DESIGN Lieber Butter
Genialisch war der Mathematiker Donald E. Knuth schon immer. In seiner Freizeit entwirft er Orgeln und spielt sie auch; und er verfaßte »Surreal Numbers«, die wohl einzige Novelle der Welt, in der es hauptsächlich um Zahlen geht.
Dabei ist der Professor für Computerwissenschaften und Elektronik an der kalifornischen Stanford University in seinem Fach überaus erfolgreich. Für die ersten Bände seiner »Kunst des Computer-Programmierens« verlieh ihm US-Präsident Jimmy Carter unlängst einen der begehrtesten Forschungspreise, die National Medal of Science.
Dieses Werk allerdings war ihm gleich wieder Anlaß, sich auf einem weiteren Gebiet umzutun. Weil ihm die Aufmachung einer Neuauflage des zweiten Bandes gar nicht gefiel und die Kosten zu hoch erschienen, will Knuth nun die Typographie -- die Gestaltung von Büchern und Zeitschriften vom Schriftentwurf bis zur Anordnung des Textes samt allem Beiwerk auf einer Seite -- selbst in die Hand nehmen.
Seine Neuerungen wären gerade bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen hilfreich, die dem Druckgewerbe bisher als Strafarbeit galten. Denn nur wenige, besonders geschulte Setzer verstehen es, Manuskripte etwa mit chemischen, physikalischen oder mathematischen Formeln aus einem Fundus verschiedener Alphabete, Schriftarten und Sonderzeichen druckfertig zu machen; der sogenannte Photosatz, bei dem solche S.192 Elemente von photographischen Vorlagen projiziert werden, hat das Verfahren zwar verbessert, doch die Grundschwierigkeiten nicht beseitigt.
Das alles, bedachte Knuth, könnten Computer besser:
* »Metafont« nennt er sein System, das gleichsam ein vorgegebenes Schrift-Skelett auf elektronischem Wege lebendig macht -- es kann mit speziellen Programm-Anweisungen alle denkbaren Buchstaben, Zahlen und Symbole erzeugen und auch beliebig abwandeln, etwa vergrößern und verkleinern, fetter, schmaler, gedrungener oder schlanker machen, streng stilisieren oder in verspielte Schnörkelform bringen;
* »TEX« (gesprochen Tau Epsilon Chi oder Tech) ist ein Basis-Programm für Computer, Texte gleich welchen Inhalts oder welcher Sprache in optimale Form zu bringen --Schriftgrad, Mischung verschiedener Schriften, Zeilenabstand, günstige Silbentrennung und Verteilung der Wörter über ganze Absätze lassen sich damit vorbestimmen.
( Donald E. Knuth: »TEX and Metafont. New ) ( Directions in Typesetting«. American ) ( Mathematical Society/Digital Press, ) ( Bedford (Massachusetts); 376 Seiten; ) ( zwölf Dollar. )
»Revolutionär« nennt ein weltweit geschätzter Fachmann, was der Außenseiter da ausgetüftelt hat: Schrift-Designer Professor Hermann Zapf von der TH Darmstadt, Inhaber des ersten Lehrstuhls für Typographische Computer-Programme am amerikanischen Rochester Institute of Technology und (so »Bruckmann''s Handbuch der Schrift") »der bedeutendste deutsche Kalligraph der Gegenwart«, vergleicht Knuths Ideen gar mit der Erfindung der »schwarzen Kunst«. S.193
»Johannes Gutenberg schuf die Mittel, Handschrift in metallene Lettern umzusetzen«, erläutert Zapf. »Don Knuth hat nun vollkommen neuartige Techniken ersonnen, mit denen er -- oder jeder andere, der sie erlernt --Schriftzeichen wie auch die Typographie in vielfältiger Weise modifizieren kann.«
Zwar enthalten auch Setzmaschinen neuesten Typs die Buchstabenbilder nur mehr als digital gespeicherte Codes und bauen die einzelnen Schriftzeichen jeweils aus Rasterpunkten auf, ähnlich wie ein Fernsehbild entsteht. Davon unterscheiden sich aber Knuths Systeme durch praktisch unbegrenzte Gestaltungsfreiheit.
Wie mühevoll es bislang war, eine ästhetisch anspruchsvolle Druckschrift durchzugestalten, lehrt das Beispiel der von Professor Zapf entworfenen »Optima": Von der ersten Ideenskizze bis zur ausgereiften Druckvorlage mit der ganzen Familie von kursiven, mageren und halbfetten Varianten, in denen alle Details an Groß- und Kleinbuchstaben, Satz- und Zahlzeichen harmonierten, vergingen sieben Jahre.
Mit Knuths Computer-Programmen, erklärt Zapf, wäre ein völlig neuer Typus in jeweils wenigen Monaten zu schaffen. Und der könnte durchaus so schön sein, als hätte ihn ein Schriftkünstler mit Feder und Tusche entworfen -- vorausgesetzt, ein Experte wählt aus, was die Maschine an Formenvielfalt produziert.
Donald Knuth, rühmt Zapf, der inzwischen mit dem Mathematiker in Stanford zusammenarbeitet, »kann den Computer dazu bringen, exakt zu tun, was bisher nur erfahrene Kalligraphen mit stärkerem oder leichterem Druck oder einer kaum merklichen Drehung der Feder bewirkten«.
Das mathematische Gerüst der Systeme TEX und Metafont hat Knuth fertig aufgebaut; die detaillierten Programme -- einsetzbar auf allen üblichen Rechenanlagen -- sollen noch dieses Jahr abgeschlossen werden. »Natürlich hoffe ich«, so steckt Knuth sein Ziel ab, »daß, wenn es je einen Standard für Computer-Typographie geben wird, sich mein System durchsetzt.«
Gute Chancen hat er. Amerikas Mathematical Society bestellte eigens ein Experten-Komitee für eine neue mathematische Universal-Schrift. Die Stanford University wie auch die Computer- und Büromaschinen-Konzerne Xerox und IBM unterstützen Knuths Arbeit.
Eigentlich hätte der Professor, als er sich über die schlechte Satzqualität seiner Bücher zu ärgern begann, für ein erholsames Studiensemester nach Südamerika fliegen können. Weshalb er sich dann doch lieber in typographische Probleme vertiefte, erklärt Knuth so: »Ich lehne es ab, Margarine statt Butter zu essen.«
S.192Donald E. Knuth: »TEX and Metafont. New Directions in Typesetting«.American Mathematical Society/Digital Press, Bedford(Massachusetts); 376 Seiten; zwölf Dollar.*