Krimi-Autor Arne Dahl "Ein einzelner Mann ist nutzlos"

Arne Dahl
Foto: Sara Arnald
Jan Arnald, Jahrgang 1963, ist ein schwedischer Schriftsteller. Bekannt wurde er, seit er unter seinem Pseudonym Arne Dahl Krimis verfasst, auf seinen ersten, "Misterioso", der 1999 auf Deutsch erschien, folgten 14 weitere Bücher. Er lebt in Stockholm und ab und an in Berlin. Sein jüngstes Buch, "Sieben minus eins", gibt es schon seit dem 1.8. als E-Book, gedruckt erscheint es am 1. September.
SPIEGEL ONLINE: Herr Arnald, Ihre Krimis, die Sie als Arne Dahl verfassen, strotzen vor Toten, so auch Ihr neuester "Sieben minus eins". Wie beeinflusst die Dauerpräsenz von Massenmorden, die Attentate, Amokläufe, die Ertrinkenden im Mittelmeer, Ihr Schreiben?
Arnald: Egal, was ich schreibe: Die Realität ist immer schlimmer. Man muss akzeptieren, dass in der Welt viel Gewalt herrscht. Aber als ich den letzten Teil "Hass" über die europäische Ermittlertruppe Opcop schrieb, hatte ich die Schnauze voll von organisierter Kriminalität und Gewalt in der globalisierten Welt. Als ich 2009 mit dieser Serie anfing, lebten wir in einem anderen Europa, heute ist es total gespalten. Damals war ich noch überzeugt, dass so etwas wie ein europäisches FBI entstehen könnte.
SPIEGEL ONLINE: Was war für Sie der letztlich entscheidende Grund, diese transnationalen Krimis zu beenden?
Arnald: Ich bekam es mit der Angst, als ich verstand, wie die Mafia in Russland, Italien und sonstwo arbeitet und der Unterschied zwischen legalem Geld und Schwarzgeld verschwindet - Investitionen stammen häufiger aus Drogengeldern, als wir glauben. Ich ertrug es nicht mehr, so viel über das reale Böse nachzudenken. Ich beschloss, meine Geschichten kleiner zu machen. Deshalb gibt es nun eine neue Serie. Sie ist anders als all meine Krimis zuvor.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Arnald: Ich spielte immer Gott, tauchte von oben in die Köpfe meiner Figuren, wusste immer, was sie denken. Nun wählte ich eine Perspektive, bei der - wie in unserer momentanen Realität - nie klar ist, was wahr ist und was nicht. Damit man mir als Erzähler nicht trauen kann.
SPIEGEL ONLINE: Wie befreiten Sie sich denn von allem, was davor kam? Immerhin schrieben Sie 20 Jahre lang und in zwei Krimiserien über den Kosmos rund um den Kommissar Paul Hjelm, der erst in der schwedischen A-Gruppe und dann europaweit mit den Opcops ermittelte.
Arnald: Ich schaute mir zuerst all die Elemente an, bei denen ich wusste: Darin bin ich gut. Dann warf ich sie über Bord.
SPIEGEL ONLINE: Was zum Beispiel?
Arnald: Ich habe mir früher am Computer ganze Schaubilder für die Krimistruktur gebastelt - nun sollte es eher inhaltlich komplex sein. Weg mit Multi-Storytelling, her mit dem Fokus auf wenige Figuren. Aber die Grundidee von "Sieben minus eins" entwickelte sich aus einer einzigen Szene.
SPIEGEL ONLINE: Ohne zu viel zu verraten: Welche war das?
Arnald: Zwei Menschen, die sich in einem Verhörraum am Tisch gegenüber sitzen. Und dann wechselt die Dynamik zwischen den beiden.
SPIEGEL ONLINE: Daraus wurde ein Machtspiel zwischen Mann und Frau. Brauchten Sie deswegen die Kommissarin Molly Blom als Protagonistin?
Arnald: Ja, ich wollte mit Gender-Stereotypen spielen. Mir wird immer klarer, dass ein einzelner Mann nutzlos ist, reine Platzverschwendung. Eine Frau alleine hat dagegen keine Probleme zu existieren. Deswegen gibt es in meinen Krimis immer Protagonistinnen. Und für die neue Serie brauchte ich zudem einen ganz gewöhnlichen Cop mit einem problematischen Verhältnis zu Frauen.
SPIEGEL ONLINE: Sam Berger, der einiges an Ballast mitschleppt. Dieser Ermittlertyp ist ja nicht gerade selten.
Arnald: Eben: Es ist explizit die Art von Kommissar, die ich all die Jahre vermieden habe. Immer wenn ich einen Mankell-Krimi las, fand ich: Ja, das ist gute Literatur, aber ich mag Wallander nicht, er ist mir zu niedergeschlagen, zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Darum entschied ich mich damals für acht gleichberechtigte Protagonisten - das A-Team. Jetzt wollte ich schauen, was ich aus dem Klischee des einsamen Ermittlers machen kann. Sam Berger verfängt sich in dem Fall in seiner Vergangenheit, das Thema Zeit dominiert seine Gedanken.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben Berger sogar zum Sammler alter Uhren gemacht. Haben Sie auch einen Uhrentick?
Arnald: Ich habe nicht mal eine (schiebt seine Ärmel hoch).
SPIEGEL ONLINE: Da sind Sie nicht der Einzige. Ihr Sam Berger dagegen ist überhaupt sehr analog.
Arnald: Es gehört einer anderen Zeit an. Er wird bald so obsolet sein wie Armbanduhren. Er ist das Gegenteil der super-digitalen Welt, in der die Opcops arbeiteten. Die hatten immer die neueste Technologie - noch etwas, das ich loswerden wollte. Dazu passt auch, dass ich versuche, das etwas angestaubte Privatdetektivgenre wiederzubeleben.

Arne Dahl:
Sieben minus eins
Aus dem Schwedischen von Kerstin Schöps übersetzt.
Piper; 416 Seiten; 16,99 Euro.
Buch bei Amazon: Arne Dahl "Sieben minus eins" Buch bei Thalia: Arne Dahl "Sieben minus eins"SPIEGEL ONLINE: Seit Ihrem ersten Krimi "Misterioso" ist der Markt der Skandinavienkrimis explodiert. Wieviele Kollegenbücher lasen Sie vor der neuen Reihe, um sich abzugrenzen?
Arnald: Ich lese kaum andere. Klassische schwedische Krimis schauten ja immer auf die Realität und verhandelten soziopolitische, moralische Fragen. Aber inzwischen sind andere Varianten dazugekommen, das Schwedenkrimi-Genre ist vielfältiger geworden. Dazu gehören auch jene Krimireihen, die leichter unterhalten und alles in allem etwas schlichter gestrickt sind: Sie sind in kleineren Provinzstädten angesiedelt, die Verbrechen sind nicht sehr komplex. Diese Krimis sind sehr beliebt, es herrscht fast eine Art Goldgräberstimmung.
SPIEGEL ONLINE: Diese Regionalisierung ist auch in Deutschland unübersehbar: Es gibt kaum ein Kaff ohne eigene Krimireihe.
Arnald: Mag sein, dass das ein allgemeiner Trend ist - wir zoomen auf die kleinstmögliche Einheit, um nicht verrückt zu werden.
SPIEGEL ONLINE: Eine These lautet, Krimis verkaufen sich so gut, weil wir uns mit Gewalt konfrontieren müssen, um zu merken, wie gut es uns geht. Angesichts der veränderten Weltlage müssten die Verkaufszahlen derzeit sinken.
Arnald: Das dachte ich auch immer, es scheint aber nicht so zu sein. Ich fand, du brauchst Abstand von Gewalt, um überhaupt solche Krimis zu schreiben. Aber jetzt funktioniert Kriminalliteratur anders: Sie exotisiert Gewalt nicht mehr, sondern ist ein Versuch, damit umzugehen, dass alles um uns herum in Gewalt aufgeht.
SPIEGEL ONLINE: Waren Sie nie versucht, die Krimis Krimis sein zu lassen?
Arnald: Ich überlegte das wirklich kurz. Aber ich musste mir eingestehen, dass Gewalt garantiert auftauchen würde, egal was ich schreibe. Zu welcher Zeit gab es keine? Nie. Sie ist Teil der menschlichen Natur. Und in meinen Krimis geht es letztlich ja darum, Gewalt und Ungerechtigkeit zu besiegen, nicht, Menschen auf grausame Weise zu töten. Aber ja, mir war von Anfang an klar, dass es da ein moralisches Problem gibt: In meinen Büchern sterben Menschen.
SPIEGEL ONLINE: Und Sie als Autor bringen sie um.
Arnald: Genau. Aber ich habe einen Pakt mit mir geschlossen und mir gesagt: Du darfst das nie genießen. Gewalt darf nie reines Entertainment sein, sie muss immer etwas über unsere Gesellschaft, den Zeitgeist sagen. Und ich denke, dass uns Krimis in diesen unsicheren Zeiten etwas Wichtiges geben: Auch wenn ich nie alles auflöse, können sie Antworten liefern, die es in der irrationalen Realität eben nicht gibt. Für mich funktioniert das: Ich packe meine Ängste in eine Box und entnehme ihr den Stoff für meine Bücher.