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Leipziger Buchmesse: Alles Kracht, oder was?

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Leipziger Buchmesse Er! Der mit dem Scheitel!

Der Blondschopf ist gescheitelt - im Knabengesicht prangt ein Vollbart: Er ist der Star der Buchmesse. Kleinverlags-Krise? Suhrkamp-Übernahme? Interessiert nicht! Alle wollen nur wissen: Wie war's bei der Lesung von Christian Kracht, dem Phantom des deutschen Literaturbetriebs?

Das Buch heißt auf Polnisch "Tu bede w sloncu i cieniu". Und auch wenn Oliver Zille, der Chef der Leipziger Buchmesse, gern darauf hinweist, dass man hier die Literaturen Osteuropas pflege - die Übersetzung eines vier Jahre alten mittelerfolgreichen Romans in die Sprache unseres östlichen Nachbarlandes ist selbst in Leipzig nicht das Thema, mit dem man im Gespräch auch nur die leiseste Aufmerksamkeit erregen könnte. Wäre das Buch nicht von ihm.

Von ihm? Ja, von ihm. Er hat es geschrieben. Er ist auch da. Gerade sah man ihn noch bei der Vorstellung seines ins Polnische übersetzten dritten Romans, da geht er schon durch die Glashalle der Leipziger Messe, begleitet von seinem Verleger und einem namhaften Literaturkritiker, von dem manche sagen, dass er aussehe wie der Keyboarder von BAP.

Über ihn könnte man das natürlich nie behaupten. Er trägt ein geschmackvolles Hemd, ein Jackett, die blonden Haare gescheitelt, genau so, wie man ihn immer gekannt hat. Nur, dass da noch ein Vollbart dazu gekommen ist. Dass sich nun auch dieser Literaturkritiker, der aussieht wie der Keyboarder von BAP, für ihn interessiert, liegt ganz bestimmt nicht daran, dass es in Polen nun "Tu bede w sloncu i cieniu" zu kaufen gibt. Trotzdem wird auf dieser Messe selbst über diese Übersetzung gesprochen. Weil er, der auch dieses Buch geschrieben hat, der große Star der Messe ist.

Großliteraten und Manga-Teenies

Ja, es ist wieder Leipziger Buchmesse, bis Sonntag noch. 2071 Verlage aus 44 Ländern sind dabei. 160.000 Besucher werden erwartet. Großliteraten wie Martin Walser treten auf. Bestsellerautoren wie Andrea Maria Schenkel. Und, wie immer in Leipzig, hocken Dutzende als Mangafiguren verkleidete Teenager in Kleingruppen auf dem grauen Steinfußboden der Eingangshalle. Aber welche Bedeutung kann das alles haben? Hier dreht sich diesmal alles um ihn.

Am Donnerstagabend liest er aus einem anderen, noch nicht ins Polnische übersetzten Roman, der hierzulande und dann vielleicht irgendwann auch in Warschauer Buchhandlungen "Imperium" heißt. Den Polen, denen der Name seines Autors, Christian Kracht, nichts sagt, könnte man dann mitteilen, dass "Imperium" im deutschen Bücherfrühjahr des Jahres 2012 einen Trubel ausgelöst hat, wie es ihn seit der Aufregung um Helene Hegemanns "Axolotl Roadkill" nicht mehr gegeben hat. Die Debatte hat auch dafür gesorgt, dass sich die Auflage von "Imperium" mittlerweile auf die Hunderttausender-Marke zubewegt. Das ist mehr als das Doppelte dessen, was Kiepenheuer & Witsch von den Romanen Christian Krachts sonst verkauft. In Leipzig wurde seine Lesung am Donnerstagabend in einen dreimal so großen Saal verlegt und wer dort war, wunderte sich später, wie es ein Besucher ausdrückte, dass "wirklich jeder fragte", wie es bei Kracht gewesen sei. Kracht las aus seinem Buch. Mehr passierte nicht. So war es.

Darüber konnte man fast vergessen, dass am Donnerstag in Leipzig der Preis der Buchmesse verliehen wurde. Eine Veranstaltung, bei der im Publikum übrigens Christian Kracht anwesend war. Dass dort Wolfgang Herrndorf für seinen Abenteuerroman "Sand" ausgezeichnet wurde und Christina Viragh für die Übersetzung von Péter Nádas' fast schon Jahrhundertroman zu nennenden Großwerk "Parallelgeschichten", hatte man erwarten können, zumal Nádas selbst in Leipzig zu Gast ist und liest.

Barlach wie ein Aktionär

Zu den besten Romanen des Frühjahrs zählt sicher Anna Katharina Hahns "Am schwarzen Berg". Dass dieses Buch zwar nominiert, aber nicht ausgezeichnet wurde, wirkt wie ein Versäumnis, ist womöglich aber eine subtile Strategie: Wie Herrndorf wurden in den vergangenen Jahren auch Clemens Meyer und Ingo Schulze erst dann geehrt, als sie zum wiederholten Male auf der Leipziger Nominierungsliste standen.

Ein Titel, der durch den Preis für das beste Sachbuch deutlich mehr Aufmerksamkeit gewinnen könnte, ist Jörg Baberowskis "Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt" - hier zeigt sich eine Möglichkeit, wie das etwas unentschlossen wirkende Profil des Leipziger Preises geschärft werden könnte: als ernstzunehmende Sachbuchauszeichnung.

Gäbe es auch einen Blumenstrauß für die beste Tischrede zu vergeben, ginge der wohl geteilt an Wolfgang Beck, den Verleger des C.H. Beck Verlags und seinen Cheflektor Detlef Felken, die bei einem Abendessen nicht nur ihrem Autor Jörg Baberowski gratulierten, sondern ihre Gäste durch mit lässigem Understatement vorgetragener Bildung und Selbstironie begeisterten.

Auch beim Empfang von C.H. Beck ging es in den Gesprächen dann wieder um Kracht. Und um die Frage, was vom Übernahmeangebot des Minderheitseigners Hans Barlach an Suhrkamp zu halten sei, zumal Barlach mit Ulla Berkewicz, der Suhrkamp-Verlegerin, mittlerweile einen Rechtsstreit von alttestamentarischen Ausmaßen führt. Barlach als neuen Suhrkamp-Chef kann sich momentan wohl kaum jemand ernsthaft vorstellen. So scheint die Charakterisierung eines Messegastes treffend: Barlach wirkt wie einer jener Aktionäre, die nur deshalb investieren, damit sie auf der Hauptversammlung ans Mikrophon treten dürfen.

Schwere Zeiten für unscharfe Programme

Tatsächlich den Eigner gewechselt hat, wie auf der Messe bekannt wurde, der Blumenbar Verlag, zukünftig ein sogenanntes Imprint, ein Sublabel, von Aufbau. Auch am Beispiel des Berlin Verlags, der künftig zu Piper gehört, wird in Gesprächen die Zukunft der Buchbranche verhandelt: Der Berlin Verlag soll bei Piper als Imprint weitergeführt werden. Wie schon der Verkauf von Eichborn ausgerechnet an Bastei Lübbe, das RTL II des deutschen Buchmarkts, zeigen das Schicksal von Blumenbar und Berlin Verlag, dass es kleinere Unternehmen mit unscharfem Programm zunehmend schwer haben oder zum Spielball von Konzernverlagen werden.

Dass im ersten auf der Messe angekündigten Programm von Hanser Berlin im Herbst auch Funny van Moneys "This is Niedersachsen und nicht Las Vegas, Honey - Auf Tabledance-Tour durch die Republik" steht, wirkt, bei aller Sympathie für Trash und auf Tischen tanzende Halbnackte, geradezu als Alarmsignal: Bislang erschienen derartige Titel bei Eichborn.

Der einzige Kleinverlag, der sich unter dem Dach eines größeren Hauses etablieren konnte und nach wie vor ein gutes Programm macht, ist Tropen. Die Sehnsucht, an diesem funktionierenden Modell zumindest mit einem Flaschenbier partizipieren zu können, spülte im Lauf der Donnerstagnacht beinahe jeden unter Fünfzig, der auf der Buchmesse eine wichtigere Rolle spielt, in den winzigen Pavillon der Tropen-Party am Rand der Leipziger Innenstadt.

Es soll sogar Leute geben, die glauben, irgendwo im Gewühl ihn gesehen zu haben. Ihn? Ja, ihn. Den einzigen Star dieser Messe. Klingt der deutsche Titel seines nun ins Polnische übersetzten dritten Romans doch auch in einer Partynacht noch wie ein Versprechen: "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten."

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