Autobiografisches Buch Eigene Tochter wirft Amos Oz Kindesmisshandlung vor

Schriftsteller Amos Oz
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In Israels Kulturszene hat die Nachricht für großes Aufsehen gesorgt: Galia Oz, Tochter des berühmten 2018 verstorbenen israelischen Schriftstellers Amos Oz, behauptet in ihrem soeben erschienenen autobiografischen Buch »Etwas, das sich als Liebe verkleidet«, als Mädchen vom Vater systematisch geschlagen und erniedrigt worden zu sein. Im Fall von Amos Oz wiegen die Vorwürfe besonders schwer, wurde er doch für seinen Einsatz für Frieden und gegen Gewalt weltweit mit zahlreichen Preisen geehrt – in Deutschland unter anderem 1992 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2005 mit dem Goethe-Preis der Stadt Frankfurt.
Aber auch Tochter Galia ist keineswegs unbekannt. Die Dokumentarfilmerin und Kinderbuchautorin wurde mehrfach für ihre Kinderbücher, die in Israel zu Bestsellern und auch in etliche Sprachen übersetzt wurden, ausgezeichnet. Über die väterliche Gewalt, von der auch die Mutter nicht verschont blieb, spricht die Autorin bereits im ersten Kapitel Klartext. Es ist auf Hebräisch auf der Website des angesehenen israelischen Verlags Kinneret Zmora-Bitan Dvir zu lesen :
»In meiner Kindheit hat mich mein Vater geschlagen, beschimpft und erniedrigt. Die Gewalt war erfinderisch: Er zerrte mich aus dem Haus nach draußen und stieß mich vor der Tür auf den Boden. Nannte mich Dreck. Es war weder ein vorübergehender Kontrollverlust, noch ging es um eine gelegentliche Ohrfeige, sondern um eine Routine sadistischer Misshandlung. Mein Verbrechen war ich selbst, deshalb nahm die Bestrafung kein Ende. Er hatte das Bedürfnis sicherzugehen, dass ich gebrochen werde.«
Die wie Galia vom Vater ebenfalls misshandelte Mutter sei ihr nicht zu Hilfe gekommen. Im Gegenteil, sie sei dem Familienoberhaupt zur Seite gestanden. Unter verschiedenen Vorwänden habe sie versucht, die »Ausgestoßene und Gehasste« vom Elternhaus fernzuhalten – das Mädchen wuchs im Kibbuz Hulda südöstlich von Tel Aviv auf, wo, wie in den Kibbuzim damals allgemein üblich, die Kinder getrennt von den Eltern untergebracht waren und diese täglich nur kurz besuchten. Ganz aufgeben wollte man sie daheim dennoch nicht, schreibt die Kinderbuchautorin: »Tyrannei braucht Opfer, und ich, wie alle misshandelten Kinder, kam auf der Suche nach Nähe immer wieder in der Hoffnung zurück, dass sich etwas ändert.«

Galia Oz (rechts) mit ihrem Bruder Daniel
Foto: Ulises Ruiz Basurto / picture alliance / dpaDoch die Hoffnung wurde enttäuscht. Denn die Gewalt im Elternhaus hatte System. Galia Oz spricht hier bewusst von »Terror«: »Die Drohung mit Gewalt lag ständig in der Luft. Und das reichte aus, um Schrecken zu verbreiten und Kontrolle zu erlangen.« Über die häusliche Gewalt, Ausdruck des väterlichen »Triebs zur Grausamkeit«, sei konsequent geschwiegen worden. Einschüchterung und Verstellung gingen, wie Galia Oz schreibt, Hand in Hand:
»Und dann war noch dieses Etwas, das sich als Liebe verkleidete, das nach außen hin und im Familienkreis als unumstrittene Tatsache präsentiert wurde, sämtliche Zweifel ausradierte und jeden rebellischen Gedanken im Keim erstickte. Bis heute kann ich kaum glauben, wie effektiv und hermetisch diese Konstellation war. Ich war ein Kind, aber es gab keine Kindheit. Es vergingen Jahrzehnte, bis ich verstanden hatte, dass die Gewalt, auch als ich erwachsen war, nicht verschwand, sondern lediglich eine andere Form annahm; dass sich dieses Muster von Einschüchterung und Leugnung bis zum Tod meines Vaters nicht änderte.«
Bereits vor sieben Jahren hatte Galia Oz die Konsequenzen für sich gezogen und den Kontakt zur Familie abgebrochen. In Israel wurde über den familiären Bruch lange gerätselt.
Klarer wird der Fall jetzt auch nicht – Galia Oz' schwere Anschuldigungen wurden umgehend von der Mutter Nili, der älteren Schwester Fania Oz-Salzberger und dem jüngeren Bruder Daniel zurückgewiesen. »Wir kannten einen anderen Vater, einen warmherzigen, herzlichen, aufmerksamen Vater, der fürsorglich, treu und hingebungsvoll war und seine Familie zutiefst liebte«, postete die Schwester umgehend auf Twitter. Auch wenn die Mutter und die Geschwister die Vorwürfe von Galia zurückweisen, so nehmen sie doch ihren »tiefen und anscheinend echten herzzerbrechenden Schmerz« zur Kenntnis.
Mit ihren aufrüttelnden Bekenntnissen will Galia Oz offensichtlich keine Rache üben. Vielmehr nimmt sie ihre persönlichen Erfahrungen zum Anlass, das Thema Kindesmisshandlung in den Blick zu rücken und dabei die Mechanismen seiner Leugnung wie auch deren Folgen sichtbar zu machen.
Beifall von rechts
In Israel sind ihre Enthüllungen allerdings auch von politischer Brisanz. Denn sie kommen der Rechten, zumal in Wahlkampfzeiten, äußerst gelegen. Amos Oz war bekanntlich die Galionsfigur der Linken und des Friedenslagers, das durch den kontinuierlichen Rechtsruck im Land zusehends an den Rand gedrängt wird.
Nun sehen sich die Kontrahenten in die Lage versetzt, den weltweit geschätzten Friedenskämpfer als Gewalttäter zu schmähen. In hämischen Kommentaren in den sozialen Medien wird der Fall gerne zum Anlass genommen, der Linken Verlogenheit vorzuwerfen: Wie Amos Oz spreche sie von Frieden, sei in Wirklichkeit aber gewalttätig.
Beifall erhält Galia Oz jedoch nicht nur von rechter Seite. Viele Linksliberale im Land danken der Kinderbuchautorin für ihren Mut und ihren Einsatz für die Rechte von Kindern, obgleich unter ihnen auch Stimmen laut werden, die der Autorin selbstsüchtige Beweggründe unterstellen. Eine öffentliche Debatte über das heikle Thema Kindesmisshandlung anzustoßen, ist Galia Oz allemal gelungen. Die Affäre, auf die sich die israelischen Medien jetzt stürzen, dürfte früher oder später auch Literaturwissenschaftler beschäftigen.