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Filme Liebe zu Fritz

»Herzlich willkommen«. Spielfilm von Hark Bohm. Bundesrepublik 1990; Farbe; 123 Minuten.
aus DER SPIEGEL 8/1990

Ein pyrotechnisches Schauspiel: Der junge Friedrich Dombrowski flieht, nachdem er Jahre in Bautzen verbracht hat, mit einem Freund über die Zonengrenze. Leuchtgranaten gehen hoch, Maschinengewehre knattern, ein Fluß färbt sich blutrot, dann ist Friedrich in der Freiheit, sein Freund tot.

Ein Kostümstück aus den vermufften Fünfzigern: Der Flüchtling landet als Praktikant auf einer Burg, in der ein Internat für schwererziehbare und behinderte Kinder untergebracht ist. Sein ehemaliger Nazi-Lehrer ist Heim- und Schulleiter; Hausmeister und Lehrer haben sich mit aggressiver Verklemmung in der neuen, der steifleinenen demokratischen Zeit eingerichtet. Nur wenn sie besoffen sind, grölen sie die alten Lieder; aber auch nüchtern verfolgen sie die alten Erziehungsideale.

Eine Liebesromanze unter Verbotsschildern: Der junge Friedrich trifft in dem Heim auf die junge schwäbische Erzieherin Elke, die ihre Erotik und Ungebundenheit mit heimlicher Tanzlust und heimlichem Likörkonsum betäubt. Die beiden belauern sich mißtrauisch und feindselig - bis sie, sich keuchend auf dem Schreibtisch des Direktors vereinigend, ein Paar sind.

Hark Bohms neuer Film, durch eine Episode aus Walter Kempowskis autobiographischem Roman über seine ersten Jahre in der Bundesrepublik ("Herzlich willkommen") angeregt und mit Sprengstoff aus Hark Bohms eigener Biographie politisch und, aus guten Kinogründen, sexuell aufgeladen, greift ungeniert in alle Kisten des Unterhaltungskinos, kostümiert sich hemmungslos, riskiert Knall- und Rühreffekte wie in besten Kinotagen.

Und, was das Schönste ist: Die Sache klappt, die Rechnung geht auf. Nicht nur, daß Hark Bohm selbst eine sehr genaue Studie eines scheinbar gewandelten Nazi-Pädagogen spielt, das Paar, der quirlig-sympathische Uwe Bohm und die vor verklemmter Sexualität förmlich dampfende Barbara Auer, agiert so intensiv, daß es eine Freude ist, ihnen dabei zuzuschauen.

Doch erst ein Hattrick, der dritte Bohm, macht den Film zum Familienfest: Es ist der kleine David, der den Waisenjungen Fritz spielt, einen kleinen Teufelsbraten und Herzenskerl, den das junge Paar schließlich aus den Klauen dieser nachfaschistischen Erziehungshölle und Schulidylle rettet.

Wie dieser Winzling mit den großen Ohren die beiden Jungpädagogen erobert: das ist die noch schönere Liebesgeschichte von »Herzlich willkommen«, und man kann Wetten darauf abschließen, daß das Publikum sich dieser Liebe hemmungslos anschließen wird.

Hellmuth Karasek

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