Achtziger-Jahre-Roman Ach, wie schön spießig war's am Rhein
Am Silvesterabend des Jahres 1989 steht Gregor Korff auf der Terrasse seines Hauses hoch über dem Rhein. Im Hintergrund läuft die Neujahrsansprache des Bundeskanzlers. "Das vor uns liegende Jahrzehnt kann für unser Volk das glücklichste des Jahrhunderts werden", sagt der Kanzler. Korff hört nicht länger hin, sondern verliert sich in seinen Gedanken. Das glücklichste aller Jahrzehnte, so sein Fazit, liegt nicht vor uns, sondern geht gerade zu Ende. Die achtziger Jahre, ausgerechnet, die viel gescholtenen.
Der Fall der Berliner Mauer war nicht das Ende eines, sondern gleich zweier Länder - das der DDR und das der Bonner Bundesrepublik.
Romane über Ostdeutsche, die in den veränderten Verhältnissen Halt, finanzielle Sicherheit und Identität suchten oder zu wahren versuchten, konnte man oft genug lesen. Nun hat sich der Schriftsteller Jochen Schimmang, Jahrgang 1948, der Gegenseite angenommen: denjenigen, denen die alte, rheinische Bundesrepublik in ihrer vermeintlichen Provisoriumsfunktion als Idealzustand erschien und denen mit der Wiedervereinigung die sozialen und politischen Gewissheiten verloren gingen.
Bei Gregor Korff klingt das so: "Die Straßen, durch die er jeden Abend nach Hause ging, mit ihren freundlichen Häusern aus der Gründerzeit, waren für ihn das Inbild des größtmöglichen Glücks. (...) Diese Häuser vertrieben in ihrer Freundlichkeit auch noch den nachzitternden Schrecken über die Jahre im Schulungsausschuss und vor den Fabriktoren, mit Flugblättern in der Hand. Alles in allem waren sie ein Abbild des Davongekommenseins, nicht nur seines persönlichen, sondern des ganzen Landes, zumindest des westlichen Teils."
"Das Beste, was wir hatten" ist ein nostalgisch angehauchter Rückblick und die präzise beobachtete Mentalitätsgeschichte eines Landes.
Korffs Werdegang ist geradezu klassisch: Aus der ostfriesischen Provinz kam er zum Studieren in das hoch politisierte Berlin der späten sechziger Jahre, ein Milieu, von dem Schimmang schon in seinem Debüt "Der schöne Vogel Phönix" aus dem Jahr 1978 erzählte. Während andere vom bewaffneten Kampf reden und schließlich auch in den Untergrund abtauchen, spielt Gregor mit seinem Freund Leo und einigen Kumpels Fußball. In der politischen Organisation macht man nur widerwillig mit; als ein Student von der Polizei erschossen wird, drucken sie Flugblätter, weil es sich so gehört. Leo wird schon in Berlin vom Verfassungsschutz angeworben, bespitzelt zunächst die linke Szene und wechselt schließlich offiziell zum "Amt", wie es immer nur heißt. Gregor wiederum wird in den frühen Achtzigern während seiner Tätigkeit als Dozent in Speyer von einem Mann angesprochen, der einen baldigen Regierungswechsel prophezeit und Gregor zu seinem engsten Mitarbeiter macht. Auch wenn sein Name nicht fällt, ist der Mann unschwer als Rudolf Seiters zu identifizieren. Gregor willigt ein und ist kurz darauf ganz nah am Zentrum der Entscheidungen: Bonn.
Schimmang erzählt nicht die abgedroschene Geschichte von den opportunistischen Achtundsechzigern, die ihre Ideale verraten mussten, um an die Macht zu kommen. Man könnte "Das Beste, was wir haben" beinahe als eine Liebeserklärung beschreiben - eine Liebeserklärung an ein Land, das man zunächst glaubte bekämpfen zu müssen und das einem gestohlen wurde, als man sich darin zurecht gefunden hatte.
Das ist der Lauf der Geschichte, der bei Schimmang aber nie als großer historischer Bogen erscheint, sondern quasi nebenbei, aufgelöst in persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen. Schimmangs Roman soll nicht die politische These transportieren und ist auch, trotz seiner sachlichen Genauigkeit, kein Schlüsselroman. Vielmehr fängt Schimmang perfekt die Atmosphäre der Zeit in Bildern ein.
Das heißt wiederum nicht, dass "Das Beste, was wir haben" ein Idyll entwirft: Gregor stolpert über eine Affäre mit einer Stasi-Agentin und muss zuschauen, wie sich die Dampfplauderer und Lautsprecher in Position bringen, um dem wiedervereinigten Land eine neue, offizielle Sprachregelung zu geben.
Was bleibt für Leute wie Leo, der ausgebrannt aus dem Dienst ausscheidet, und Gregor? Der Widerstand.
Zum Ende hin gibt Schimmang seinem höchst bemerkenswerten Buch noch einmal einen Dreh ins Politische, der nicht unbedingt voll geglückt, aber in der Logik des Textes absolut schlüssig ist: Nicht jener Bonner Bundesrepublik, gegen die so heftig aus deren Inneren selbst gekämpft wurde, gilt es etwas entgegenzusetzen, sondern der Berliner Republik mit ihrem Größenwahn.
Nicht umsonst trägt das vorletzte Kapitel den Titel "Erinnerungen an den Frieden".
Buch Jochen Schimmang: "Das Beste, was wir hatten". Edition Nautilus, Hamburg; 320 Seiten; 19,90 Euro.