Komponisten Liebeslieder, Stasi-Prosa
Der Mann heißt Fischer, ist Musiker, und das Neue Deutschland nennt ihn einen »Weltstar«. Er lebt in Köpenick. Ein paar Kilometer westlich davon zeigt sich, daß sich die Deutschen nicht mal über ihre Berühmtheiten einig sind: Fischer, da denken Wessis zuerst an Gotthilf. Ist das nicht der mit den Chören?
Ist er nicht. Günther Fischer, 48, Klarinettist, Saxophonist, Pianist, Summacum-laude-Absolvent der Ost-Berliner Hanns-Eisler-Musikschule und international anerkannter Filmkomponist, war einer der erfolgreichsten Export-Schlager der DDR. Für über 200 Filme, die zwischen Babelsberg und dem Babylon Hollywood entstanden, hat Fischer die Musik geschrieben.
Er hat mit Marlene Dietrich und David Bowie gearbeitet. Er hat eine Oper komponiert, Musicals und Ballette, er hat ungezählte Schallplatten aufgenommen - was ihm schon zu SED-Zeiten ein Millionenvermögen und ein Dauervisum einbrachte. Seine Villa mit fünf Flügeln plus Arbeitshaus mit Tonstudio auf einem 3800 Quadratmeter großen Seegrundstück lobte das Fachblatt Schöner Wohnen schon 1988 wegen der »Offenheit hinter der Mauer": »Wen die DDR-Götter lieben, dem beschaffen sie auch Baumaterialien« - Marmor, Parkett, Schieferdach.
Die Einheitssozialisten hatten guten Grund, ihr Wunderkind glücklich zu machen. Denn außer seiner musikalischen Begabung hatte Fischer noch verborgene Talente: Ganz im Geheimen, in den Aufnahmestudios der Staatssicherheit, vermochte der Musiker auch sehr schön zu singen. Beim Aktenstudium in der Gauck-Behörde haben Fischer-Freunde erst jetzt entdeckt, daß der Tonkünstler, der für die Texte zu seinen Liedern stets Wortschöpfer engagierte, unter Leitung der Stasi-Dirigenten phantasievoll zu fabulieren verstand.
Unter dem Decknamen IMS »Günther« berichtete der Musikus seinem Führungsoffizier Hauptmann Klemer von der Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Berlin Abteilung XX/7 detailliert, was er bei Freunden wie den Schauspielern Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl oder dem Schriftsteller Jurek Becker an vermeintlich Konspirativem erfahren konnte. Diese und andere Künstler standen unter verschärfter Beobachtung, seitdem sie 1976 gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann schriftlich protestiert hatten.
Das Interesse der SED-Paranoiker ließ auch nicht nach, als Systemkritiker wie Krug, Mueller-Stahl und Becker Ende der siebziger Jahre in den Westen gingen. Seitdem immer neue Stasi-Akten beweisen, wie grotesk die Spitzelwut der DDR-Wachhunde entwickelt war, ahnten die Ex-Ossis, daß sie auch in Freiheit unter Aufsicht standen. Doch daß es ausgerechnet Freund »Günthi« war, der bei Westbesuchen immer mal vorbeischaute, um wein- und tränenselig in Erinnerungen zu schwelgen, will Manfred Krug, dem Gefühlsbolzen, nicht in den Schädel: »Ich hab' den geliebt. Der war wie mein kleiner Bruder.«
Was Fischer über Jahre vermeldete, erschüttert vor allem durch seine Belanglosigkeit - wo kein Komplott geschmiedet wurde, konnte kein Komplott entdeckt werden. Der Komponist wußte, was Stasi-Ohren hören wollten, und beurteilte deshalb die Gemütsverfassung der Abtrünnigen unisono als desolat, die beruflichen Aussichten als miserabel.
Über Jurek Becker, der 1977 die DDR verlassen durfte, ohne ausgewiesen zu werden, und seither im Westen lebt, wußte »die Quelle« 1979 zu berichten, »daß er DDR-Bürger bleiben möchte«. Dazu habe »auch die kühle vernünftige Überlegung« beigetragen, daß »einer, der die Fronten wechselt, über kurz oder lang in die Reihe der bedeutungslosen, durchschnittlichen Literaten« zurückfallen werde.
Mueller-Stahl, der nach der Biermann-Resolution beruflich kaltgestellt wurde, schien kurz vor seiner Ausreise 1979 nach Ansicht des Hobbyanalytikers IMS »Günther« zu begreifen, »daß das, was er abliefern kann, nicht die große Kunst« sei. Das »Bewußtsein seiner Durchschnittlichkeit« werde »in Verbindung mit seiner Beschäftigungslosigkeit eine tiefe Resignation hervorrufen«.
Ausgerechnet Fischer-Spezi Krug, der sein schon in der Planwirtschaft gezeigtes Talent für die Klaviatur des Kapitalismus nach der Übersiedlung 1977 rasch zur vollen Entfaltung brachte, hatte sich nach Ansicht des Stasi-Zuträgers bereits 1978 damit abgefunden, »weder als Schauspieler noch als Sänger in der BRD ein ,Top-Star' zu werden«.
Der einstige DDR-Liebling Krug, der auch nach Fischers Selbsteinschätzung dem jungen Musiker in den sechziger Jahren auf die Karriereleiter geholfen hatte, sei »viel kleiner geworden« und wirke »wie ein Mann ohne Hinterland«.
Günther Fischer sagt, er habe »nix davon gewußt, daß ich da geführt worden sein soll«. Als DDR-Promi und einer der eifrigsten Devisenbringer habe er »selbstverständlich immer im Mittelpunkt gestanden«. Und wenn er nach Leuten wie Krug gefragt worden sei: »Warum sollte ich da irgendwie rumklemmen.« Als Stasi-Funktionär habe sich jedenfalls niemand zu erkennen gegeben, Aufträge habe er »nie erhalten«.
Die Vernehmung des IMS »Günther« vom Oktober 1978 endet mit der Bemerkung: »Der IM ist beauftragt, den Kontakt zu Manfred Krug und zu Jurek Becker weiter zu pflegen, um nähere Einzelheiten über ihre Pläne und Absichten in Erfahrung zu bringen«.
Krug hat nach drei Stunden Lektüre seiner Akte die Gauck-Behörde »fluchtartig verlassen«. Er fand es grausig, wie da eine Freundschaft, »die mal mit Liebesliedern begann, in Stasi-Prosa unterging«. Seine Wut stieß der Schauspieler in einem Brief hervor (siehe Kasten) - der unbeantwortet blieb. Dabei ging ihm eine Zeile aus einem frühen Fischer/Krug-Lied nicht aus den Kopf: »Schau nicht hin, schau nicht hin, du siehst nur, daß ich traurig bin.«