Diskussion um »The Hill We Climb« Sollte eine weiße Person die Gedichte von Amanda Gorman übersetzen?

Lyrikerin Amanda Gorman: »Dünnes schwarzes Mädchen«
Foto: Alex Wong / Getty ImagesDie praktische Auswirkung der Identitätspolitik auf den Literaturbetrieb: Marieke Lucas Rijneveld, ausgewählt, um das Werk der amerikanischen Lyrikerin Amanda Gorman ins Niederländische zu übersetzen, hat den Auftrag zurückgegeben. Zuvor war Kritik aufgekommen, dass eine weiße Person benannt wurde, um die Worte der schwarzen Autorin zu übersetzen. Gorman war mit 22 Jahren die jüngste Poetin, die je bei der Amtseinführung eines US-Präsidenten sprechen durfte.

Marieke Lucas Rijneveld: »Was mich interessiert, ist der Reichtum der Sprache«
Foto: Jeroen Jumelet / picture alliance/dpa/anpRijneveld wiederum wurde 2020 mit dem International Booker Prize ausgezeichnet. Kein anderer Autor, keine andere Autorin hatte bisher den renommierten Literaturpreis in so jungem Alter gewonnen. Rijneveld identifiziert sich selbst als nicht binär und war zum Zeitpunkt der Preisvergabe 29 Jahre alt. Ausgezeichnet wurde die englische Übersetzung des Debütromans »De avond is ongemak«, auf Deutsch unter dem Titel »Was man sät« im Suhrkamp-Verlag erschienen.
Die niederländische Übersetzung von »The Hill We Climb«, dem Gedicht, das Gorman unter weltweiter Anteilnahme bei der Inauguration des US-Präsidenten Joe Biden im Januar vorgetragen hat, sollte Ende März im Verlag Meulenhoff erscheinen. Unter anderem thematisiert Gorman darin die Bedeutung, dass ein »skinny black girl« vor dem Präsidenten rezitiere. Den Entschluss, den Übersetzungsauftrag zurückzugeben, machte Rijneveld mit einer via Twitter verbreiteten Erklärung öffentlich.
»Ich bin schockiert über die Aufregung um meine Beteiligung daran, Amanda Gormans Botschaft zu verbreiten, und ich verstehe die Menschen, die sich verletzt dadurch fühlen, dass die Wahl von Meulenhoff darauf fiel, mich zu fragen«, schrieb Rijneveld, die nicht nur Romane, sondern auch Gedichte veröffentlicht hat. Rijneveld betonte in dem Tweet weiterhin: »Was mich interessiert, ist der Reichtum der Sprache«; die Aufgabe wäre gewesen, »Kraft, Ton und Stil« zu übertragen.
Die Generaldirektorin von Meulenhoff, Maaike Le Noble, erklärte, dass das Verlagshaus aus der Erfahrung lernen wolle: »Wir werden nach einem Team suchen, mit dem wir gemeinsam daran arbeiten werden, Amandas Worte und ihre Botschaft der Hoffnung und Inspiration so gut wie möglich und in ihrem Geiste zu übersetzen.«
Anfang vergangener Woche hatte der Verlag Rijneveld als seine Traumlösung bezeichnet und gesagt, »Amanda Gorman selbst reagierte ebenfalls sofort enthusiastisch über die Wahl« Rijnevelds.
Kontroverse Diskussionen
Zu den Kritikern der Wahl von Rijneveld zählte Janice Deul, nach ihrer Selbstbezeichnung »Mode- und Kulturaktivistin«. Sie hatte einen Meinungsartikel in der niederländischen Tageszeitung »De Volkskrant« über das Thema geschrieben. Sie wolle Rijnevelds Qualitäten keineswegs schmälern, hieß es darin, aber »warum wählt man nicht eine Autorin aus, die – wie Gorman – Spoken-Word-Künstlerin ist, jung, eine Frau und: unapologetically black?« – ganz selbstverständlich Schwarz also.
In ihrem Artikel hatte Deul auch einige denkbare Übersetzerinnen genannt. Nach Rijnevelds Rückzug bedankte sie sich in einem Tweet für die Entscheidung.
In der niederländischen und auch in der britischen Presse wurde der Entschluss kontrovers diskutiert. Unter anderem wurde auf ein älteres Interview verwiesen, in dem Rijneveld nach dem Bookerpreis-Gewinn selbst eingeräumt hatte , eher schlecht Englisch zu sprechen: »Ich bin so was wie der Louis van Gaal der niederländischen Literatur.«
Auf Deutsch soll »The Hill We Climb« am 30. März bei Hoffmann und Campe erscheinen. Für die Übersetzung des 64 Seiten starken Buches hat der Hamburger Verlag ein Trio beauftragt: Kübra Gümüşay, Hadija Haruna-Oelker und Uda Strätling.