Roman vom "Mad Men"-Erfinder Es wird böse enden

Szene aus der Serie "Mad Men"
Foto: ddp images/ Capital PicturesJetzt ist also auch Matthew Weiner in den #metoo-Strudel geraten , und manche finden das erstaunlich, schließlich habe Weiner mit seiner Fernsehserie "Mad Men" doch das Frauenbild der Fünfzigerjahre so feinfühlig porträtiert und gleichsam kritisiert. Dabei sind Talent und Sympathie und die Vermutung, da stünde einer doch prinzipiell auf der richtigen Seite der Debatte, grundsätzlich keine Ausschlusskriterien, wenn es um Täterschaft geht.
Weiner soll der Drehbuchautorin Kater Gordon bei gemeinsamen Arbeiten an einer "Mad Men"-Folge gesagt haben, er habe es verdient, sie nackt zu sehen. Er bestreitet das. Eine Lesereise durch Deutschland sagte Weiner in der Folge ab, ebenso eine Reihe von Interviews, darunter auch eines mit SPIEGEL ONLINE.
Dass dieser Verdacht nun bei der Rezeption von "Alles über Heather" mitschwingt, ist bedauerlich, denn eigentlich ist es eines der interessantesten Bücher des Jahres. Weiner erweist sich als irre guter Dramaturg, der mit knappem Personal arbeitet, dieses aber zielsicher ins Desaster führt.
Der Knall ist unausweichlich
Die Art, auf die er zwei Handlungsstränge zusammen (oder: gegeneinander) laufen lässt, erinnert an jene Zugunglücke, die Kinder mit der Modelleisenbahn inszenieren: Der Knall ist unausweichlich. Aber welcher Art wird der Schaden sein, und vor allem wie groß? Diese Frage sorgt für eine Spannung, die einen die Straffheit des Buches - "Alles über Heather" hat gerade einmal 124 sparsam gesetzte Seiten, eigentlich ist es eher eine Novelle als ein Roman - beinahe bedauern lässt.
Weiner beginnt mit der Geschichte von Mark und Karen Breakstone. Die Beziehung der beiden entspringt einem eigenartigen Phlegma. "Karen fand ihn ziemlich witzig, also waren sie ja vielleicht füreinander bestimmt", heißt es einmal. Sie ist eine Frau mit Vorstadtmanieren, vor allem aber eine Zahl. "Eine 7", sagt die Ehefrau eines von Marks Arbeitskollegen, Mark hält sie für eine zehn. Karen hat eigentlich nur einen Wunsch: Sie möchte ein Kind. Vor allem aber wollen beide weiter nach oben.
Ganz hoch ins Penthouse schaffen es der Finanzanalyst und seine Frau nicht, aber einen Stock tiefer, in eine Zehnzimmer-Wohnung in Manhattan. Eines der Zimmer ist das Kinderzimmer der kleinen Heather. Ein schönes Kind. Ein kluges Kind. Eines, für das Karen bald eine Obsession entwickelt, die das fragile Gleichgewicht der Familie gefährdet.
Vom Nebengleis rollt die nächste Handlung an

Autor Weiner
Foto: imago/ZUMA PressDas alles liest sich beinahe körperlich unangenehm, lässt einen aber nicht los.
Weiner schildert den verzweifelten Versuch der beiden, ihrem Leben Glanz und Bedeutung zu verleihen, mit einer Sachlichkeit, die auf Empathie weitgehend verzichtet. So wirken seine Notizen von der Schattenseite des amerikanischen Traums beinahe freudvoll.
Vor allem aber lässt er im benachbarten Newark, also gewissermaßen auf dem Nebengleis, eine weitere, im gegensätzlichen Milieu angesiedelte Handlung anrollen: "Bobby, wie man ihn nannte, war ein vom medizinischen Personal unentdeckt gebliebenes Wunder, hatte seine Mutter während ihrer überwiegend unbemerkt verlaufenen Schwangerschaft doch selten etwas anderes als Bier zu sich genommen."
Jener Bobby, mit vollem Namen heißt er Robert Klasky, entwickelt sich erwartungsgemäß zur Zeitbombe, deren Ticken dem Buch einen zusätzlichen Groove verleiht. Er wird zum Psychopathen mit einem völlig übersteigerten Selbstbewusstsein, der schon als Heranwachsender die Nachbarstochter bewusstlos prügelt und auch nicht davor zurückschreckt, das Haus seiner Mutter anzustecken. Schließlich bekommt er einen Job in einem Bautrupp, der unter anderem in genau dem Haus beschäftigt ist, in dem die Breakstones wohnen - mit Heather, die mittlerweile ein Teenager ist. "Bobby sah das Mädchen an, und ihn packte ein so mächtiges Verlangen, dass er meinte, in Ohnmacht fallen oder ejakulieren zu müssen."
Preisabfragezeitpunkt
26.03.2023 03.01 Uhr
Keine Gewähr
Was folgt, ist eine gut 20-seitige Klimax, die wie erwartet in einer Katastrophe endet. Weiners Clou: Er lässt das Buch in einer völlig anderen Katastrophe enden, als das der Leser erwartet. James Ellroy schreibt auf der Rückseite von einer "teuflischen Geschichte, die man in einem einzigen Atemzug lesen" müsse, was zutrifft, gleichzeitig aber zum einzigen Problem des Buches führt: Das Schnelle gilt auch für die Rezeption, "Alles über Heather" begeistert und lässt schaudern. Aber es hinterlässt dem Leser wenig.