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»Lisey's Story« auf Apple TV Sie mögen Stephen King? Dann sparen Sie sich diese Serie

Der Roman »Lisey's Story« von Stephen King gilt vielen als sein Meisterwerk. Das Drehbuch für die Verfilmung verfasste der Horror-Autor höchstselbst – genutzt hat es leider nichts.
aus DER SPIEGEL 23/2021
Hauptdarstellerin Moore: Verdrängte Geheimnisse und wabernder Bodennebel

Hauptdarstellerin Moore: Verdrängte Geheimnisse und wabernder Bodennebel

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Apple TV+

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Ist Stephen King nur ein Horrorhandwerker oder doch ein literarischer Autor? An dieser Frage scheiden sich seit Jahrzehnten die Geister. Als King im Jahr 2006 den Roman »Lisey's Story« veröffentlichte (auf Deutsch bekannt unter dem Titel »Love«), sahen sich die bestätigt, die in ihm schon immer den Künstler sahen.

King erzählt in dem Buch von der Witwe eines Schriftstellers, die mit dem Tod ihres Manns abschließen muss. Und wie er sich dabei mit den Themen Verlust und Trauer und seiner eigenen Rolle als Autor auseinandersetzt – das ist tatsächlich nicht nur gewohnt spannend, sondern auch von hohem literarischem Wert.

Nun ist der Roman für den Streamingdienst Apple TV+ verfilmt worden: Die Stars Julianne Moore und Clive Owen spielen die Hauptrollen, der gefeierte chilenische Regisseur Pablo Larraín (»Jackie«) inszenierte alle acht Episoden der Miniserie. Das Drehbuch verfasste King selbst. Allerdings: Genutzt hat es leider nichts. Die Filmversion scheitert auf spektakuläre Weise, nicht zuletzt an überzogenen künstlerischen Ambitionen.

Aus: DER SPIEGEL 23/2021

Die große Versuchung

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Inhaltlich bleibt sie nah an der Vorlage: Die Hauptfigur Lisey (Moore) findet auch zwei Jahre nach dem Tod ihres Mannes, dem Bestsellerautor Scott Landon (Owen), keine Ruhe. Ein Fan, der in Landons ehemaligem Arbeitszimmer unveröffentlichte Meisterwerke vermutet, verfolgt sie und droht ihr Gewalt an. Schließlich muss sich Lisey verdrängten Geheimnissen stellen, die in der langen Ehe mit Scott lauern und mit einer Parallelwelt zu tun haben, in der sowohl Heilung als auch Grauen warten.

King selbst betonte, er halte »Lisey's Story« für seinen besten und liebsten Roman. Es handle sich um seine persönlichste Geschichte, entstanden nach einer schweren Lungenentzündung. Als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde, hatte seine Frau sein Arbeitszimmer aufgeräumt und dabei Gegenstände teils in Kartons verpackt. King, so erzählt er in Interviews, musste sich unweigerlich vorstellen, dass das Zimmer nach seinem Tod ganz ähnlich aussehen würde.

Diese Beschäftigung mit der eigenen Endlichkeit gab dem Buch eine große Dringlichkeit, zumal King darin kunstvoll verschiedene Genres verzahnte: das Pathos der Fantasy mit dem Horror des Stalkerthrillers und der großen Geste der Liebestragödie. Literarisch ist »Lisey's Story« ein wilder Mix mit Anleihen beim Schundroman und massenhaft popkulturellen Verweisen, im Ton eher sarkastisch als elegisch.

Das Team wollte offensichtlich mit aller Macht große Serienkunst produzieren.

Ganz anders nun die Verfilmung. Vielleicht erlag King selbst dem Hype um seinen Roman. Jedenfalls wollte das Team offensichtlich mit aller Macht große Serienkunst produzieren. Herausgekommen ist dabei aber leider ein statisches Liebesdramolett mit Fantasy-Elementen, das schwer an seiner Bedeutungshuberei trägt.

Die herbstgesättigten, stilvoll monochromen Bilder von Weltklassekameramann Darius Khondji (»Panic Room«) drängen geradezu darauf, ernst genommen zu werden, orchestral drückt der Soundtrack aufs Gemüt, und gepeinigt schaut Julianne Moore an der Kamera vorbei. Sie blickt enervierend oft und lange auf diese Weise, weil ihre Figur sich oft und lange an Details aus der Vergangenheit erinnert.

Die komplizierte Rückblendenstruktur des Romans trägt in Kings Drehbuch dazu bei, dass die Geschichte kaum vom Fleck kommt – ein geradezu klassisches Beispiel dafür, dass sich eine literarische Dramaturgie mitunter nur schwer mit einer filmischen verträgt.

Auch abgesehen vom schleppenden Rhythmus, will bei »Lisey's Story« nur wenig funktionieren. Der Liebeszauber von Lisey und Scott bleibt Behauptung, weil der Zuschauer die beiden kaum als Paar erlebt. Den von Dane DeHaan gespielten Bösewicht kann man mit seinen vergilbten Fingernägeln und seiner Grabesstimme kaum ernst nehmen. Und die Welt, in die Scott und Lisey auf diversen Zeitebenen immer wieder verschwinden, wird zu einer offensichtlich im Studio entstandenen Kitschorgie mit künstlichen Bäumen und waberndem Bodennebel.

Als King im Jahr 2006 »Lisey's Story« veröffentlichte, war ihm offensichtlich schnurz, ob Kritiker seinen Roman zu Kunst erklären oder nicht, so frei folgte er den Obsessionen und Ängsten, die immer wieder in seinem Werk aufscheinen. Man wünscht sich, die Verfilmung wäre ebenfalls von diesem Selbstbewusstsein getragen.

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