LUFTFAHRT Lieber mogeln
Hans Höfer, Siegener Stahlbau-Millionär und Freizeit-Flieger, meldete sich zum letztenmal: »Kraftstoff neigt sich dem Ende zu.« Dann, am 5. Januar um 17.56 Uhr, stürzte seine »Cessna 182« bei Liebenscheid auf sumpfiges Gelände. Höfer, seine Frau und Sohn Knuth sowie ein Fluglehrer, der mit an Bord gewesen war, waren auf der Stelle tot.
Vergebens wartete der Hamburger Auto-Großspediteur und Ex-Jagdflieger Helmut Kuhnwaldt am 23. Juni in Freiburg auf das Eintreffen seiner Familie: Frau Hanna und Sohn Christian wurden getötet, als ein befreundeter Pilot die Kuhnwaldt-»Cessna 177« gegen den 1260 Meter hohen Schwarzwaldgipfel Hochfarn flog.
Das sind nur zwei von insgesamt 22 Sportflugzeug-Unfällen im ersten Halbjahr 1975, bei denen Menschen starben ein düsterer Rekord in der westdeutschen Hobbyfliegerei.
Seit 1968 hat sich die Zahl der Sportmaschinen in der Bundesrepublik mit 4290 zwar beinahe verdoppelt, aber die Zahl der Unfälle ist noch schneller gestiegen: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres, so teilte das Luftfahrtbundesamt (LBA) in Braunschweig vorletzte Woche mit, wurden 63 Sportflugzeug-Insassen getötet genauso viele, wie 1974 insgesamt ums Leben kamen.
Bis zum Ende voriger Woche war die Zahl der Opfer bereits auf 76 angestiegen. Zwei ertranken am 6. Juli nach einer Notwasserung nördlich Sardiniens. Vier Tage später starben vier Insassen beim Zusammenstoß einer »Do 27« mit einer »Piper PA-28« im Landeanflug auf den Flugplatz Ahden bei Paderborn (wo schon am 2. März zwei Maschinen kollidiert und sieben Menschen gestorben waren). Vier tote Berliner gab es am 17. Juli bei Nürnberg: Ihre »Wassmer Atlantic« war kurz nach dem Start verunglückt, als der Pi-
* Nach einem Zusammenstoß am 2. März 1975.
lot versuchte, einer Hochspannungsleitung auszuweichen. Drei Tote forderte der Absturz einer »Piaggio« vor Büsum am Donnerstag letzter Woche.
Statistisch betrachtet ist nach den Berechnungen der Braunschweiger Beamten Hobby-Fliegen in der Bundesrepublik zehnmal gefährlicher als Autofahren -- sowohl, was die Zahl tödlich Verunglückter pro 100 zugelassener Vehikel (Flieger-Durchschnitt: 1,47 Tote) als auch, was die Zahl zurückgelegter Kilometer je Insasse angeht.
Eine vom Unfallreferat des LBA mit Computerhilfe angefertigte Studie für das Jahr 1973 gibt erste Hinweise auf Ausmaß und Ursachen der Gefährdung:
* Jedes 18. westdeutsche Sport- und Geschäftsflugzeug war danach vorletztes Jahr an einem Unfall beteiligt; 56 Menschen starben bei insgesamt 212 Unfällen,
* In fast 80 Prozent der Fälle notierten die Flugunfallforscher unter der Rubrik »Hauptursachen« einen oder mehrere Fehler des Piloten.
* Fast jeder zweite der Piloten hatte zum Unfallzeitpunkt weniger als 20, jeder fünfte weniger als 50 Flugstunden auf der verunglückten Maschine absolviert.
Mangelnde Ausbildung, zu geringe Flugpraxis, Selbstüberschätzung und schierer Leichtsinn schlagen in dem Unfallbericht am häufigsten zu Buch, Technisches Versagen ist dagegen selten: Als der Pilot einer »Bölkow 208« bei Semmelberg am Knüll zerschellte, lautete der Autopsie-Befund auf »Kohlenmonoxid-Vergiftung«. Auspuffgase, die durch ein Leck ins Cockpit strömten, hatten den Mann am Knüppel erstickt.
Über weite Strecken liest sich der 304 Seiten starke LBA-Bericht wie das Drehbuch eines Films über tollkühne Männer in fliegenden Kisten: »Landeklappen nicht ausgefahren«. »Motor im Flug abgestellt«, »Bauchlandung« mit »Kopfstand/Überschlag«, » Bruch durch Überbeanspruchung«, »unzureichend ausgebildet«, solche Formeln kehren in dem Report stets wieder.
Auch Fälle von »Beeinträchtigung durch Alkohol« mußten die Unfall-Fahnder konstatieren. Der Pilot einer »Socata« war, obgleich ohne Kunstflug-Berechtigung. nach einer waghalsigen Figur abgeschmiert, wobei außer ihm auch noch ein Mitflieger ums Leben kam. LBA-Leseprobe: »Sorgloses, nachlässiges Verhalten«, »Steuerung nicht oder falsch betätigt«, »Anschnallgurte nicht angelegt«.
Glück im Unglück hatte ein Bruchpilot, dessen Cessna in Celle niederging: Er hatte seine Maschine »fehlerhaft abgefangen«, das »Triebwerk einschließlich Propeller nicht oder falsch bedient«, die »Bremsen ... nicht betätigt« und die »beabsichtigte Richtung nicht beibehalten«. Insgesamt war der Flieger -- er kam mit dem Schrecken davon -- eine Stunde auf dem Unglückstyp geflogen.
Besonders schwer tun sich die westdeutschen Piloten offenbar. wenn sie in Schlechtwetterzonen kommen. Bei jedem dritten tödlichen Unfall, so ermittelten die Braunschweiger Bruch-Experten, war schlechtes Wetter mit im Spiel. Doch statt rechtzeitig umzukehren, scheinen sich die Piloten oftmals »lieber durchmogeln zu wollen«, so Flugkapitän Max Brandenburg, Chef des Unfallreferats im LBA. Mit Todesverachtung suchen offenkundig viele Piloten ihre Maschinen auch bei Gewitter oder aufliegenden Wolken noch zum Zielflughafen zu bringen. Brandenburg: »Wir registrieren mehr tödliche Abstürze als versuchte Notlandungen.«
»Verschärft« werden muß nach Ansieht des Flugunfall-Forschers jener Passus in der »Betriebsordnung für Luftfahrtgerät"« der das Mitnehmen von Passagieren regelt. Drei Starts und Landungen innerhalb von 90 Tagen auf einem bestimmten »oder ähnlichen« Flugzeugtyp reichen bisher aus, Gäste in die Luft mitzunehmen. In den USA sind zumindest fünf Starts und Landungen auf ein und demselben Flugzeugmuster vorgeschrieben.
Gegen manch fliegerischen Leichtsinn indes gibt es kein Reformrezept. So etwa im Fall jenes 22 Jahre alten »SA-Normande«-Piloten, dessen Maschine bei Neuss verlorenging. Bei dem Flugzeug. so heißt es in dem LBA-Report, hatten sich die Steuerflächen sowie das Querruder »im Flug« einzeln »abgelöst«. Ihre Befestigungen waren »verrottet«.