Neuer Anna-Gavalda-Roman Vulgäre Selbstbeschädigung

Schriftstellerin Gavalda: Empathie mit der Hauptfigur unmöglich
Foto: Toni Albir/ picture alliance / dpaEs gibt Menschen, die sich viel zu schnell und viel zu oft entschuldigen. Oft sind das Frauen. Und obwohl diese Angewohnheit nicht ganz so schlimm ist wie ihr Gegenteil (chronische Rechthaberei), so ist sie doch viel zu weit verbreitet - und hat nun, das ist eine wirklich schlechte Nachricht, auch die Literatur erreicht: in Person von Billie, der Ich-Erzählerin aus dem Roman "Nur wer fällt, lernt fliegen". "Ich entschuldige mich für meine Sprache", heißt es auf Seite 11. Auf Seite 31: "... ich weiß, so wie ich ihn beschreibe, klingt es arg nach billigem Kitsch...". Auf Seite 37: "Ich entschuldige mich vorab für die Fehler." Auf Seite 41: "Entschuldige, dass ich mich manchmal so vulgär ausdrücke."
Die Entschuldigungen gehen nicht an den Leser, obwohl der sie verdient hätte, sondern an einen Stern oben im Himmel. Die Erzählsituation ist nämlich die: Nach einem Unfall liegt Billie mit ihrem besten Freund in einer Felsspalte. Er fällt in Ohnmacht, wie sie zu diesem Zeitpunkt noch glaubt. Es wird dunkel. Um die Nacht allein durchzustehen, erzählt Billie diesem Stern, sich selbst und so auch den Lesern die Geschichte von sich selbst und diesem Freund. Es ist die Geschichte zweier Außenseiter, die Freunde werden und sich gegenseitig einen sicheren Platz in diesem wüsten Leben bereiten. Denn beide kommen aus schlechten Verhältnissen, wo viel gehasst und viel geflucht wird. So ist Billie zu ihrer Sprache gekommen, für die sie sich nun entschuldigen zu müssen meint.
Man macht das mit diesem vorschnellen Entschuldigen ja oft, damit die anderen einen gar nicht erst kritisieren müssen, weil man sich ja vorsorglich schon längst selbst kritisiert hat. Aber bei allem Verständnis, das geht in diesem Fall nicht. Denn Billie ist nicht irgendwer, sondern eine Figur aus der Feder Anna Gavaldas, die ein Star der französischen Unterhaltungsliteratur ist.
Perfekte Bücher für Sonntage im Café
Schon ihr Debüt "Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet" verkaufte sich 400.000 Mal. Dann folgten Bestseller wie "Zusammen ist man weniger allein", das mit Audrey Tautou in der Hauptrolle verfilmt wurde. Oder "Ich habe sie geliebt". Perfekte Bücher für Sonntage im Café oder Sommerferien am See. Unterhaltungsliteratur, wie sie sein sollte: leicht zu lesen, schwer zu vergessen. Und damit leider ziemlich genau das Gegenteil ihres neuen Buchs, das der französische "Figaro" "eine Katastrophe, eine Selbstbeschädigung" nannte.
Ironischerweise ist dabei die vulgäre Sprache, für die sich Billie so oft entschuldigt, nicht einmal das Hauptproblem. Schlimmer sind zum Beispiel die penetranten Prekariatsklischees - es wimmelt nur so vor Wohnwagen und saufenden Eltern und abgehauenen Müttern und nuttigen Frauen. Schlimmer sind der manieristische Gebrauch von Auslassungszeichen und sprachliche Ausdrücke wie "groovte chillig durch die Nacht". Schlimmer ist das übererzählte Selbstmitleid Billies, das jede Empathie mit dieser Figur unmöglich macht.
Am schlimmsten jedoch ist das Ende, das schon fast eine dramaturgische Frechheit ist, aber trotzdem nicht verraten wird. Schließlich soll ruhig jeder, der will, dem Buch eine Chance geben. Ich entschuldige mich natürlich schon einmal bei allen Leuten, die das Buch dann richtig super finden.
Buchangaben:
Anna Gavalda: Nur wer fällt, lernt fliegen. Aus dem Französischen von Ina Kronenberger. Carl Hanser Verlag, München; 188 Seiten; 18,90 Euro.