Hollandes Ex-Ministerin als Romanautorin Das letzte Hurra der Linken

Der Untergang einer ganzen Welt, geschildert mit Pathos und Melancholie: In "Das Ende der Arbeiterklasse" erzählt Aurélie Filippetti am Beispiel der eigenen Familie den Niedergang der stolzen französischen Linken.
Aurélie Filippetti (Mitte rechts), Parteifreunde bei der Bekanntgabe von Hollandes Wahlsieg 2012

Aurélie Filippetti (Mitte rechts), Parteifreunde bei der Bekanntgabe von Hollandes Wahlsieg 2012

Foto: PATRICK KOVARIK/ AFP

Auf Seite 48 kommt er einmal kurz vor: Michel Platini, der wohl berühmteste Vertreter der italienischstämmigen Bevölkerung in der französischen Region Lothringen. Die Familie des Fußballidols auf der väterlichen Seite war aus dem Piemont nach Norden gegangen, der Großvater half als Bauarbeiter beim Wiederaufbau nach dem Ersten Weltkrieg. Der Vater des heutigen Uefa-Präsidenten, war zwar als Lehrer tätig, aber in dem Milieu, von dem dieser Roman handelt: Aldo Platini lehrte an der Bergschule von de Wendel, in der die lothringische Stahlindustrie prägende Unternehmerfamilie ihre Arbeiter ausbildete.

Die Rolle der Italiener für die lothringische Bergbauregion ist vergleichbar mit der der polnischen Einwanderer im Ruhrgebiet. Am Nachnamen Filippetti erkennt man die Herkunft der Autorin natürlich schon, und in ihrem Roman erzählt sie die Geschichte ihrer Familie - als spezielle, aber auch als typische für die politisierten Minenarbeiter der Region. Aurélie Filippetti selbst stieg 2012 zur Ministerin für Kultur und Kommunikation auf unter dem sozialistischen Präsident Hollande, ein Amt, für das sie sich nach der Regierungsumbildung von Manuel Valls im August 2014 nicht mehr zur Verfügung stellte - unter Betonung ihrer Loyalität gegenüber den lothringischen Wählern, die sie ins Parlament geschickt hätten.

Das gewisse Pathos, das ihrem Abschiedsbrief an "Cher François, Monsieur le Président de la République"  und den "Monsieur le Premier Ministre, mon cher Manuel" zueigen war, dieser Hang zur großen schreiberischen Geste, findet sich durchaus auch in dem Roman wieder. Gleich im ersten Kapitel ist Lothringen "das Texas Frankreichs" und dessen Metropole Metz "die Italienerin". In kurzen Szenen beschwört Filippetti herauf, was die Mitglieder ihrer Familie während der deutschen Besatzung der Moselregion erlebten, wie der Großvater Tommaso als einer von 14 Verschwörern von der Gestapo aus der Grube herausgeholt und deportiert wurde ins KZ, wie der Vater Angelo in den Algerienkrieg geschickt wurde, zurückkehrte und zum Bürgermeister in seiner Heimatgemeinde Audun-le-Tiche aufstieg - bevor er früh starb. Wie sie, Angelos einzige Tochter, nach Paris an die Eliteschule ging und sich doch innendrin weiter als Arbeiterkind fühlte.

Bürgermeister vom Front National

Dass die Familiengeschichte aber nicht chronologisch erzählt sind, sondern diese Szenen munter durch Zeit und Raum springen, mag zwar etwas angestrengt literarisierend wirken - und erschwert auch ganz praktisch den Überblick über die weitläufige Verwandtschaft. Doch es ist letztlich tatsächlich ein gelungener Kunstgriff, weil dadurch die Abfolge der Generationen nicht zur Heldensaga zugespitzt wird, sondern in der ganzen Brüchigkeit, die das Leben nun mal in sich trägt, ausgestellt ist.

Helden, dass sind sie aber doch für Aurélie Filippetti: All diese Menschen, die vom Stahlboom nach Lothringen gelockt wurden, die sich aber nicht vom paternalistischen Gestus der Werksbesitzer blenden ließen. Erst mit der massenhaften Ankunft der Italiener in der Region bekam die Kommunistische Partei in Lothringen ein Bein auf den Boden, wurde die Gewerkschaft CGT zur prägenden politischen Kraft. Das zeigten sie noch einmal besonders, als ab den Siebzigerjahren die Krise den Bergbau Lothringens voll erwischte. Gruben wurden geschlossen, um Longwy und in Paris tobte der Widerstand, es sendete das Radio Lothringen - Herz des Stahls. Doch es half alles nichts: Während Vater Filippetti mit dem Lungenkrebs und den Zweifeln an der Sowjetunion und der KP kämpfte, schloss der von der Regierung Mitterand verstaatlichte Stahlkonzern weitere Standorte. Am 31. Juli 1997 ist auch in der Mine von Audun-le-Tiche Schluss, der letzten aktiven Eisenmine Lothringens.

Es zieht sich also eine gewisse Melancholie durch dieses Buch, das das Ende ja schon im Titel trägt. Heutigen Lesern bringt sie eine vergehende Kultur näher, ihren Kampfgeist, ihre Rituale, ihre Würde. Es ist eine Welt, der auch Aurélie Filippetti zu entfliehen suchte, und es mit Bildung schaffte. Doch macht das Buch klar, wieso es Filippetti dennoch als fast schon persönliche Beleidigung empfand, als Verrat an dem, wofür Lothringen für sie steht, was bei den jüngsten Kommunalwahlen in ihrer Heimatregion geschah. Sie erwähnt es in ihrem Rücktrittsschreiben. In der Stahlstadt Hayange, in der einst die Familie de Wendel ein Schloss bewohnte, wurde im Oktober 2011 der letzte Hochofen Frankreichs stillgelegt. Ende März 2014 wählten die Bürger von Hayange Fabien Engelmann vom Front National zum Bürgermeister. Das muss sich dort zumindest wirklich angefühlt haben wie das Ende der Arbeiterklasse.

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