Antisemitismus-Debatte Walser droht mit Auswanderung

Die Kontroverse um seinen bislang unveröffentlichten Roman "Tod eines Kritikers" wird Martin Walser anscheinend zu viel. Wie der Autor dem Wiener Nachrichtenmagazin "News" sagte, wäre ein Umzug nach Österreich denkbar, falls sich die Kritik in Deutschland nicht beruhige.

München - "Das alles weckt in mir den Wunsch, mich außerhalb dieser Grenze zu begeben", sagte Walser dem Nachrichtenmagazin "News" am Dienstag anlässlich der anhaltenden Kritik um "Tod eines Kritikers". Ständig denke er: "Nichts wie weg. Entfernung würde helfen. Vorarlberg ist ja nicht weit und ein schönes Land." Seine Vorfahren seien erst 1720 aus dem großen Walsertal hergezogen, so der Autor, der am deutschen Bodensee-Ufer wohnt. Zwei Wochen noch will der Schriftsteller laut "News" überlegen, wo er wohnen möchte. Dann sei absehbar, wie sich die Kontroverse um den Roman entwickle.

Unterdessen kündigte Walsers Hausverlag Suhrkamp an, er wolle diesen Mittwoch über die Veröffentlichung des umstrittenen Romans entscheiden. Da der Verleger Siegfried Unseld krank ist, liegt die Entscheidung über das Buch formal bei Verlagsleiter Günter Berg. Er stimmt sich nach Verlagsangaben dabei jedoch mit der Suhrkamp-Führungsspitze ab. Ulla Berkéwicz, die Ehefrau des erkrankten Verlegers, werde die Entscheidung in jedem Fall mittragen, teilte Suhrkamp am Dienstag mit. Berkéwicz halte das Walser-Buch nicht für antisemitisch.

Mehrere Stimmen hatten sich Anfang der Woche gegen eine Veröffentlichung des Romans bei Suhrkamp ausgesprochen, darunter der in dem Buch karikierte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki. Auch das Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, sagte am Dienstag im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: "Es wäre fatal, Walsers krude und unerträgliche Gedanken durch den Namen Suhrkamp zu adeln". Fred Breinersdorfer hingegen, Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller, hatte den Hausverlag Walsers aufgefordert, den Roman trotz der Antisemitismus-Vorwürfe zu veröffentlichen.

Der Präsident des deutschen PEN-Zentrums, Johano Strasser, kritisierte die Form der Diskussion. Das Spiel von Kritik und Gegenkritik könne seine aufklärende Wirkung nur dann entfalten, wenn der Gegenstand, in diesem Fall das Walsersche Buch, öffentlich zugänglich sei. "Es ist sicher fragwürdig, ein Buch zu kritisieren, das noch gar nicht erschienen ist", sagte Strasser am Dienstag der dpa. Er halte nichts davon, die Leser für unmündig zu erklären. "Es spricht wenig dafür, dass Kritiker vorurteilsfreier und unbefangener urteilen als der Durchschnittsleser."

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