dem Fuß eines Elefanten vergleichbar, der auf einen Floh tritt, auf ein winziges Ziel -- eine fast mikroskopisch kleine Glaskugel. Sie enthält ein gasförmiges Gemisch von Deuterium und Tritium, den Isotopen des Wasserstoffs.

Die Hülle dieses Kügelchens ist dünner als die Haut einer Bakterie und birgt die winzige Gasmenge unter extrem hohem Druck. Wenn die gebündelte Energie der beiden Strahlen auf das Kügelchen trifft, bricht es so plötzlich mit derartiger Intensität zusammen, daß die Implosion eine Hitze von 100 Millionen Grad erzeugt.

Bei solchen Temperaturen verschmelzen die Wasserstoffatome in dem Kügelchen zu Helium. Dabei wird Energie in Form von Atomkern-Partikeln wie Alpha-Teilchen und Neutronen frei.

Diese Wasserstoffbombe en miniature kann man also im Labor studieren, ohne die wirkliche Bombe zu zünden. Die freiwerdende Energie soll in Verdampfungswärme umgesetzt und für den Antrieb von Turbinen verwendet werden.

Das fortschrittliche System Argus ist ein Neuling im internationalen Laser-Roulette. Sehr Eindrucksvolles berichten aber auch die amerikanischen Wissenschaftler, die in ständigem Strom in die Sowjet-Union zum Physikalischen Lebedew-Institut in Moskau reisen --

* Im kalifornischen Lawrence Livermore Laboratory.

an diesem alten Forschungszentrum aus der Zarenzeit haben die Nobelpreisträger Nikolai Basow und Alexander Prochorow ebenfalls einen Hochleistungs-Laser entwickelt.

Die russische Anlage besteht aus einer komplizierten Kombination von Linsen und Spiegeln, die neun Lichtstrahlen auf neun verschiedenen Kanälen übertragen und dann präzise gebündelt auf das winzige Ziel richten. Die Russen behaupten, ihnen sei 1969 die erste »thermonukleare Verbrennung« -eine Fusion also -- gelungen.

Amerikanische Wissenschaftler bezweifeln das allerdings. Sie erkennen jetzt der KMS Fusion Inc. in Ann Arbor (Michigan), einer an der Laser-Fusion arbeitenden Privatfirma, die erste »erwiesene« Kernverschmelzung zu.

Ob nun die Russen die ersten gewesen sind oder nicht -- sie treiben die Entwicklung der Laser-Fusion vehement voran. Obwohl die Sowjets einen Teil ihrer Arbeiten verheimlichen, wissen Besucher zu berichten, daß am Lebedew-Institut an mindestens zwei weiteren großen Laser-Programmen gearbeitet wird.

Bei dem UMI-35-System, für das Professor Prochorow verantwortlich ist, werden 32 Lichtstrahlen verwendet. Bei dem Delphin-Programm unter Leitung von Basow soll sogar ein kompliziertes Netz von 216 Strahlen zusammengebracht werden, um den nötigen Druck zu erzeugen, der das Ziel in nuklearen Staub zersprengt.

Die Sowjets sind überzeugt, daß ihre Systeme der Energieerzeugung den amerikanischen überlegen sein werden. Einige Beobachter, darunter auch Laser-Pionier Ah Javan, Professor am Massachusetts Institute of Technology, erkennen den Russen in der Tat einen Vorsprung zu.

Bei seinem jüngsten USA-Besuch allerdings plädierte Basow für amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit bei der Laser-Fusion. Einige Skeptiker behaupten, die Russen wetteiferten nur zum Schein mit den amerikanischen konventionellen Systemen.

Alle diese Forschungsarbeiten aber sind gleichsam nur ein Prolog zu der technologischen Geschichte, die gerade beginnt. Die Livermore-Wissenschaftler etwa experimentieren jetzt mit dem sogenannten Shiwa-System, das mit 20 Strahlen arbeitet.

Es ist nach dem Hindu-Gott der Vernichtung und Schöpfung mit seinen 20 Armen benannt. Dieses System, das 25 Millionen Dollar kostet, soll zehnmal soviel Energie erzeugen wie Argus.

in fernerer Zukunft noch liegt ein weiteres Livermore-Projekt, das 195 Millionen Dollar teure Nora-System. Es soll -- vorausgesetzt, der Kongreß stellt die erforderlichen Mittel bereit -- 1982 fertig sein und hundertmal soviel Energie erzeugen wie Argus.

Die Wissenschaftler hoffen, diese Maschine werde den, wie sie es nennen, »break-even point« erreichen -- jene Rentabilitätsschwelle, an der das System zumindest ebensoviel Energie erzeugt, wie ihm zugeführt wird.

Ein merkwürdiger Aspekt des Laser-Rennens ist die Geheimniskrämerei der US-Regierung. Zu Beginn wurde mit vielen Informationen über die Verwendung von Laserstrahlen bei der Kernfusion hintangehalten, obwohl es nur wenig zu verbergen gab.

Die Sowjets dagegen, obwohl auf einigen Gebieten fortgeschrittener, waren durchaus bereit, einige ihrer Geheimnisse zu enthüllen. Die wiederholte Veröffentlichung russischer Konstruktionen in jedermann zugänglichen Fachzeitschriften und der Druck amerikanischer Wissenschaftler veranlaßten die Vereinigten Staaten schließlich, 1972 einige ihrer Laser-Arbeiten, 1974 dann einen größeren Teil bekanntzugeben.

Das Absurdeste aber ereignete sich 1976, als die US-Regierung den Vortrag, den ein sowjetischer Wissenschaftler vor amerikanischen Kollegen über die moderne russische Laser-Forschung hielt, zur geheimen Verschlußsache erklärte. Auf einer späteren USA-Reise äußerte sich der sowjetische Wissenschaftler prompt zurückhaltender.

Die militärischen Anwendungen von Laserstrahlen dagegen werden sowohl in den USA wie in der UdSSR streng geheimgehalten. Dennoch kann man sich aus zahlreichen nicht geheimen Quellen eine gewisse Vorstellung machen, was auf diesem Gebiet seit geraumer Zeit geschieht.

Die Präzision des Laserstrahls zum Beispiel fasziniert das Pentagon schon lange und wird bei vielen Arten komplizierter Lenksysteme genutzt. So wurden lasergelenkte -- »intelligente«

Bomben erstmals in Vietnam eingesetzt.

Heute gibt es eine ganze Kategorie solcher Waffen, Precision Guided Munitions (PGM -- präzisionsgelenkte Sprengkörper) genannt. Dazu zählen Bomben, Raketen und andere Geschosse, die von der Artillerie, von Schiffen und Flugzeugen, ja sogar von Infanteristen abgefeuert werden und Panzer, Munitionsdepots oder Städte anvisieren und präzise treffen können.

Laserstrahlen könnten andererseits dazu benutzt werden, einfliegende Raketen aller Art zu vernichten. Die amerikanische Marine erprobt seit längerem einen Bord-Laser, der eine Rakete aus einem Kilometer Entfernung treffen kann.

Die U. S. Air Force experimentiert mit Lasern in Flugzeugen und am Boden. Diese Arbeiten könnten die Grundlage für eine Art Laser-Verteidigungssystem gegen Interkontinentalraketen bilden, das wirksamer und vielleicht weniger kostspielig wäre als das gegenwärtige System der Flugabwehrraketen.

»Wenn die Russen ein solches Verteidigungssystem entwickeln sollten«, so ein US-Verteidigungsexperte, »würden sie damit das Weltgeschehen drastisch verändern. Denn bei einem solchen Vorsprung könnten die militärischen Falken der Sowjet-Union für einen Präventivschlag gegen die Vereinigten Staaten plädieren.«

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